Die Medien-Spekulationen im Fall «Ylenia» veranlassten die Staatsanwaltschaft und die Kriminalpolizei zur Abhaltung einer Medienorientierung. Das Interesse seitens der Presse war gross und dies obschon bereits im Vorfeld klar war, dass der Fall nicht wieder neu aufgerollt werden würde.
Gleich zu Beginn der Pressekonferenz stellte die Medienbeauftragte der Staatsanwaltschaft, Beatrice Giger, klar: «Urs Hans von Aesch war der alleinige Täter.»
Danach resümiert sie die bislang bekannten Fakten im Fall «Ylenia»: Die zum Tatzeitpunkt 5-jährige Ylenia wurde am Vormittag des 31. Juli 2007 letztmals in Appenzell lebend gesehen. Danach wurde sie entführt, durch Toluol vergiftet und ihre Leiche im Hartmannsholz in Oberbüren vergraben. Die breit angelegte Untersuchung der Strafverfolgungsbehörden ergab damals zweifelsfrei, dass Urs Hans von Aesch der Täter war. Dieser nahm sich noch am Tag von Ylenias Verschwinden mittels eines selbst gebastelten Schussapparats im Wald bei der Billwilderhalde in der Umgebung von Oberbüren das Leben.
Recherchen, namentlich von «Blick» und «TVO», warfen in ihren Beiträgen der Staatanwaltschaft und der Kantonspolizei St. Gallen vor, sie hätten bei der Aufklärung des Verbrechens unsorgfältig gearbeitet. Weil Zeugen nicht ernstgenommen worden seien oder deren Aussagen falsch interpretiert worden waren, hätten die Strafverfolgungsbehörden die Mittäterschaft von zwei Männern ausser Acht gelassen und seien von einer Alleintäterschaft von Aeschs ausgegangen. Auch dessen Suizid wurde angezweifelt und stattdessen als Tötungsdelikt dargestellt.
Vorwürfe, die weder die Staatsanwaltschaft noch die Kriminalpolizei auf sich sitzen lassen wollen und können: Es seien mehr als 1500 Hinweise aus der Bevölkerung bei der Polizei eingegangen. Darunter auch diejenigen, der in den zwei Medien zitierten angeblichen Hauptzeugen.
Der Leiter der Kriminalpolizei, Stefan Kühne, nimmt zuerst Stellung zu den Zweifeln an von Aeschs Suizid:
• Auf der Leiche und an der Hand von von Aesch sind Schmauchspuren nachweisbar
• Auf der Waffe befinden sich nur von Aeschs Spuren
• Alle Spuren am Tatort dokumentieren einen Suizid, so auch der Verlauf der Schussbahn und der Auffindort der Leiche
• der Auslösemechanismus der selbst gebastelten Waffe sei nicht einfach zu bedienen und sehr speziell angelegt
Auch im weissen Lieferwagen sind ausschliesslich Spuren von Ylena und von Aesch nachweisbar. Ebenso auf den sichergestellten Elektroschockgeräten, die am Wegkreuz aufgefundenen persönlichen Gegenstände und Ylenias Kickboard und an der Schaufel, die daneben gelegen hatte. Kühne konkludiert: «Nicht eine Spur ist zurückzuführen auf eine Drittperson. Oder anders formuliert: Es ist an keinem einzigen Ort eine Spur vorhanden, die einer allfälligen unbekannten Drittperson zugeordnet werden könnte.»
Erfundene Verbindungen
Im weiteren Verlauf wurden die Aussagen des angeblichen Zeugen A.R., der im Beitrag von «TVO» einen W.F. als möglichen Mittäter zur Sprache brachte, als unglaubwürdig und widersprüchlich widerlegt. Auch dass A.R. im «Blick» und auf «TVO» gesagt habe, dass W.F. und von Aesch sich gekannt haben, kontert die Polizei mit einem Protokollauszug von 2013, als A.R. verhört worden war: «Irgendwie kam oder kommt mir der Name von Aesch irgendwie bekannt vor. Ich weiss nicht, ob ich mal für einen von Aesch eine Autolackierarbeit durchgeführt hatte und /oder W.F. und von Aesch sich allenfalls gekannt hatten.» Weitere relevante Hinweise auf eine allfällige Bekanntschaft zwischen von Aesch und W.F. seien der Polizei nicht bekannt und zeigten sich auch nicht in den Ermittlungsakten.
