Der Gastrolockdown ist nicht nur für die betroffenen Betriebe ein Drama. Sondern auch für die Menschen, die zum Znüni oder Zmittag auf eine offene Beiz angewiesen wären. Eine Petition fordert, dass Gastrobetriebe für diese Kundschaft zu Kantinen umfunktioniert werden.
Eigentlich hat die Petition, die von der Obwaldner SVP-Nationalrätin Monika Rüegger initiiert wurde, ein prominentes Vorbild. Das «Galerie des Alpes» im Innern des Bundeshauses war früher, auch in der offiziellen Bezeichnung, ganz einfach ein Restaurant. Dort assen nicht nur die Parlamentarier, sondern auch ihre Gäste. Sie tun das in edler Ambiance. Die Betreiberin, die Gastronomiegruppe ZFV, bezeichnet ihr Restaurant im Parlamentsgebäude als den Ort, «in dem sich unter anderem die Parlamentarier nach intensiven Debatten erholen und für neue Taten stärken.» Wir sehen es vor uns, wie sich völlig entkräftete, ausgelaugte Bundesparlamentarier über das Essen hermachen, um danach wieder auf ihren Stuhl zu sitzen und gestärkt die Zeitung zu lesen und private Mails zu versenden (Ausnahmen ausgeklammert).
Mit der Kantine einer Büezerbude hat das «Galerie des Alpes» wenig zu tun. Allerdings ist es so, dass dort nur Leute speisen, die Zugang zum Bundeshaus erhalten, damit ist das Restaurant streng genommen nicht öffentlich zugänglich. Deshalb läuft es seit dem Lockdown als «Kantine». Gegen Kritik darüber, dass es offen hat, wie sie beispielsweise Nationalrat und Verleger Roger Köppel als Direktbetroffener geäussert hat, wird stets dieses Argument ins Feld geführt. Das Bundeshaus ist quasi ein Betrieb, seine «Angestellten» gehen ja nur husch rüber in die Betriebskantine. Auch wenn dort weisse Servietten auf weissen Tischtüchern liegen.
Sicher ist nur: Wer im Bundeshaus politisiert oder arbeitet, muss sich keine Gedanken machen, wo er einen Kaffee trinkt oder zu Mittag isst. Im schlimmsten Fall lässt man sich das Essen eben von einem Lieferdienst ins komfortable Büro liefern, und sogar die Bestellung wird einem noch vom Sekretariat abgenommen. Vor eine ganz andere Herausforderung sind derzeit aber im ganzen Land Menschen gestellt, die kein Homeoffice machen können und für ihre Arbeit laufend unterwegs sind und auf einen warmen Unterschlupf und ein Essen angewiesen sind. Beides finden sie derzeit schlicht nicht.
Die Rede ist von Arbeitern, Monteuren, Lieferanten. Man kann bei seinem Kunden keinen Heizkessel ersetzen von zuhause aus. Man muss dort sein. Und man kann auch nicht einfach immer zwischen zwei Aufträgen gemütlich nach Hause fahren und ein Mittagessen kredenzen lassen. Der Tag dieser Menschen ist durchgetaktet, der Kunde ist König, überflüssige Kilometer und Leerzeiten müssen verhindert werden.
Hier setzt die erwähnte Petition an. Sie fordert, dass Restaurants während des Lockdowns als Kantinen betrieben werden dürfen. Sie sollen also geöffnet werden können für Leute, die derzeit draussen arbeiten müssen beziehungsweise unterwegs sind. Sie haben neben der Nahrungsaufnahme noch andere Probleme, beispielsweise müssen sie mal auf die Toilette, und das am liebsten, ohne den nächstgelegenen Bahnhof suchen und einen Franken einwerfen zu müssen.
Wie das konkret umgesetzt werden soll, ist die andere Frage. Theoretisch müsste man diese Möglichkeit allen Gastrobetrieben eröffnen, vor allem auf dem Land, in der Stadt ist es noch eher möglich, sich eine schnelle Verpflegung zu holen und irgendwo einen Unterschlupf zu finden. Wobei auch das alles andere als sexy ist.
Es ist aber nicht anzunehmen, dass die Politik offene Ohren hat für das Anliegen. Denn in Bern, aber auch in den Kantonen, haben die Leute, die Entscheidungen fällen, in aller Regel keine Probleme, sich an der Wärme zu verpflegen. Sie müssten sich also in die Situation von Kaminfegern, Sanitärinstallateuren und Elektromonteuren hineinfühlen, und das ist ziemlich schwierig, wenn man fix vom Staat besoldet ist und immer saubere Hände hat.
Aber gleichzeitig: Möglichst viele Unterschriften für die Petition sind ein Zeichen aus der Bevölkerung, und wenn dann nichts passiert, ist es zumindest aktenkundig, dass sich die Politik nicht für die mit Händen arbeitende Bevölkerung interessiert. In diesem Sinn: Mit der besten Empfehlung.
Nachtrag: Auch in der «Galerie des Alpes» gibt es Einschränkungen. Konkret werden nur noch Zweiertische bedient, wie uns ein Nationalrat inzwischen mitgeteilt hat, und von denen gibt es zu wenige. Es kann also vorkommen, dass sich auch Parlamentarier auswärts verpflegen müssen. Hier ein aktuelles Bild, allmählich nähert sich das Bundeshaus-Restaurant in der Tat einer Kantine, wenn man Decken und Wände vergisst:
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.