Autor/in
Noemi Rieger
Noemi Rieger ist Team Leader Office Management bei Nellen & Partner in St.Gallen.
Noemi Rieger ist Team Leader Office Management bei Nellen & Partner in St.Gallen.
Gleichberechtigung von Frauen im Berufsleben steht hoch im Kurs. Die Situation in der Schweiz hat sich dem jüngsten Global Gender Gap Report 2020 des Weltwirtschaftsforums zufolge verbessert. Sie rangiert nunmehr auf Platz 18 von 153.
Jedoch bestehen insbesondere bezüglich der Erwerbsquote, der Lohngleichheit, dem geschätzten Arbeitseinkommen sowie dem Bekleiden von Führungspositionen und politischen Ämtern noch grosse Unterschiede zu den Männern. In Diskussionen werden hauptsächlich Nachteile für Frauen thematisiert. Vorteile, die Frauen aus der derzeitigen Situation schöpfen können, werden hingegen seltener berücksichtigt. Dabei haben die Chancen das Potenzial, manchen Nachteil auszugleichen.
Dass Frauen insbesondere in höheren Managementpositionen – und in der Politik – noch immer untervertreten sind, sie öfter in Teilzeit arbeiten, weniger Einkommen haben als Männer und im Alter schlechter abgesichert sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Das bestätigt auch die 5. Taschenstatistik über die Gleichstellung von Frau und Mann des Bundesamtes für Statistik. Dort heisst es, dass bei der Lohngleichheit sowie in den politischen Ämtern eine Stagnation oder sogar ein Rückschritt in der Entwicklung zur Geschlechtergleichstellung feststellbar ist. Im Rentenalter wirken sich die tieferen Löhne und der hohe Teilzeitanteil der Frauen negativ aus. Deshalb zu fordern, Frauen müssten vermehrt Vollzeit arbeiten, zumal junge Frauen heute laut Bundesamt für Statistik über einen gleich guten oder höheren Bildungsstand als junge Männer verfügen, ist jedoch zu kurz gegriffen.
Aussichtsreiches Topsharing
Denn die Zusammenhänge sind komplexer. Das zeigen die Zahlen ebenfalls. Zwar gehen von den erwerbstätigen Frauen 59 Prozent einer Teilzeitarbeit nach und von den erwerbstätigen Männern nur 17,6 Prozent, jedoch hat die Teilzeitarbeit bei beiden Geschlechtern zugenommen. Das ist ein Beleg dafür, dass sowohl Frauen als auch Männer nicht unbedingt in Vollzeit arbeiten wollen. Das bestätigt die Studie «Jobcloud Market Insights» von Jobcloud in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft ZHAW. Ihr zufolge kommt die zusätzliche Nachfrage nach Teilzeitstellen heute verstärkt von Männern. Davon können wiederum Frauen profitieren – zum Beispiel im Rahmen des Topsharings.
Topsharing bezeichnet das Jobsharing in Bezug auf Führungspositionen. Chefinnen, die sich die Führungsposition teilen, sind der Neuen Zürcher Zeitung zufolge zwar noch selten, aber es gibt sie. Beispiele seien die Co-Chefärztinnen der Frauenklinik des Stadtspitals Triemli in Zürich und die Leiterinnen des Bereiches Unternehmenskommunikation bei der Swisscom. Bei Unilever teilen sich Christiane Haasis und Angela Nelissen bereits seit neun Jahren eine Führungsposition. Sie leiten heute gemeinsam je in einem 60-Prozent-Pensum die Eis- und Teesparte im deutschsprachigen Raum mit rund hundert Beschäftigten, so die NZZ in einem anderen Beitrag.
Und auch bei SAP haben Job-Tandems laut WirtschaftsWoche Tradition. Nicht zuletzt bringt eine solche Arbeitsform der Kundenzeitschrift von Swissconsultants.ch zufolge weitere Vorteile: «In unsicheren Zeiten ist die Unternehmung hinsichtlich des Chancen- und Risikomanagements mit einer Co-Führung besser gerüstet. Ganz nach dem Motto: Vier Augen sehen mehr als zwei.» Das spricht dafür, dass vor allem reifere Unternehmen solche Arbeitsformen nutzen, um im «War for Talents» zu punkten. Doch nicht nur das bedeutet eine Möglichkeit für Frauen, einen aussichtsreichen Job zu finden.
