«Das Ansteckungsrisiko ist hierzulande verschwindend gering»: Diese Schlagzeile von SRF stand am Beginn der Coronasituation im Januar 2020. Heute ist alles anders. Doch ist das gerechtfertigt? Teil 1 unserer neuen Serie «Die Corona-Chronik».
_Mit der «Corona-Chronik» blickt «Die Ostschweiz» zurück auf die Enstehungsgeschichte der aktuellen Situation. Wie begann alles, wie baute es sich auf? Wie konnte aus offensichtlichen Widersprüchen bis hin zu Unwahrheiten eine mehrheitsfähige Politik werden? Was hat von einem saisonalen Influenzavirus bis hin zum Maskenzwang, einem Impfzertifikat und dem Abbau von Grundrechten geführt? (_Bild oben: Slogan-Blache zum Virus in China; Wikimedia/Huangdan2060)
Teil 1
Die totale Apokalypse, die nur durch eine umfassende Impfung der möglichst gesamten Bevölkerung verhindert werden kann: Das war Corona nicht immer. Nur haben wir es vergessen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie die Medien zu Beginn mit dem Virus umgingen, bevor sie, aus welchen Gründen auch immer, einen neuen Weg einschlugen. Schauen wir zurück auf die Anfänge des Jahres 2020.
Im Januar des letzten Jahres war hierzulande das Virus Covid-19 kaum jemandem ein Begriff. Mit Ausnahme von sehr eifrigen Zeitungslesern, die selbst Randnotizen verschlingen und Leuten, die über Beziehungen nach China verfügten. Von dort drangen in bescheidenem Ausmass Nachrichten von einem Virus hierher, das seine Ursprünge in Wuhan habe. Erst allmählich nahmen die Erwähnungen zu.
Die grossen Medien bei uns reagierten zögerlich, schliesslich fand das Virus doch den Weg in unsere Schlagzeilen. Aber weit entfernt von Alarmismus. So locker hat man sie seit fast eineinhalb Jahren nicht mehr erlebt, beispielsweise die Journalisten des Staatssenders SRF. Ende Januar 2020 wurde SRF-Wissenschaftsredaktor Thomas Häusler gebeten, die Lage einzuordnen. Und er fand klare Worte.
Es sei «derzeit kaum angebracht», dass das Coronavirus die Medien so beherrsche. Der Leiter der Wissenschaftsredaktion verwies darauf, dass die publizierte Todesrate von 3 Prozent «mit grosser Vorsicht» zu geniessen sei. «Möglicherweise sind viele Krankheitsfälle gar nicht als solche erkannt worden, weil sie viel milder verlaufen sind. Falls dem so ist, wäre die Todesrate tatsächlich viel tiefer.» Die Grippe beispielsweise fordere bis zu 2,5 Prozent Tote: «Man unterschätzt also tendenziell das Altbekannte, das Neuartige wird dagegen als viel bedrohlicher eingestuft.»
Heute ist das Neuartige hingegen plötzlich die nackte Bedrohung, und Vergleiche mit der Grippe sind verboten. Ganz zu schweigen davon, dass SRF heute immer noch die milden Verläufe, die absolute Mehrheit, in irgendeiner Weise würdigen würde. Seit diesem denkwürdigen Januar 2020 wurde aus der grippeähnlichen Erkrankung, die überschätzt werde, bei SRF plötzlich das ultimative Killervirus.
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Für die Schweiz wurde damals jedenfalls Entwarnung gegeben. «Die Wahrscheinlichkeit, sich in der Schweiz anzustecken, ist verschwindend gering», gab der Wissenschafsredaktor zu Protokoll. Wenige Wochen später waren wir dann plötzlich alle gefährdet. Weil das Virus unterschätzt worden war? Oder weil es aus irgendwelchen Gründen, die wir alle nicht kennen, unbedingt so aussehen sollte?
Überhaupt war Covid-19 damals, im Januar 2020, vor allem ein Thema für reichlich viel Heiterkeit. Nau.ch brachte Ende Monat eine Geschichte, wonach immer mehr Menschen glauben, dass Corona durch das gleichnamige Bier verbreitet werde. In China seien «schon fast 200 Infizierte wegen dem Corona-Virus gestorben», hiess es weiter. 200 Tote in China, das ist der berühmte Sack Reis, der umfällt. Aber aufgrund der Namensgebung seien viele Leute überzeugt, das Bier namens Corona habe etwas mit den Vorfällen zu tun. Da müsse nun die korrekte Information dagegen helfen.
Das grösste Problem damals war also nicht die Gefährdung der Schweizer Volksgesundheit, sondern der drohende Imageverlust einer Biermarke.
Auch der Bund blieb sehr locker. Daniel Koch, der spätere «Mister Corona», geriet in jenen Tagen erstmals ins Licht der Öffentlichkeit. Und stellte klar, dass Corona in erster Linie eine chinesische Angelegenheit sei, ausserhalb von China handle es sich zurzeit nicht um eine Epidemie. Die Schweiz plante, 14 Personen aus China zurückzubringen, die in Sorge waren. Im eigenen Land gebe es keine Coronafälle. Und es gab auch keinerlei Aufforderungen, irgendwelche Vorkehrungen zu treffen. Distanz, Masken, all das war weit weg. Keine Rede von einer Pandemie.
Was besagt: Dasselbe Virus, das heute die Gesellschaft umpflügt, wurde damals als lokale Geschichte mit sehr begrenztem Gefährdungspotenzial eingestuft. Sogar die Wissenschaftsredaktion von SRF räumte ein, dass die kolportierten Todeszahlen wohl nur einer falschen Einschätzung zu verdanken sind.
Die grosse Frage ist nun: Hat man sich damals geirrt? Oder fiel irgendwann der Beschluss, das Ganze nach mehr aussehen zu lassen, als es war? Dass ein Virus, das in China auftaucht, früher oder später auch in Europa ist, müsste in einer globalisierten Gesellschaft selbstverständlich sein. Dennoch war hierzulande kein Mensch beunruhigt.
Für den Moment.
Aber geben wir zum Schluss dem Mann das Wort, der seit über einem Jahr im Fokus steht: Bundesrat Alain Berset. Was sagte er damals, im Januar 2020? Man habe der WHO die Hilfe bei der Bekämpfung des Virus angeboten. Uneigennützig gewissermassen, weil es uns selbst ja nicht betreffe. Im eigenen Land drohe sowieso keine Gefahr, denn für solche Ereignisse existierte «ein Aktionsplan».
Die Öffentlichkeit erfuhr vorläufig nicht, wie dieser «Aktionsplan» aussah. Sie musste aber staunend zusehen, was aus Alain Bersets öffentlicher Entwarnung nur wenige Wochen später wurde.
Mehr in der «Corona-Chronik», Teil 2.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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