Es gibt viele praktische Argumente gegen die Idee, das Volk direkt über die Löhne seiner Behörde entscheiden zu lassen. Ein gewichtiger Grund für ein Ja am 9. Februar im Kanton St.Gallen könnte aber ein prinzipieller sein: Zu oft vergessen Amtsinhaber, wer eigentlich ihr Arbeitgeber ist.
«Behördenlöhne vors Volk»: Der Titel der Initiative, über die im Kanton St.Gallen am 9. Februar abgestimmt wird, ist clever gewählt. Kurz, prägnant, eindeutig - und er holt den «Stammtisch» ohne Zweifel ab. Denn dort ärgert man sich schon lange über die Intransparenz, die beispielsweise um die Löhne von Gemeindepräsidenten herrscht. Diese Intransparenz will auch die St.Galler Regierung beseitigen, es aber dabei belassen. Sie sagt wie auch das Parlament Nein zur Initiative, die letztlich bedeuten würde, dass die Stimmbürger sagen, was ihr Oberhaupt verdient. Es nur zu wissen, ist den Initianten zu wenig.
Die Initiative dürfte es schwer haben an der Urne, weil die Unterstützung eines Grossteils der Parteien fehlt und man gegen den Vorschlag auch nachvollziehbare Argumente anführen kann. Allen voran dieses: Die Lohnentscheidung beim Volk könnte bedeuten, dass missliebige Gemeindepräsidenten via Portemonnaie abgestraft werden. Und weil es immer Unzufriedene in einer Gemeinde gibt, wird dieses Risiko als hoch betrachtet. Stattdessen könne man ja alle vier Jahre mit dem Wahlzettel seine Unzufriedenheit (oder Zufriedenheit) ausdrücken., sagen die Gegner.
Wir selbst haben auch schon auf diese mögliche Gefahr hingewiesen. Aber vielleicht gibt man dem Stimmvolk damit auch einfach zu wenig Kredit. Schon heute ist es ja theoretisch so, dass eine Bürgerversammlung einen Steuerfuss von null Prozent beschliessen könnte, wenn sie wollte. Deshalb sind Politiker aus anderen Ländern ja auch so verblüfft über unsere direkte Demokratie, weil sie fest glauben, dass diese bei ihnen ausgenutzt würde. Nur: Wir haben eine lange Erfahrung damit und handeln in aller Regel vorausschauend und nicht auf den kurzfristigen Vorteil bedacht. Wir wissen, dass wir uns selbst schaden mit scheinbar attraktiven, auf lange Sicht aber schädlichen Entscheidungen.
Warum sollte das bei den Behördenlöhnen anders sein? Die meisten Bürger sind sich bewusst, dass die Führung einer Gemeinde ein Knochenjob mit einer riesigen Präsenz ist. Und die meisten gönnen dem Gemeindepräsidenten ein anständiges Gehalt. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass Gemeindebehörden im Sold der Menschen stehen, die dort wohnen und Steuern zahlen. Sie müssen diesen Rechenschaft ablegen. Und es hat eine gewisse Logik, dass die Bürger als Arbeitgeber auch den Lohn bestimmen. Das Gehalt muss anständig sein und der Aufgabe entsprechen, keine Frage. Das tut es aber mit Sicherheit nicht in allen Fällen - gegen unten und gegen oben.
Argumentiert gegen die Initiative wird auch damit, dass Gemeindepräsidenten bei einer solchen Abhängigkeit nicht mehr unabhängig zum Wohl der Gemeinde arbeiten könnten, sondern stets darauf achten müssten, nirgends anzuecken. Dazu zwei Dinge. Zum einen müssen sie das heute schon, weil sie wiedergewählt werden wollen. Und zum anderen ist es utopisch zu glauben, dass die Mehrheit einer Bürgerversammlung spontan Löhne kürzt, nur weil Max Muster nach einer nicht erteilten Baugenehmigung sauer ist auf den Gemeinderat. Auch hier wieder: Trauen wir den Bürgerinnen und Bürgern wirklich nicht mehr zu? Wenn wirklich eine Mehrheit findet, der Gemeindepräsident verdiene zu viel, dann wird wohl auch wirklich etwas im Argen liegen. Und dann ist eine Kürzung ein Weckruf für den obersten Angestellten der Gemeinde.
In Wahrheit ist es stossend, dass über doch erhebliche Kostenposten in den Gremien, die davon betroffen sind, selbst entschieden wird, wie es heute der Fall ist. Dass das einem Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft, der Ende Jahr schüchtern nach einer kleinen Lohnerhöhung fragt, nicht einleuchtet, ist begreiflich. Geht es um die Verwaltung, kann man sich wenigstens an die Lohnstufen des Kantons anlehnen (auch wenn die Verwaltungslöhne oft grotesk überrissen sind). Aber bei den Entschädigungen für die gewählten Behördenmitglieder gilt heute bereits eine reine Willkür. Die könnte man genau so gut dem Volk übertragen. Denn es ist nicht bekannt, dass dieses grundsätzlich weniger weise urteilt als Behörden.
Eine Prognose: Bei einem (unwahrscheinlichen) Ja zur Initiative wird keine Lohnkürzungswelle durch die St.Galler Gemeinden schwappen. Aber das Bewusstsein der Behörden dafür, wem sie letztlich Rechenschaft ablegen müssen, wird geschärft. Solche Gesetzesänderungen haben ja nie die Mehrheit der unproblematischen Fälle im Visier, sondern jene, bei denen Handlungsbedarf besteht. Es geht um ein neues Instrument, das verantwortungsvoll genutzt werden muss. Und das können wir eigentlich ziemlich gut in unserem Land.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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