Ein Name taucht in den Ermittlungsprotokollen zum Grossbrand auf dem Raduner-Areal in Horn immer wieder auf: Der des Immobilienunternehmers Ralf K. Er und Ernst M., welcher der Brandstiftung verdächtigt wird, bildeten ein ungleiches Freundespaar – mit einer undurchsichtigen Beziehung.
Die Restpo AG, der Hauptmieter der Flächen auf dem Raduner-Areal, der diverse Untermieter hatte, wurde von aussen stets als die Firma von Ernst M. betrachtet. Rein technisch war sie das nicht. Seit dem 12. Juni 2014 gehörten die Aktien der Firma Senada M., der Frau von Ernst M. Gekauft hatte sie diese vom Unternehmer Ralf K., der als eine Art graue Eminenz des Areals gesehen werden kann. Senada M. war offizielle Eigentümerin der Restpo, Ernst M. war ihr Gesicht und ihr operativer Kopf. Aber Ralf K. gab gegenüber Ernst M. stets den Ton an, zumindest vermitteln die Aussagen diverser Beteiligter gegenüber der Polizei diesen Eindruck.
99'000 Franken bezahlte Senada M. Mitte 2014, um Eigentümerin der Restpo AG zu werden, amortisierbar mit der bescheidenen Summe von 1000 Franken pro Monat. Gemäss dem «Ermittlungsbericht über finanzielle Aspekte im Zusammenhang mit dem Brandereignis in Horn» der Kantonspolizei Thurgau waren Ende 2015 vermutlich noch 90'000 Franken offen, und Stand Februar 2019 gingen die Ermittler davon aus, dass kein weiteres Geld von Senada und Ernst M. zu Ralf K. geflossen war. Entsprechend werden bei der finanziellen Situation von Ernst M. Schulden von 90'000 Franken gegenüber Ralf K. aufgelistet.
Doch begonnen hatte die Verbindung von Ernst M. und Ralf K. viel früher, 1989 mit einem persönlichen Kontakt, geschäftlich 1993. Damals einigte sich M. mit K., der über seine Firma das Raduner-Areal gemietet hatte, über die Benutzung einer Halle auf dem Areal. Daraus wurden immer mehr. Zuletzt bezahlte die Restpo AG der Firma von Ralf K. 4500 Franken Miete pro Monat für diverse Räumlichkeiten, die danach untervermietet wurden. Zwischen den beiden Parteien gab es einen Mietvertrag mit einer Kündigungsfrist von zwei Monaten. Der übergeordnete Vertrag zwischen dem Besitzer des Areals und Ralf K. sah hingegen eine Frist von sechs Monaten vor – was später den Druck auf Ernst M. massiv steigern würde.
Die Kündigungsmitteilung durch die Eigentümer des Areals ging aufgrund dieser Konstellation zunächst nicht an Ernst M., sondern an Ralf K., dem eigentlichen Mieter. Dieser setzte laut Polizeiermittlungen Ernst M. am 27. Juli 2015, wenige Tage vor dem Brand, telefonisch in Kenntnis davon. An M. war es dann, seine eigenen Untermieter zu informieren. Das tat er laut Kantonspolizei auch, er selbst bestreitet, überhaupt von all dem gewusst zu haben. Die schier unmögliche Räumung innerhalb von zwei Monaten war aus Sicht der Ermittler das Hauptmotiv für die Brandstiftung.
Nüchtern betrachtet hatte Ralf K. keinen Anlass, Ernst M. nicht sofort über die Kündigung mit der sehr kurzen Frist zu informieren. Denn K. war als Hauptmieter den Eigentümern des Areals, der Eberhard Bau AG, Rechenschaft schuldig. Er musste dafür sorgen, dass die Unter- und Unteruntermieter rechtzeitig verschwanden, jedenfalls lag es aufgrund des Mietverhältnisses theoretisch an ihm. In der Machtpyramide lag die Last aber vor allem bei Ernst M., der – wie mehrere Stimmen in den Protokollen sagen – in Abhängigkeit von Ralf K. stand oder sich vor diesem sogar fürchtete, wie einzelne sagen. M. erhielt Bescheid von K. und stand dann in der Pflicht, für das Unmögliche zu sorgen: Alle seine Untermieter rechtzeitig aus dem Areal zu schaffen.
Ralf K. selbst gab zu Protokoll, die Entsorgung im Zusammenhang mit den Untermietern der Restpo sei die Aufgabe von Ernst M. gewesen, und sie hätten darüber gesprochen. «Mach da mal Ordnung und räume das zur Seite», habe er zu M. gesagt. Mit diesem sei mündlich vereinbart gewesen, dass er für die Arealräumung zuständig sei. Ralf K. stellt auch klar, dass er selbst gegenüber den Eigentümern in der Pflicht stand. Er habe M. aber nicht unter Druck gesetzt.
