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Überraschendes Angebot

Das «Null Stern Hotel» soll den Tourismus im Toggenburg retten

Ein geplanter Hotelbau in Wildhaus ist gescheitert. Im Toggenburg herrscht Katzenjammer. Der Tourismus könnte nun aber von unvermuteter Seite Hilfe erhalten. Und zwar dank dem weltweit bekannten «Null Stern Hotel». Unter anderem soll das Toggenburg eine Liste mit 4500 potenziellen Gästen erhalten.

Stefan Millius am 25. April 2018

90 Tage und Nächte lang stand auf dem Gipfel «Göbsi» im Appenzellerland ein Doppelbett. Keine Wände, kein Dach, nur der unverbaute Blick aufs Panorama bot sich hier den Übernachtungsgästen. Die Installation «Null Stern Hotel» ist ein Werk der St.Galler Aktions- und Konzeptkünstler Frank und Patrik Riklin. Sie spielten geschickt mit dem herrschenden Wahn der Tourismusbranche, auf immer mehr Luxus zu setzen – und reduzierten die Hotellerie kurzerhand aufs Minimum. Das Konzept des «immobilienbefreiten Hotelzimmers» machte weltweit Schlagzeilen. Gäste rund um den Globus wollten für 295 Franken eine Nacht unter freiem Himmel verbringen. Und die Warteliste umfasst 4500 Personen.

Pause für das Original

Lange wurde gerätselt, wie es rund um das «Null Stern Hotel» weitergeht. Die Riklin-Brüder haben in diesen Tagen entschieden, 2018 selbst keine Installation in Angriff zu nehmen. Sie wollen sich auf andere Projekte konzentrieren, darunter einen Dokumentarfilm. Das «Null Stern Hotel» wird in dieser Zeit parkiert - und das im wahrsten Sinn des Wortes. «Wir sind in Gesprächen mit Tiefgaragenbesitzern, die bereit sind, die Installation bei sich aufzunehmen», so die Brüder Riklin. Ihr einziges Kriterium: Die Kunstinstallation soll so tief im Boden verschwinden wie möglich. Dieser radikale Rückzug gibt Frank und Patrik Riklin die nötige Zeit, um darüber nachzudenken, wie es weitergehen soll. Denn, wie sie sagen: «Das Null Stern Hotel ist ein künstlerisches Projekt, kein touristisches.» Möglichst viele Übernachtungen zu generieren sei nie ihre Absicht gewesen. «Das Bedienen des banalen Business» interessiere sie nicht.

Nun sieht es aber so aus, als würde das «Null Stern Hotel» allenfalls doch nicht ganz verschwinden – beziehungsweise in neuer Form weiterbestehen. Denn während die beiden Künstler ihren Entscheid fällten, überschlugen sich die Ereignisse im Toggenburg. Die Stimmbürger von Wildhaus-Alt St.Johann erteilten einem Kredit für ein Hotelbauprojekt eine Abfuhr. Ein Nein mit Folgen für die ganze Tourismusregion. Dort befürchtet man, gegenüber anderen Regionen immer mehr Boden zu verlieren.

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Die Kunstinstallation 2017 auf dem «Göbsi» im Appenzellerland.

Hilfsangebot ans Toggenburg

Hier ein Erfolgskonzept mit 4500 potenziellen Gästen, die auf eine Übernachtung warten, dort eine Region, deren Tourismus leidet: Das löste bei den Künstlern Gedanken aus. «Wir könnten uns vorstellen, dem Toggenburg mit unserer Marke zu helfen», so die Riklin-Brüder. «Es geht schliesslich um ein Potenzial von über einer Million Franken.» Zwar sei das «Null Stern Hotel» eine geschützte Marke und an ganz klare Auflagen gebunden. Es einfach im Original an einem Ort im Toggenburg zu installieren, steht nicht zur Diskussion. Aber mit einer Art «Untermarke» könnte das Toggenburg seine eigene Form schaffen: Eine Vielzahl eigener, individuell gestalteter «Null Stern Hotels». Bei diesem Modell würden Hoteliers, Wirte, Bauern oder auch andere Privatpersonen ihr eigenes  «Hotelzimmer ohne Wände und ohne Dach» unter freiem Himmel realisieren. Das Toggenburg würde gewissermassen zur Freilichtbühne mit touristischem Effekt.

Dabei könnte das Toggenburg von der globalen Bekanntheit der Marke und deren Geschichte profitieren. Immerhin hatten Medien aus den verschiedensten Ländern über das Kunstprojekt berichtet. Frank und Patrik Riklin würden Toggenburg Tourismus zudem die Warteliste der potenziellen Übernachtungsgäste überlassen. Diese erhalten so die Möglichkeit, in einem abgewandelten «Null Stern Hotel» zu schlafen. Als erster Vorschlag dafür steht «Created by the people of Toggenburg» im Raum. Das Toggenburg gewänne damit auf einen Schlag viele neue Gäste und einen unvorhersehbaren Marketingeffekt.

