Schwerste Vorwürfe gegen einen amtierenden Bundesrat. Der soll zur Regelung einer ausserehelichen Beziehung sein Amt missbraucht haben. Deckt die «Weltwoche» auf. Eine Bombe – und kein Schwein schaut bei den Mainstream-Medien hin.
Die «Weltwoche» enthüllt: Bundesrat Berset habe «in seiner Erpressungsaffäre die Unwahrheit gesagt, Bundesbeamte missbraucht und Steuergeld verschleudert». Sie beruft sich dabei auf die Akten einer Strafuntersuchung, die sich mit der letzten November explodierten Erpressung gegen Bundesrat Alain Berset befasste.
Damals wurde bekannt, dass BR Berset eine Strafanzeige gegen eine Frau eingereicht hatte, die von ihm 100'000 Franken verlangte. Was damals nach einer aus dem Ruder gelaufenen ausserehelichen Liebschaft aussah, scheint sich zur Staatsaffäre zu entwickeln.
Statt zu bezahlen, schaltete Berset die Bundesanwaltschaft ein, die Verflossene wurde von einer Spezialeinheit verhaftet, ihre Wohnung durchsucht und Computer beschlagnahmt. Dann wurde sie einem strengen Verhör unterzogen und schliesslich wegen versuchter Erpressung per Strafbefehl verurteilt.
Danach war plötzlich absolute Ruhe, offenbar war eine Stillschweigensvereinbarung abgeschlossen worden. Diese Ruhe dauerte bis Donnerstag an. Offensichtlich ist es der «Weltwoche» gelungen, an Untersuchungsakten heranzukommen, die eine pikante Geschichte zu belegen scheinen.
Die Eckpunkte: Nachdem sich die abgelegte Geliebte bei Berset gemeldet hatte, setzte der Bundesrat seinen Stabschef in Bewegung, der den potenziellen Rufschaden, kurz vor den damaligen Bundesratswahlen, in Grenzen halten sollte.
Offensichtlich hatte die Frau damit gedroht, an die Öffentlichkeit zu gehen und auch Kontakt mit Bersets Frau aufzunehmen. Laut einem Mail führte sie aus: «Wenn herauskommt, dass Herr Bundesrat seine Frauengeschichten durch einen vom Staat finanzierten Sekretär abhandeln lässt, könnte sich die Täterrolle wegen Amtsmissbrauchs auf Ihren Chef wenden.»
Ihre Geldforderung begründete sie vor allem damit, dass der Bundesrat die Kosten einer von ihm verlangten Abtreibung übernehmen sollte, da er ungeschützt Geschlechtsverkehr gehabt habe. Es wurde dann sogar ein Termin für die Übergabe fixiert. Stattdessen kam die Polizeiaktion.
Ein ebenfalls in Marsch gesetzter Anwalt nahm seinerseits Kontakt mit einem Psychiater auf, der per Ferndiagnose eine mögliche Schizophrenie feststellte. Offenbar sollte hier eine Drohkulisse aufgebaut werden, um die Mutter eines vierjährigen Kindes einzuschüchtern.
Das ist dann auch laut «Weltwoche» gelungen: «Plötzlich nahm sie per vierseitigem zivilrechtlichem Dokument unter Entschuldigung an die Adresse des Ehepaars Berset sämtliche Vorwürfe zurück. Weder habe ihr Alain Berset ein späteres gemeinsames Leben versprochen noch sei sie von ihm schwanger gewesen noch habe er sie zum Abbruch der Schwangerschaft genötigt und dafür 100 000 Franken versprochen.»
Gegen Stillschweigen soll dann BR Berset auf seine happigen Forderungen im Rahmen einer Parteienentschädigung verzichtet haben. Wenn all diese Behauptungen zutreffen, handelt es sich hier zweifellos um eine Staatsaffäre.
Zur Debatte stünden Machtmissbrauch, die Verwendung von Staatsangestellten zur Regelung einer persönlichen Angelegenheit, Falschaussage über die Dauer der Beziehung, die laut Berset weniger als ein Jahr betrug, laut der anderen Beteiligten aber von ihm zumindest per heissem Mail-Verkehr über Jahre fortgeführt wurde.
Ob das alles so ist, wird sich sicherlich erweisen. Was aber verblüfft: während Bundesrat Maurer sich lediglich das T-Shirt von «Freiheitstrychlern» überstreifen muss, um laut Tamedia eine Staatsaffäre auszulösen, mit einer wahren Artikelflut in den Mainstream-medien hart kritsiert wird, sogar Rücktrittsforderungen laut werden, herrscht in der Affäre Berset – Schweigen im Medienwald.
Eine Anschuldigung von dieser Dimension müsste eigentlich sofort aufgenommen werden, zumindest als Bericht, garniert mit einer Distanzierung von der «Weltwoche». Der Einzige, der bislang der Berichterstatterpflicht nachkam, war Lukas Hässig mit seinem Finanzblog «Inside Paradeplatz». Dass der WeWo-Bericht auf Interesse stösst, belegt, dass die Anzahl Kommentare und die von Hässig immer ausgewiesene Anzahl von Single Visitors, die den Artikel zumindest anklickten, durch die Decke geht.
Wir haben also statt einem Skandal gleich zwei. Das mögliche, grobe Fehlverhalten eines Bundesrats, wie es bislang in der modernen Schweiz nicht denkbar war. Und das erwiesene Fehlverhalten der sogenannten Qualitätsmedien, die sich offenbar entschlossen haben, wegen des Absenders (und wegen der Parteizugehörigkeit des betroffenen Bundesrats) ein Schweigegelübde abzulegen.
Erst nach längerem Schweigen meldeten immerhin CH Media und die NZZ die neuerliche Enthüllung der «Weltwoche». Allerdings abwiegelnd und mit der Botschaft: alles kein Ding.
Ein weiterer Grund dafür, dass die Verlegerclans, die ein solch eklatantes Versagen tolerieren, sicherlich nicht dafür mit einer weiteren Steuermilliarde unterstützt werden sollten.
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