Geschäftsführer Thomas Lorenz
Die gemeinnützige «Stiftung Zukunft.li» versteht sich als ein liberaler Think-Tank für die Aufarbeitung von Themen aus der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die für die nachhaltige Entwicklung und die Zukunftssicherung Liechtensteins relevant sind. Im Gespräch mit Geschäftsführer Thomas Lorenz.
Thomas Lorenz, ganz grundsätzlich: Wie gut ist das Fürstentum allgemein aufgestellt und positioniert?
Ein Kleinstaat verfügt per Definition über einen geringen Binnenmarkt. Die wirtschaftliche Integration ist deshalb ein lebenswichtiger Aspekt, den Liechtenstein durch den Zollvertrag mit der Schweiz und die Mitgliedschaft im EWR gelöst hat. Diese Vorteile sind aber auch nicht gratis zu haben. Der Preis dafür ist der Verlust von Souveränität. Im Fall von Liechtensteins dürfte diese Konstellation aber aktuell die beste aller Lösungen sein. Das gilt auch für den Verzicht auf eine eigene Währung. In anderen Bereichen steht das Land vor Herausforderungen wie beispielsweise den Begleiterscheinungen der absehbaren demographischen Entwicklung für den Arbeitsmarkt oder die Finanzierung von Pflege und Betreuung alter Menschen, deren Anzahl auch in Liechtenstein in den nächsten Jahrzehnten sehr stark ansteigen wird. Aber auch die Bewältigung des von der Pandemie ausgelösten Strukturwandels in bestimmten Branchen steht noch bevor. Ein starkes Plus ist andererseits die mehr als solide Verfassung der öffentlichen Haushalte auf allen Ebenen, also Staat, Gemeinden und Sozialversicherungen.
Zweck der «Stiftung Zukunft.li» ist die «Förderung einer nachhaltigen Entwicklung Liechtensteins durch Wissensvermittlung und Beiträge zur Meinungsbildung in relevanten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen.» Das tönt nun sehr wissenschaftlich. Was sind ganz konkrete Ansätze, die angestossen wurden oder werden?
Das klingt nicht nur wissenschaftlich, sondern wir haben klar das Ziel, unsere Projekte wissenschaftlich fundiert analysiert werden. Und durch einen starken Praxisbezug möchten wir Veränderungen anstossen. Zu diesem Zweck arbeiten wir in der Regel mit spezialisierten Projektpartnern zusammen, die in unserem Auftrag bestimmte Forschungsfragen untersuchen, während wir von der Geschäftsstelle diese in eigene Publikationen zusammenfassen, allenfalls ergänzen und Empfehlungen daraus ableiten. Ein wissenschaftlicher Beirat unterstützt unsere Arbeit im Hinblick auf diese Zielsetzung.
Das Themenfeld ist sehr breit. Um nur ein paar Beispiele zu nennen reicht es vom Finanzausgleichsystem, der Zuwanderungsfrage, der Finanzierung der Alterspflege, der Raumentwicklung, einem konkreten Vorschlag zu einem Road-Pricing-System bis zur Frage des Service public, zu der wir kürzlich eine Publikation vorgestellt haben. Auch die Beziehung zur Schweiz haben wir uns näher angeschaut und Empfehlungen zum Beispiel bei den grenzüberschreitenden Dienstleistungen oder bei den sozialversicherungsrechtlichen Regelungen zu Home Office gemacht, die nicht nur für Liechtenstein, sondern im wirtschaftlichen Austausch zwischen beiden Ländern nach unserer Ansicht zu Verbesserungen führen würden.
Welche Eckpfeiler sind wesentlich, um einen Standort nachhaltig zu entwickeln?
Es mag mittlerweile abgedroschen klingen, aber gute Rahmenbedingungen und eine wirtschaftsliberale Grundausrichtung sind in erster Linie entscheidend für eine langfristig positive wirtschaftliche Entwicklung. Dazu gehören beispielsweise ein stabiles politisches Umfeld, die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, ein diskriminierungsfreier Zugang zu ausländischen Märkten und ein angemessenes Steuerregime. Aber die wirtschaftliche Entwicklung kann nicht nur auf das Wachstum des BIP ausgerichtet sein. Die Folgen auf die räumliche Entwicklung, auf die Verkehrsbelastung, Umwelt- und sozialpolitische Aspekte usw. sind in eine verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik ebenso mit einzubeziehen. Da hat Liechtenstein in verschiedenen Bereichen definitiv Nachholbedarf. Grundsätzlich sind wir aber der Überzeugung, dass freie Marktkräfte in einem angemessenen regulatorischen Umfeld die besten Voraussetzungen für eine umfassende nachhaltige Entwicklung bieten.
Braucht es darüber hinaus auch eine Art Alleinstellungsmerkmal, einen Bereich, in dem man eine Vorreiterrolle einnimmt?