Auf Seite 20 des «Ursachenberichts» wird dem Unternehmer Ralf K. ein längerer Abschnitt gewidmet. Die Rede ist von einer «undurchsichtigen Beziehung zwischen K., namhafter Unternehmer in Flawil, und dem Beschuldigten.» Obwohl die Polizei in diese Richtung grub, gelang es nicht, «abschliessende Erkenntnisse zur engen privaten und geschäftlichen Freundschaft seit dem Jahr 1989» zu formen. Sicher ist, dass K. seinen Freund M. immer wieder finanziell unterstützte. Und die beiden besuchten sich «ungezählte Male» gegenseitig. Die Ermittler hielten das offenbar für seltsam, da sich Ralf K. «nicht in der sozialen Schicht von Ernst M. bewegt.» Oder auf gut Deutsch: Was macht ein erfolgreicher, vermögender Unternehmer mit einem Restwarenverkäufer ohne Geld?
Ein befragter Untermieter gab der Polizei zu Protokoll, Ernst M. habe in seiner Räumungswut kurz vor dem Brandtag seltsame Andeutungen gemacht. Auf die Frage, warum er denn ausgerechnet jetzt so schnell räumen müsse, sagte Ernst M. demnach, er (der Befragte) kenne ja den Ralf K., und dieser sei der Falsche, um mit ihm Ärger zu haben. Dem Untermieter war es ein Rätsel, warum M. offenbar Angst vor Ralf K. hatte.
Ernst M. selbst zeigte sein ambivalentes Verhältnis gegenüber Ralf K. in mehreren Befragungen. Aus seinen Schilderungen wurde deutlich, dass die Beziehung eng war und M. sich als eine Art «Statthalter» von K. im Raduner-Areal sah; immerhin war er dessen Mieter. Gleichzeitig nahm M. plötzlich Abstand, indem er nicht mehr von einem «Freund», sondern von einem «Kollegen» sprach, wenn es um Ralf K. ging. Es schien, als wolle er die direkte Achse zwischen ihnen beiden unbedeutender darstellen, als sie war.
Die Ermittler sprechen von einer «sichtlichen Unterordnung des Beschuldigten» gegenüber Ralf K. Dieser Logik zufolge mussten sie der Frage nachgehen, ob Ernst M. – wenn er der Brandstifter ist – das Feuer nicht aus eigenem Antrieb, sondern im Auftrag gelegt hat. Die Kantonspolizei Thurgau verneint das im Schlussbericht: «Es bestehen keine Hinweise für eine von Ralf K. beauftragte Brandstiftung.» Ernst M. habe aus eigenem Antrieb gehandelt.
Gleichzeitig kann kein Zweifel bestehen, dass Ralf K. und Ernst M. durch die Kündigung beide auf ihre Weise unter Druck geraten waren. Ernst M. ist aber die weitaus schwächerei Figur als Ralf K. und konnte mit der Situation schlechter umgehen, ausserdem war er finanziell stärker betroffen von der Lage als K. Doch die Polizei wertet die ungleiche Beziehung anders. Sie räumt ein, dass Ralf K. eine Rolle gespielt haben kann bei der mutmasslichen Brandstiftung, aber eben nicht als Auftraggeber, sondern gewissermassen indirekt, nur im Kopf des Brandstifters. Es sei eine «Freundschaftstat» von Ernst M. gegenüber Ralf K. gewesen, aber nicht auf dessen aktives Verlangen.
Am 3. September 2015, einen Monat nach dem Brand, wird Ralf K. auf der Polizeistation Flawil zum Brand befragt. Er betont mehrfach, dass er mit dem Areal so gut nicht wie nichts zu tun hatte. Es war ein reines Mietgeschäft: K. zahlte Miete für die Hallen, die er seinerseits der Restpo AG untervermietete. Das Ganze mit einem Überschuss von 1500 Franken pro Monat. Das sei sein einziges Interesse an dem Areal gewesen. Er habe sich nicht gross um das Objekt gekümmert, Ernst M. habe alles erledigt. Warum M. gegenüber den anderen Mietern von sechs Monaten Kündigungsfrist gesprochen habe, obwohl es zwei waren, das wisse er nicht, so K.
Auf die Frage, ob er den Brand verursacht oder jemanden damit beauftragt habe, sagt Ralf K.: «Nein. Sicher nicht.»
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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