Höhere Erfolgsquote bei Bewerbungen
Vor allem in Branchen wie der IT haben Frauen Chancen auf gut bezahlte, herausfordernde Arbeitsplätze. Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik ist die geschlechtsspezifische Berufs- und Studienfachwahl aufgeweicht. Frauen wählen heutzutage häufiger Fachrichtungen, in denen Männer in der Mehrheit waren oder immer noch sind, wie beispielsweise Naturwissenschaften, Mathematik und Statistik sowie Ingenieurwesen, verarbeitendes Gewerbe und Baugewerbe. Zwar ist es der Branche gemäss Netzwoche noch nicht gelungen, das ungenutzte Potenzial an Frauen auszuschöpfen. Jedoch gibt es MINT-Förderprogramme, die gezielt daran arbeiten, das Image von ICT-Berufen bei Frauen zu verbessern und selbstsicheres Auftreten zu fördern. Dies bestärkt Frauen in ihrem Vorhaben sich zu bewerben. Das allein genügt oft schon.
Denn Bewerbungen von Frauen führen in einigen Unternehmen und für bestimmte Positionen schneller zum Erfolg als Bewerbungen von Männern. Der Grund: Viele Unternehmen haben inzwischen erkannt, welche Vorteile gemischte Teams mit sich bringen. «Ein Team aus Menschen mit unterschiedlichem Alter, Geschlecht, Ausbildungshintergrund und kultureller Erfahrung agiert oft kreativer», ist zum Beispiel im Beitrag «Gender Diversity in Zeiten von Globalisierung und Fachkräftemangel» beschrieben. Deshalb stellen einige Unternehmen Frauen bevorzugt ein. Zum Teil zahlen sie für die Vermittlung von weiblichen Kandidaten sogar ein höheres Honorar.
Digitalisierung als Türöffner
Darüber hinaus befördert die gegenwärtige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nicht nur neue Arbeitsformen wie das Topsharing. Sie wird auch durch die Digitalisierung getragen. Diese bedroht und zerstört durch Automatisierung nicht nur Arbeitsplätze von Frauen in Positionen mit geringerer Qualifizierung, sondern ermöglicht auch flexible Arbeitsformen wie Homeoffice. Zudem hat sie neue Geschäftsmöglichkeiten geschaffen, um zum Beispiel ein eigenes Unternehmen zu gründen.
Zwar ist die Rate von Frauen, die sich hierzulande im Start-up-Ökosystem bewegen und Unternehmen gründen, immer noch klein, wie die Neue Zürcher Zeitung schreibt. Doch das Beispiel von Tadah zeigt, dass solche Projekte besonders grosse und positive Aufmerksamkeit erfahren. Mütter hatten den Coworking Space mit Kinderbetreuung im vergangenen Jahr gegründet, um Familie und Job kräfteschonend zu vereinbaren und es Eltern einfacher zu machen, Familie sowie Job unter einen Hut zu bringen. Gleichzeitig fungieren sie als Vorbilder, die ein Umdenken in der Gesellschaft fördern.
Dieses Umdenken ist auch erforderlich. Denn es gilt, viele Rahmenbedingungen zu verbessern. Dazu zählt die Besteuerung, die meist Frauen benachteiligt. «Dass etwa das Zweiteinkommen höher besteuert wird, ist ein Unding», heisst es in einem Interview mit der Unternehmerin Carolina Müller-Möhl im Tagesanzeiger. Das Steuersystem müsse geändert werden, weil dieses auf einer Rollenverteilung des letzten Jahrhunderts beruhe. Eine Individualbesteuerung wäre ihrer Ansicht nach besser. Darüber hinaus hat die Schweiz Nachholbedarf, was die Kinderbetreuung betrifft. Doch bis das erreicht ist, gilt es, möglichst viele Chancen für Frauen zu erkennen und die Vorteile auszunutzen.
Noemi Rieger ist Team Leader Office Management bei Nellen & Partner in St.Gallen.
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