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jüngste Verordnungsänderung

Covid-Zertifikat: Frontalangriff auf privates Arbeitsrecht

Der Bundesrat gibt vor, durch seine jüngste Verordnungsänderung Klarheit betreffend den Einsatz von Covid-Zertifikaten am Arbeitsplatz zu schaffen. Damit tut er aber das Gegenteil, denn Verordnungen heben Gesetze nun einmal nicht auf.

Artur Terekhov am 20. September 2021

Manchmal muss man Dinge nicht unnötig kompliziert machen, auch wenn rechts und links diverse Leute den Verstand zu verlieren scheinen. Bereits im Juni dieses Jahres hat der Autor in diesem Medium einen Beitrag publiziert, worin er unter Auslegung der bisherigen privatrechtlichen Bestimmungen des Arbeitsrechts sowie privatsphärerechtlicher Datenschutznormen – Stichworte „Fürsorgepflicht des Arbeitgebers“ und „Datensammlung nur, wenn für Arbeitsverhältnis nötig“ – zum Schluss gelangte, dass der Arbeitgeber zur Minimierung aktueller und praktischer Ansteckungsrisiken grundsätzlich zum Testen auffordern könne, eine Impfpflicht aber – analog Art. 6 Abs. 2 lit. d EpG – nur in besonders exponierten Bereichen zulässig sei. Daraus folge, dass der Arbeitgeber nur in jenen (seltenen) Fällen ein Recht darauf habe, zu erfahren, ob ein Mitarbeiter geimpft sei, wenn eine Impfpflicht rein theoretisch zulässig wäre. Jene Rechtsnormen gelten auch heute noch.

Nun aber hat der Bundesrat mit Wirkung per 13.09.2021 zwei Zusatzbestimmungen, Art. 25 Abs. 2bis und 2ter Covid-19-Verordnung besondere Lage, in Kraft gesetzt, wonach Arbeitgebende berechtigt sind, bei den Arbeitnehmenden das Vorliegen eines Covid-Zertifikats nachzuprüfen, „wenn dies der Festlegung angemessener Schutzmassnahmen oder der Umsetzung des Testkonzepts“ dient, wobei das Ergebnis der Überprüfung nicht für andere Zwecke verwendet werden darf. Entschliesst sich der Arbeitgeber zur Überprüfung des Covid-Zertifikats, hat er „dies und die daraus abgeleiteten Massnahmen schriftlich festzuhalten“. Auch hat er die Arbeitnehmenden oder deren Vertretung nach Mitwirkungsgesetz (MWG) vorgängig anzuhören. Soweit die kurze Paraphrasierung der neu erlassenen Verordnungsbestimmungen.

Diese nicht wirklich aussagekräftigen Normen sollen gemäss bundesrätlichen Erläuterungen als „lex specialis“, d.h. einer Spezialnorm, die im Zweifel der allgemeineren Norm vorgeht, das geltende Arbeits- und Datenschutzrecht konkretisieren. Wo dies möglich ist, sei im Sinne der Verhältnismässigkeit das datenminimierte „Zertifikat light“ zu verlangen und selbstverständlich dürfe es zu keiner Diskriminierung zwischen geimpften, genesenen und getesteten Mitarbeitenden kommen. Der Arbeitgeber, der Tests von den Mitarbeitenden verlange, habe bei Einzeltests die Kosten dafür selber zu tragen; nur bei sog. repetitiven Pool-Tests, über deren empirische Zuverlässigkeit man sich nun wirklich streiten kann, trägt der Bund die Kosten durch nachträgliche Vergütung. Doch auch besagte Erläuterungen, FAQ etc schaffen keine eigentliche Klarheit.

Vor diesem Hintergrund erstaunt wenig, dass die praktische Umsetzung der erwähnten Verordnungsneuerung mithin stark variiert. Wie die Berner Zeitung am 14.09.2021 online berichtete, habe der Agrar-Gentech-Konzern Syngenta für seine ca. 1100 Mitarbeitenden die Zertifikatspflicht sehr umfassend eingeführt; die Mitarbeitenden müssten sich beim werkärztlichen Dienst registrieren oder dort kostenlos testen lassen. In eine ähnliche Richtung geht der Impfhersteller Lonza, wobei beide Konzerne ihren zertifikatsfreien Mitarbeitenden die Möglichkeit von Homeoffice einstweilen belassen. Wenig vom Zertifikat hält man hingegen offenbar in der Bankenwelt. CS, ZKB und UBS verzichten durchwegs auf dessen Einführung, vermutlich auch aus – durchaus berechtigter – Angst vor einer Spaltung der Belegschaft. Stattdessen gilt die Maskenpflicht auch für Geimpfte und Genesene; nur beim Sitzen am Arbeitsplatz darf die Maske abgenommen werden. Ähnlich gross dürfte die Bandbreite auch in kleineren Betrieben sein. Exemplarisch genannt sei eine Angestellte, die an ihrem Arbeitsplatz mit nur wenigen Angestellten als einzige Ungeimpfte angehalten wird, nach jeder WC-Benutzung jenes gründlich zu desinfizieren. Dieses (leider reale) Beispiel mustergültiger Apartheid hat die Zürcher Anwältin Silja Meyer auf ihrem öffentlichen Unternehmens-Instagram-Profil anonymisiert geteilt und man weiss nicht, ob man über diesen Irrsinn lachen oder weinen soll.

