Eine «Karl-Marx-Party der Juso in Wil wurde von einigen Pöbeln gestört. War die Polizei inaktiv?
Karl Marx, Vordenker von Sozialismus und Kommunismus, wäre am 5. Mai 200 Jahre alt geworden. Das hat er nicht ganz geschafft. Aber die Jungsozialisten (Juso) Wil-Toggenburg wollten seinem Geburtstag dennoch gedenken mit einer «Karl Marx Party» an der Volkshochschule in Wil. Für den theoretischen Teil, ein Podium rund um die Theorien von Marx, reichte es noch, danach aber artete es offenbar aus. «Kaum war das Podium fertig, wurde die Party von rechten Fussballfans unterbrochen, die pöbelnd und gewaltbereit hineinkommen wollten», schreiben die Juso in einer Medienmitteilung. Die Rede ist von Bedrohung, verbalen Attacken und einer Flasche, die geworfen wurde. «Nur knapp konnten die Juso entkommen und so wurde glücklicherweise niemand verletzt», heisst es dazu.
Auf dem rechten Auge blind?
Das alles klingt recht dramatisch. Die Wut der Jungsozialisten richtet sich allerdings nicht nur gegen die Störenfriede, sondern auch gegen die Polizei. Sie sei informiert wurden, «jedoch liess sie lange auf sich warten.» Und sie sei «sichtlich nicht gross interessiert an dem Vorfall» gewesen und «fanden, sie haben besseres zu tun als uns zu beschützen.» Diese Sichtweise gipfelte in der Behauptung der Juso, die Polizei sei «auf dem rechten Auge blind».
Aus der unschönen Begegnung wird damit eine politische Stellungnahme. Gibt es Anlass zur Annahme, dass die Störenfriede mit Samthandschuhen angefasst wurden, weil Rechte sanfter behandelt werden als Linke? Eine Darstellung der Sache, die nicht ganz mit den protokollierten Ereignissen aus Sicht der Polizei übereinstimmt. Diese ist einerseits umgehend angerückt, andererseits hat sie durchaus einiges an Aufwand betrieben. Man sei kurz vor 22 Uhr informiert worden, dass eine Veranstaltung in Wil gestört werde. «Rund 15 Minuten später war eine Patrouille vor Ort», sagt Gian Andrea Rezzoli, Sprecher der Kantonspolizei St.Gallen. Zu diesem Zeitpunkt war nichts mehr zu sehen von pöbelnden oder skandierenden Leuten. Aufgrund von Hinweisen fanden die Polizisten die Störenfriede in einer nahen Gartenbeiz. Man habe sämtliche Personen kontrolliert und alle Personalien aufgenommen, so Rezzoli. Es habe sich um Fans des FC Wil gehandelt, die danach aufgefordert wurden, ins Innere des Lokals zu wechseln, was sie auch taten.
Zweistündiger Einsatz
Weil sich die Juso-Mitglieder fürchteten, wurde vereinbart, dass sie am Ende der Veranstaltung vom Partyort zum Bahnhof begleitet werden. Das wurde um Mitternacht dann auch so gemacht, «inklusive einem Patrouillenfahrzeug, das mitfuhr», erklärt der Polizeisprecher. Alles in allem dauerte der Einsatz also über zwei Stunden - die Personenaufnahme von vermutlich nicht mehr ganz nüchternen Fussballfans inklusive.
Mehr zu tun gab es für die Polizisten aus einem einfachen Grund nicht: Niemand erstattete Anzeige gegen irgendjemanden. Mögliche Tätlichkeiten wie beispielsweise der Flaschenwurf waren nicht mehr nachvollziehbar. Rezzoli: «Im Fall einer Anzeige hätten wir der Sache auf den Grund gehen können, da wir die Personalien der Beteiligten aufgenommen haben.» Ohne eine Anzeige fehlte aber eine Handhabe, weiter zu gehen. In diesem Fall scheint die Polizei also - wie es von ihr erwartet wird - auf beiden Augen blind gewesen zu sein.
Die Fanclubvereinigung «Sektor D» des FC Wil hat sich inzwischen in einer Stellungnahme von den Ereignissen distanziert. Die «Störaktion» habe nichts zu tun mit den organisierten Fans, es handle sich um Einzelpersonen, wenn es Fans des FC Wil gewesen sein sollten. Gleichzeitig wird kritisiert, dass «durch eine Aktion von einer Minderheit gleich auf die komplette Fangemeinschaft des FC Wil geschlossen wird.»
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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