Die Schweizerische Ärztezeitung bietet die Möglichkeit zur Meinungsabgabe. Die nutzt ein pensionierter Thurgauer Hausarzt für einen grenzwertigen Vorschlag. Er will ungeimpfte Leute von der Spitalpflege ausschliessen.
Der Vorschlag ist weder neu noch originell. Aber meistens kommt er von Gesundheitsökonomen, die den Begriff «Okonomie» stärker werten als «Gesundheit». Er lautet: Wer sich nicht impfen lässt, soll auf eine Intensivbehandlung verzichten, falls er oder sie stark an Corona erkrankt
Aktuell kommt die Forderung von einem inzwischen pensionierten Hausarzt aus dem thurgauischen Güttingen. Sein Name: Marco Casanova. In der Ärztezeitung schreibt er:
«Wer sich nicht impfen lassen will, verzichtet freiwillig auf die Errungenschaften der modernen Medizin. Aber dann bitte konsequent. Also auch Verzicht auf Intensivbehandlung im Falle eines schweren Verlaufes einer COVID. Damit kann eine Dekompensation unserer Intensivstationen vermieden werden und Querdenken muss nicht verboten werden.»
Der kurze Beitrag strotzt vor Verallgemeinerungen und Schuldzuweisungen. Als ehemaliger Arzt müsste Casanova wissen, dass die Schweizer Intensivstationen zu keinem Zeitpunkt nahe einer Überlastung waren und sich das auch in keiner Weise abzeichnet. Der Thurgauer nennt es kreativ «Dekompensation», auch wenn sich der Begriff eigentlich auf den menschlichen Organismus und nicht auf eine Spitalabteilung bezieht.
Der Begriff «Querdenker» diffamiert die wachsende Zahl der Kritiker der Impfkampagne. Die Forderung schliesslich, einer bestimmten Gruppe die Intensivpflege im Fall einer Erkrankung zu verweigern, ist ein Thema für Ethiker.
Würde man die Idee konsequent anwenden, müsste jeder, der beim Ausüben einer Risikosportart verunfallt oder allgemein einen ungesunden Lebensstil pflegt, also «freiwillig» potenziell spitalreif wird, von einer Behandlung ausgeschlossen werden oder die Kosten selbst tragen. Das kann man als Gesellschaft natürlich beschliessen. Es isoliert auf das Thema Covid-19 anzuwenden, ist allerdings in keiner Weise haltbar. Zumal beispielsweise Erkrankungen durch den Genuss von Nikotin oder Herzprobleme durch einen «falschen» Lebensstil nach wie vor die Folgen des Virus locker ausstechen.
Aber auf der positiven Seite: Der bewusste Arzt ist inzwischen ausser Dienst und behandelt keine Patienten mehr.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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