Bevor man ob diesem Wirrwarr selber wahnsinnig wird, ist es vielleicht hilfreich, selber einen Schritt zurückzugehen und – nachdem Schall und Rauch der aktuellen Verunsicherung halbwegs verzogen sind – sich wiederum geschärften Blickes auf das Wesentliche zu fokussieren. Und dies ist einerseits, dass Geimpfte und Genesene zwar selber – zumindest gegen frühere Virusvarianten, nicht aber neue Mutationen – immun sind, gleichwohl aber Dritte anstecken können. Andererseits ist der gesunde Menschenverstand auch dahingehend einzuschalten, dass man erkennt, dass jeder Arbeitgeber, der am Arbeitsplatz Gratis-Tests für Mitarbeitende ohne Zertifikat anbietet und diese bezahlt, auch weiss, welche Mitarbeiter ihm Kosten verursachen. Indem aber der Arbeitgeber weiss, wer sich testen lässt, erlangt er fast zwingend indirekte Kenntnis vom Immunisierungsstatus eines Mitarbeitenden – etwas, das er allerdings nur in jenen (wenigen) Branchen darf, wo eine Impfpflicht ernsthaft zur Diskussion gestellt werden könnte. Soweit die bundesrätliche Verordnungsänderung bewirkt, dass ein Arbeitgeber Kenntnis vom Immunisierungsstatus eines Mitarbeiters erhält, ohne dass dies nach aktuellem Gesetzesrecht zulässig wäre, erweist sie sich als widerrechtlich bzw. ist sie gesetzeskonform auszulegen.

Denn noch immer steht das Gesetz infolge der gewaltenteilungsbedingten Normenhierarchie über der Verordnung und ist gesetzesderogierendes (Not-)Recht unzulässig. Mithin kann nicht durch eine Verordnung vom Inhalt eines Gesetzes abgewichen werden; genau daher brauchte es ja auch das Covid-19-Gesetz, um gewisse Finanzhilfen z.B. im Bereich der Arbeitslosenversicherung einzuführen, was ohne formellgesetzliche Grundlage bzw. Delegationsnorm unzulässig gewesen wäre. Auch die aktuellen Grundrechtseinschränkungen wären ohne ihre Grundlagen in Art. 36 BV (allgemein) oder Art. 185 BV (notrechtspezifisch) per se illegitim – wobei eine BV-Grundlage allein noch nichts über das öffentliche Interesse an einer Restriktion aussagt.

Da Grundrechte aber nur das Verhältnis Bürger-Staat regeln, bildet Art. 36 BV keine Grundlage, ins allgemeine Vertragsrecht zwischen Privaten einzugreifen. Auch Art. 185 BV als Notrechtskompetenz erlaubt dem Bundesrat bloss, Lücken auf Gesetzesstufe zu füllen, nicht aber, von klarem Gesetzesrecht abzuweichen, wie z.B. eben den Normen, dass ein Arbeitgeber nur Daten über Mitarbeiter bearbeiten darf, wenn diese für die Vertragsdurchführung zwingend sind (Art. 328b OR i.V.m. Art. 13 Abs. 2 lit. a DSG). Der Immunisierungsstatus geht den Arbeitgeber, wie erwähnt, jedoch nur dann etwas an, wenn eine Impfpflicht gegenüber bestehenden Mitarbeitenden nach geltendem Recht zulässig wäre (eine Diskriminierung bei Neueinstellung wäre – dann konsequenterweise aber auf alle Seiten hin – aus freiheitlicher Sicht ein anderes Thema). Dies ist ausserhalb besonders exponierten, sehr eng zu fassenden Bereichen (insb. Gesundheitswesen) aber eben gerade nicht der Fall; der renommierte Privatrechtsprofessor Thomas Geiser sieht eine Impfpflicht bereits im Flugverkehr kritisch.

Daraus folgt konsequenterweise, dass die neuen Art. 25 Abs. 2bis und 2ter Covid-19-Verordnung besondere Lage partiell gesetzeswidrig sind – nämlich dann, wenn sie dem Arbeitgeber das auch nur indirekte Recht geben, den Immunisierungsstatus eines Mitarbeitenden zu erfahren, obwohl eine Impfpflicht am Arbeitsplatz rechtlich nicht zulässig wäre (insb. Büro). Zulässig wäre der Einsatz des Covid-Zertifikats de lege lata, wenn davon die Rückkehr ins Office abhängig gemacht würde und selbst dies nur dann, wenn auch Mitarbeitende mit Zertifikat nach wie vor im Homeoffice arbeiten dürften. Denn einzig mit diesem Vorbehalt hätte der Arbeitgeber keine indirekte Kenntnis vom Immunisierungsstatus eines Mitarbeitenden. Viel intelligenter – und mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz im Arbeitsrecht besser vereinbar – wäre indessen eine Test- oder Maskenpflicht für alle oder niemand (wenn man schon Angst vor symptomlosen Infektionen hat und nicht einfach wie ante Corona bei Krankheit zuhause bleibt). Dies wäre nicht nur rechtskonformer, sondern würde auch dem Umstand Rechnung tragen, dass Geimpfte und Genesene trotz eigener Immunität noch immer Dritte anstecken können. Und die Frage nach dem Impfstatus würde wieder zu dem, was sie ex natura ist: ähnlich privat wie Unterwäsche oder persönliche Gefühlswelt.

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Autor/in
Artur Terekhov

MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.

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