Waldmeyer hatte seine langjährige Mitarbeiterin Alina Silivi erst kürzlich im Betrieb verabschiedet. Er konnte allerdings noch nicht ahnen, dass er jäh mit heiklen islamistischen Fragen konfrontiert werden sollte.
Es war ein guter Grund, sich wieder einmal in den Büros zu zeigen. Alina hatte es auch verdient, dass Waldmeyer beim Verabschiedungs-Apéro extra ein paar Worte sprach.
Es war vor einem Jahr. Alina war eine treue Mitarbeiterin, etwas kulturfremd vielleicht (Kosovo), aber sehr tüchtig. Dass sie beim Apéro damals nur Orangensaft trank, war soweit stringent – wohl eben kulturell bedingt. Waldmeyer mied den Orangensaft auf jeden Fall immer.
„Was macht Alina jetzt wohl?“, fragte Waldmeyer laut.
Für einmal antwortete Charlotte. Oft tat sie es nämlich nicht, da Waldmeyer dies gar nicht erwartete - weil er in der Regel mitten in seinen singulären Brainstormings steckte.
„Alina lebt nicht mehr in Hinwil, sondern ist jetzt zurück in Pristina. Sie wird wohl weiter keinen Alkohol trinken. Sie besucht keine Clubs, auf der Strasse sieht man nur ihre Augen. Kein Händeschütteln, keine Berührungen und so. Du weisst schon.“ Charlottes Zusammenfassung war aus Waldmeyers Sicht soweit logisch und irgendwie abschliessend – so lebt man nun einmal mit einem islamischen Glauben.
„Glaubst du, sie macht sehr auf Moslem - ist also ziemlich orthodox islamisch? Oder gar islamistisch? Vielleicht fundamentalistisch?“, hakte Waldmeyer nach. Vielleicht war Aline gar eine Schläferin, die jetzt in Pristina nur ihre neuen Instruktionen entgegennahm, um dann, zurück in Hinwil, im örtlichen Coop einen Selbstmordanschlag zu verüben? Waldmeyer behielt diese toxische Vermutung erst einmal für sich.
„Max, Alina ist Christin. Sie hält sich einfach an die Corona-Regeln. Auch im Kosovo.“
Waldmeyer stutzte. Die Verwechslung war frappant. Corona ist also ähnlich wie der Islam. Könnte es sein, dass Corona nur als Brandbeschleuniger für die Islamisierung in der Schweiz wirkt? Vielleicht ist es an der Zeit, eine neue Verschwörungstheorie zu lancieren: Corona wurde erfunden, um die Islamisierung voranzutreiben. Vermummung, keine öffentlichen Körperkontakte, kein Händeschütteln, keine ausschweifenden Partys, no Clubbing, möglichst kein Alkohol, fertig lustig.
Waldmeyer überlegte sich, wie man nun diese neue Verschwörungstheorie schneller verbreiten könnte. Zumindest an seinem Wohnort in Meisterschwanden. Irgendwie müsste man einen Anfang machen.
Plötzlich hatte er eine Eingebung: „Charlotte, könntest du künftig nicht auf diese blöde Maske verzichten und einen korrekten Niqab tragen?“
Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.
Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.
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