Auch der dritte Vorwurf, der von von Aesch angeschossene W.B. sei ebenfalls an der Tat beteiligt gewesen, widerlegt der Kriminalpolizist ausführlich: Es gibt schlicht und einfach keine faktenbasierten Beweise für eine solche Verbindung.
Im Glaubhaftigkeitscheck durchgefallen
Der Erste Staatsanwalt, Christoph Ill, untersuchte im Anschluss die Glaubhaftigkeit einer von «TVO» präsentierten Zeugin und deren Sohn. Beide wollen den weissen Kastenwagen, in dem Ylenia entführt worden war, an einer Kreuzung gesehen haben.
Bereits am 3. August 2007, also vier Tage nach der Tat – die Leiche Ylenias war noch nicht gefunden worden, wurde die Zeugin und ihr Sohn einvernommen. Die Frau konnte sich am 3. August nicht mehr genau erinnern, ob sie am 2. August oder am 31. Juli nach Niederuzwil gefahren sei, um ihren Sohn in die Schule zu bringen.
Der Sohn hingegen bestätigte, dass es am 2. August gewesen war, weil er jeweils donnerstags am Nachmittag und dienstags am Morgen in die Schule müsse. Zwei Tage nach der erneuten Einvernahme der Mutter korrigierte der Sohn dann seine Aussage und sagt, dass es doch der 31. Juli gewesen war. Die Polizei ist der Ansicht, dass das aufgrund der Umstände gar nicht sein könne, da die Abfahrtszeit mit 13.15 Uhr angegeben wurde und der Unterricht nur donnerstags, also am 2. August, nachmittags stattfand.
Es ist folglich unmöglich, dass die beiden den weissen Kastenwagen von Aeschs gesehen haben, da dieser zu diesem Zeitpunkt bereits tot und das Auto schon sichergestellt war.
Ill zeigte auch die inkonstanten und widersprüchlichen Aussagen der Zeugin auf, als es um den beobachteten Vorfall an besagter Kreuzung ging. Sie widersprach im Laufe der Befragung nicht nur sich selbst, auch waren ihre Aussagen nicht deckungsgleich mit denjenigen ihres Sohnes. Ill dazu: «Ganz generell ist festzuhalten, dass die Erinnerungen der Zeugin mit zunehmender Dauer immer konkreter werden und nicht mit früheren eigenen Aussagen und schon gar nicht mit denen ihres Sohnes oder dem Spurenbild übereinstimmen.»
Falsches Bild korrigieren
Aufgrund der medialen Berichterstattung sei ein falsches Bild der Ermittlungsarbeiten der Strafverfolgungsbehörden entstanden und dies gelte es zu korrigieren, sagte die Mediensprecherin eingangs der Pressekonferenz.
Fazit: Das ist gelungen. Die vom «Blick» und von «TVO» beschworenen Geister erwiesen sich als unglaubwürdige Zeugen und ihre Recherchen waren nicht faktenbasiert. So waren es denn auch lediglich die beiden Journalisten, die in der abschliessenden Fragerunde insistierten und auf Detailfragen rumhackten, bis Ill und Kühne leicht ungeduldig wurden: «Diesen mutmasslichen Täter gab es nicht, auch jetzt nicht. Eine Verbindung zwischen von Aesch und W.F. bestand nie», sagte Ill und auf das Phantombild angesprochen, dass die Zeugin mit dem «Blick» erstellt hatte, sagte Kühne: «Wenn Sie jemandem ein Phantombild zeigen und die Person sagt dann, dass das genau die Person war, die sie vor zwölf Jahren in einem Auto gesehen hat, so hat das einen Beweiswert von Null.»
Am Schluss der Konferenz wusste man darum, was man schon zu Beginn wusste: Die Akte bleibt geschlossen. Aber jetzt weiss man auch warum: Sämtliche Fakten wiedersprechen den Spekulationen von «Blick» und «TVO». Eine Wiederaufnahme des Falles ist auch juristisch nicht möglich, da schlicht keine Wiederaufnahmegründe vorhanden sind, da es keinen begründeten Tatverdacht gegen eine andere Person als gegen Urs Hans von Aesch gibt.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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