Trotz der angespannten Wirtschaftslage aufgrund der COVID-19-Situation verzeichnet der Kanton Thurgau sinkende Zahlen an Stellensuchenden. Macht der Kanton etwas besser? Oder hat es andere Gründe? Und: Ist es bereits Anlass, aufzuatmen?
Mit aktuell 3991 gemeldeten Personen meldet der Kanton Thurgau einen leichten Rückgang der Arbeitslosenzahlen. Per 30. Juni lag die Arbeitslosenquote bei 2,6 Prozent; das ist 0,1 Prozentpunkt tiefer als im Mai. Andere Kantone haben klare Zunahmen verzeichnet.
Doch die nackte Zahl sagt nicht alles. Das Thurgauer RAV registrierte im Juni zwar eine Reduktion von 137 arbeitslosen Personen. Amtsleiter Daniel Wessner relativiert: «Trotz dieser Reduktion sind die Arbeitslosenzahlen gegenüber dem Vorjahr hoch.» In der Tat: Waren im Juni 2019 noch 2618 Personen arbeitslos, stieg die Anzahl innert Jahresfrist um 1373 Personen auf gegenwärtig 3991 Menschen ohne Arbeit.
Wessner gibt noch etwas zu bedenken: «Für 6000 Unternehmen und rund einen Drittel aller Arbeitnehmer gibt es zurzeit eine Bewilligung für Kurzarbeit. Das ist ein richtiger Tsunami – so etwas gab es noch nie.» Will heissen: Die Kurzarbeit verhindert zwar im Moment Kündigungen, doch es ist noch lange nicht gesagt, dass alle Firmen den Weg zurück zum wirtschaftlichen Erfolg finden. «Wir hoffen nun, dass die Politik die Corona-Massnahmen nicht wieder verschärft», sagt Wessner. Die Politik habe wohl unterschätzt, welche Auswirkung es habe, wenn man 25 Prozent der Wirtschaft einfach lahmlege. Um den Binnenmarkt macht sich Wessner weniger Sorgen als um den Export: «Viele Ostschweizer Unternehmen liefern ins Ausland, in dem sie zum Beispiel Teile für die Autoindustrie herstellen. Wie schnell sich diese Branche von der Krise erholt, ist zurzeit aber einfach noch nicht absehbar.»
Ob sich die Krise weiter verschärft, hat auch eine psychologische Komponente. Wessner erklärt: «Wer auf Kurzarbeit ist, 20 Prozent weniger verdient und nicht sicher weiss, ob er seinen Job auch in Zukunft noch hat, der überlegt sich zweimal, ob er diese oder jene Anschaffung heute tätigen soll oder nicht.» Das Gleiche gelte auch für die Unternehmen. «Vor der Krise waren die Thurgauer Unternehmen gut positioniert, viele hatten Wachstums- und Ausbaupläne. Diese wurde jetzt erst Mal gestoppt und man wartet ab, wie sich die Situation entwickelt.»
Frauen besonders betroffen
Die aktuelle Zunahme bei den Stellensuchenden betrifft vor allem Frauen. Während sich die Anzahl stellensuchender Männer im Juni gegenüber dem Vormonat um 11 reduzierte, erhöhte sich die Anzahl betroffener Frauen im gleichen Zeitraum um 71. Ähnlich sieht es in Bezug auf die leicht reduzierte Arbeitslosigkeit gegenüber Mai 2020 aus: Bei den Männern sank die Zahl um 112 Personen, bei den Frauen um 25. «Wir haben versucht, die Situation zu analysieren und sind zum Schluss gekommen, dass es etwas mit den Branchen zu tun haben muss», meint Wessner. In denjenigen Branchen nämlich, die von der Krise besonders betroffen waren und sind – Coiffure, Kosmetik. Detailhandel oder Gastgewerbe – arbeiten überdurchschnittlich viele Frauen. «Saisonal bedingt erholt sich das Gastgewerbe zwar, aber wir sind noch lange nicht auf dem gewohnten Level», so Wessner.
Darum: Auch wenn die Arbeitslosenzahlen im Moment gerade den Eindruck erwecken, dass die Talsohle erreicht und das Schlimmste überstanden sei, so sei dem gar nicht so: «Bei dieser leichten Verbesserung gegenüber dem Vormonat handelt es sich lediglich um eine saisonal bedingte Erholung in der Baubranche und im Gastgewerbe», schlussfolgert Wessner.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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