Die Anzeichen verdichten sich, dass eine angeblich zweite Welle zu scharfen Restriktionen führen wird. Bleibt die Frage, was danach noch steht.
«BAG-Kuster besorgt», «BAG meldet 405 neue Corona-Fälle», «Corona pulverisiert das Ergebnis der SBB», «Lage ist stabil, aber fragil». Unter dem Stichwort «Corona» findet man in der Mediendatenbank SMD alleine für den 10. September fast 2000 Treffer.
Man kann also sagen, dass das Thema gut abgedeckt ist. Wohl eher zugemüllt ist mit jeder Menge Datenschrott, Werweissereien, Unkenrufen, Kritik an sogenannten Corona-Leugnern, an Covidioten, aber auch am Bundesamt für Gesundheit.
Der Bürger, auch der Ostschweizer, kann sich’s aussuchen. Wie hätte er es denn gerne? Bald sind wir alle tot? Alles halb so schlimm? Nach der ersten Welle ist vor der zweiten Welle? Droht wieder ein Lockdown? Würde das Wirtschaft und Gesellschaft überhaupt aushalten? Ist der schwedische Sonderweg doch besser als der europäisch-schweizerische? Oder ist Maske, Maske, Maske, und nicht vergessen, die Hände zu desinfizieren, das einzig Richtige?
Wann gibt es einen Impfstoff? Wird es jemals Medikamente gegen COVID-19 geben? Fallen die Herbstferien aus? Gibt es wirklich ein Leben ohne die OLMA? Sollte man die St. Galler Bratwurst zwecks Desinfektion doch lieber mit Senf essen?
Es ist verbreit, zugemüllt, durchgequirlt, abgeseiht, geschüttelt, gemixt, gerührt und zu Sand zermalen. So sieht die momentane Corona-Lage aus. Jeder kann sich’s aussuchen, wie er’s gerne hätte. So wie bei diesen schönen Kinderkaleidoskopen, bei denen durch einfaches Schütteln immer wieder neue, symmetrische Figuren entstehen.
Gibt es denn wirklich keine Orientierungshilfen? Doch, ein paar schon. Wir versuchen ja unermüdlich – auch angespornt von aufmunternden Zurufen –, Orientierungshilfe im Reich des Unverständlichen, Wuchernden, ja geradezu quallig jedem Zugriff sich entziehenden Informations-GAU zu liefern. Also den Pudding an die Wand zu nageln.
Wenn man die Gefährlichkeit der aktuellen Gesundheitslage einigermassen rational einschätzen will, dann hilft zum Beispiel die Statistik der wöchentlichen Todesfälle in der Schweiz. Genauer, der Vergleich pro Kalenderwoche zwischen 2020 und 2019. Um auch über viele Jahre hinweg diese Zahlen vergleichbar zu machen, greift der Statistiker zu Schläuchen. Zu Feldern, die zwischen dem oberen und unteren Rand der statistisch zu erwartenden Werte liegen.
Hört sich komplizierter an, als es ist. Liegen die aktuellen Todesfälle innerhalb dieser Bandbreite, dann kann man von einem völlig normalen Zustand sprechen. Ist das so? Nein, das ist nicht so. Es gibt im April 2020 einen deutlichen Ausreisser nach oben. Also überdurchschnittlich viele Todesfälle, signifikant mehr.
Au weia? Gemach, kein Anlass zur Panik. Diese Übersterblichkeit betrifft ausschliesslich die Altersgruppe 65 und älter. Und: bis Ende März bewegte sich die Wochensterblichkeit in der Schweiz bei den Ü-65-Jährigen am unteren Rand des Bandes. Genau wie seit Anfang Mai. Bis heute übrigens.
Und wie steht es denn mit den Unter-65-Jährigen? Das wäre ja die wirklich bedeutende Angabe. Denn, der Biologie sei’s geklagt, der Ü-65-Jährige neigt leider häufiger dazu, sein Leben zu beenden, als der Unter-65-Jährige. Sollte es hier also einen Ausreisser nach oben geben, eine signifikante Übersterblichkeit, dann wäre das ein klares Indiz, dass wir uns einem Killer-Virus gegenübersehen.
Aber hier kann völlige Entwarnung gegeben werden. Die wöchentliche Anzahl Todesfälle bewegt sich hier seit dem 1. Januar 2020 bis zum 1. September haargenau innerhalb der Bandbreite des statistisch zu Erwartenden. Immer. Vor dem Lockdown, während des Lockdowns, nach dem Lockdown. Bis heute. Zudem ist dieser Schlauch entschieden enger als derjenige für ältere Menschen. Denn bei denen führen zum Beispiel ganz normale Grippewellen immer wieder zu mehr Todesfällen als üblich.
Und jetzt? Nein, ich bin kein Epidemiologe, kein Zukunftsseher und auch kein Anhänger von Verschwörungstheorien. Aber ich sage: Bei einer sehr kurzzeitigen Übersterblichkeit ausschliesslich bei Ü-65-Jährigen dürfte zumindest inzwischen erwiesen sein, dass ein vollständiger Lockdown falsch war und wäre. Dagegen ein sorgfältiges Schutzkonzept für Ü-65-Jährige dringlich geboten.
Aber ist diese Erkenntnis allgemein akzeptiert? Kaum, sie liegt irgendwo unter dem Berg von nutzlosen Zahlen, wildem Werweissen, schwachsinnigen Zustandsbeschreibungen wie «stabil, aber fragil» begraben.
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