Geld steht nicht im Zentrum

Noch ist die Idee nicht völlig ausgereift. Für die Künstler ist klar, dass sie ihr Ur-Projekt schützen wollen, es soll einzigartig bleiben «und kein herkömmlicher Kommerz». Die Unterscheidung zwischen dem Original und der Toggenburger Ausführung müsste deshalb klar sein. Auch die genauen Konditionen für das Überlassen der Idee und der Warteliste stehen noch nicht fest. Um Geld wird es dabei aber kaum gehen: Im Zentrum stehe für sie die Möglichkeit, einer Ostschweizer Region zu helfen. Und auch ein künstlerischer Ansatz wäre durchaus vorhanden. «Für uns wäre es natürlich spannend zu sehen, was die Menschen einer Region aus unserem Konzept machen und wie sich das Ganze entwickelt», so Frank und Patrik Riklin.

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Frank und Patrik Riklin. (Bild: Claudio Baeggli)

Wie reagiert das Toggenburg auf das vorerst unverbindliche Angebot? Gemischt, wie die Stimmen zeigen. Sehr interessiert ist Rolf Züllig. Er stand als Gemeindepräsident von Wildhaus-Alt St.Johann im Zentrum der Berichterstattung, als der Kredit für das geplante Hotelprojekt Schiffbruch erlitt. Züllig akzeptierte das Verdikt damals anstandslos, war aber spürbar enttäuscht. Das Angebot rund um das «Null Stern Hotel» betrachtet er als «äusserst spannend.» Er schätze es, dass die Gebrüder Riklin an seine Region denken.Und meint: «Manchmal braucht es gewisse Impulse von aussen, und wenn sich daraus etwas ergibt, sollten wir diese Chance packen.» Züllig verweist darauf, dass das Kunstprojekt 2017 im Appenzellerland «ein Riesenrenner» geworden sei – was so kaum jemand erwartet hätte. «Die Brüder Riklin überraschen immer wieder, zuerst gibt es oft kritische Stimmen, und erst bei der Realisierung des Projekts merkt man, wie spannend es ist.»

«Nicht nachhaltig»

Weniger begeistert zeigt sich Urs Gantenbein. «Grundsätzlich können wir natürlich jede zusätzliche Logiernacht brauchen», sagt der Vorsitzende der Geschäftsleitung bei der Bergbahnen Wildhaus AG. Und er sei gerne bereit, sich das Angebot anzuschauen. Spontan ist er allerdings eher skeptisch, was das «Null Stern Hotel» angeht. Der Mangel an Betten sei nicht das Problem im Toggenburg. Dazu kommt für ihn: Auch wenn das Kunstprojekt einen gewissen PR-Effekt auslösen könne, sei dieser nicht nachhaltig. «Wir wollen in unserem Tourismus eine Wertschöpfung generieren, die über Jahre Wirkung zeigt», so Gantenbein.

Und wie sieht man den Vorschlag bei Toggenburg Tourismus? Die Idee sei «sehr spannend und sicher prüfenswert», sagt dessen Geschäftsführer Christian Gressbach. Vor einer abschliessenden Beurteilung müsse man allerdings die Details mit den Künstlern klären. Im Zentrum stehe dabei die Frage, ob die Idee im Toggenburg umgesetzt werden könne. «Ich bin stets der Meinung, dass ein Angebot qualitativ hochstehend und für die Gäste durchführbar sein muss», so Gressbach. Publizität um jeden Preis könne sich negativ auswirken.

Das ist die «Null Stern Story»

Das «Null Stern Hotel» wurde 2008 von den beiden Schweizer Konzeptkünstlern Frank und Patrik Riklin vom Atelier für Sonderaufgaben in einer leerstehenden Zivilschutzanlage in Sevelen (SG) erfunden. Gemeinsam mit Daniel Charbonnier, Managing Director von Minds in Motion SA, haben sie im Jahre 2009 das «Null Stern Hotel» in einem Bunker in Teufen AR offiziell eröffnet und die Marke «Null Stern – the only star is you» ins Leben gerufen. 2016 wurde die Landversion im Safiental im Kanton Graubünden lanciert. Im letzten Jahr wanderte das «Null Stern Hotel» ins Appenzellerland. Das «Null Stern Hotel» wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2009, als es in Paris an den Worldwide Hospitality Awards für die beste Innovation des Jahres nominiert wurde. 2010 kürte das GEO das «Null Stern Hotel» zu den besten 100 Hotels in Europa. 2016 wurde der Brand «Null Stern – the only star is you» in New York und Hamburg zum Trend 2017 erklärt.

TV-Beitrag von «Galileo» über das «Null Stern Hotel»

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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