Als Innerrhoder bin ich Gott, die Zürcher sind Zwerge. Das hat eine Zeitung herausgefunden - mit dem Rechenschieber.
Das Ständemehr bewegt die Schweiz. Beziehungsweise in erster Linie die Abstimmungsverlierer vom Sonntag. Es stand ihnen im Weg. Eine Mehrheit der Stimmenden brachte die Konzern-Verantwortungs-Initiative hinter sich, aber nicht genügend Stände, also Kantone. Deshalb wäre es ganz schön praktisch, wenn das Ständemehr verschwinden würde. Jedenfalls für eine bestimmte Seite in einem bestimmten Fall.
«20 Minuten» hat nun die Sache mit den Ständen unter die Lupe genommen und Beunruhigendes ermittelt. Die kleinen Kantone haben in der Schweiz tatsächlich das Sagen. One man, one vote? Von wegen. Das ist blosse Theorie. In Wahrheit habe ich als Wahl-Innerrhoder ein 39,1 Mal grösseres Stimmgewicht als ein Zürcher. Wahnsinn. Es braucht fast 40 Zürcher, um gegen mich anzukommen, da können sie noch so laut und arrogant sein. Was für eine Macht!
Wie die Zeitung zu dieser Zahl kommt? Ganz einfach. In Innerrhoden, so hat man herausgefunden, leben 12'100 Stimmberechtigte, im Kanton Zürich sind es 950'000. Man dividiere, dann kommt man auf etwa 78. Und weil die Halbkantone zwar so nicht mehr existieren, Innerrhoden aber beim Ständemehr immer noch eine halbe Portion ist, ergeben sich die 39.
Das ist natürlich krass. Da pilgern fast 40 Zürcher an die Urne oder den Briefkasten, und ich kann gemütlich um fünf vor Zwölf vorbeischauen und sie allesamt abtischen. Mit einer einzigen Stimme.
Was ich mich aber frage: Wenn ich - zusammen mit Obwaldnern und Nidwaldnern und so weiter - so mächtig bin, warum sieht nicht längst die ganze Schweiz so aus wie Innerrhoden? Warum nützen wir diese Allgewalt nicht? Warum wird in Zürich, Bern und Basel nicht gejodelt? Offenbar sind wir grosszügig und lassen manchmal doch den anderen den Vortritt, obwohl wir ja die Politik im Alleingang diktieren könnten.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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