Sie wissen, dass Liechtenstein wie einige andere Staaten in der Vergangenheit von einem starken Treuhandsektor profitierte. Internationale Regelungen wie der automatische Informationsaustausch haben die Rahmenbedingungen wesentlich verändert. Es ist schwer vorstellbar, dass Liechtenstein «die» eine wirtschaftliche Nische findet, die zu einem potenten Alleinstellungsmerkmal wird. Zumal wir der Meinung sind, dass die heutige diversifizierte Wirtschaftsstruktur gerade für einen Kleinstaat ein Erfolgsfaktor ist. So sind wir denn auch verhältnismässig gut durch die letzten Krisen gekommen.
Das Fürstentum wird oftmals mit dem Bankenplatz gleichgesetzt. Zu kurz gegriffen?
Das greift sehr deutlich zu kurz. Über 40% der Wertschöpfung werden von der stark exportorientierten Industrie und dem Gewerbe erarbeitet. Liechtenstein zählt damit zu den höchstindustrialisierten Ländern der Welt. Der ganze Dienstleistungsbereich, der nicht nur Banken, sondern auch Versicherungen, Treuhandwesen, den öffentlichen Sektor aber auch beispielsweise Architektur- und Ingenieur-Dienstleistungen umfasst, trägt etwas mehr als die Hälfte bei. In der Schweiz ist der Wertschöpfungsanteil des Dienstleistungssektors höher: hier beläuft er sich auf rund drei Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung.
Welches sind die Branchen oder Gebiete, die die grössten Impulse aussenden?
Wieder auf den Wertschöpfungsanteil bezogen war das in den letzten Jahren der Wirtschaftszweig «verarbeitendes Gewerbe / Herstellung von Waren» mit rund 40 %. Die Konzentration verschiedener international agierender Unternehmen wie beispielsweise Hilti, Hilcona, der Ospelt-Gruppe mit der Marke «Malbuner» oder der Kaiser AG mit den bekannten Schreitbaggern auf diesem kleinen Raum ist schon beachtlich. Der zweitstärkste Sektor waren die Finanz- und Versicherungsdienstleistungen mit einem Anteil von rund 12 %.
2019 hat Liechtenstein zudem ein Blockchain-Gesetz geschaffen. Zusammen mit anderen Massnahmen soll damit eine attraktive Rechtsumgebung im FinTech-Bereich entstehen.
Kluge Köpfe können einen wichtigen Anstoss geben. Wie stark ist die Stiftung aber auch in der Praxis verankert?
Zukunft .li will einen Beitrag für die Entwicklung des Landes leisten, mitdenken, Denkanstösse und Impulse geben sowie konkrete Umsetzungsempfehlungen erarbeiten. Wir sind weder eine politische Partei, noch sind wir in die politischen Prozesse involviert. Durch einen engen Austausch mit der Politik und der Wirtschaft ist es möglich, die Schlussfolgerungen und Empfehlungen aus unseren Projekten zu erklären und «schmackhaft» zu machen. Schliesslich liegt es aber an der Politik zu entscheiden, ob und wie sie die Bälle aufnimmt. Gelingen kann es allerdings nur, wenn unsere Empfehlungen eben auch auf einer praktischen Umsetzungsebene erfolgen, die Flughöhe also nicht zu hoch ist. Am stärksten haben wir die Diskussion sicher mit Vorschlägen für die Finanzierung der Alterspflege und zum Finanzausgleichssystem angeregt und dort politische Prozesse und Diskussionen ausgelöst. Auch bei den grenzüberschreitenden Dienstleistungen oder der angesprochenen Homeoffice-Thematik gibt es Bewegung.
Wie entscheidend sind bei der allgemeinen Entwicklung des Fürstentums die Beziehungen zur Schweiz?
Die Partnerschaft mit der Schweiz ist für Liechtenstein unbestritten sehr bedeutend. Das gilt nicht nur für die Wirtschaft. Den Bildungsbereich oder auch die Gesundheitsversorgung könnte ein Kleinstaat wie Liechtenstein beispielsweise unmöglich umfassend alleine stemmen. Aber gerade in der beruflichen Bildung kann Liechtenstein hier auch etwas zurückgeben. So werden in liechtensteinischen Unternehmen rund dreimal so viel Lernende aus der Schweiz ausgebildet wie umgekehrt liechtensteinische Lernende in Schweizer Betrieben beschäftigt sind. Sehr intensiv ist auch die Beziehung der beiden Länder auf dem Arbeitsmarkt. Von den rund 40'000 Beschäftigten in Liechtenstein haben 13'000 ihren Wohnsitz in der Schweiz. Das hat allerdings auch einen Zusammenhang mit der liechtensteinischen Niederlassungspolitik, dennoch zeigt es die starke regionale Verflechtung.
Allerdings ist gerade diese enge Verbindung zur Schweiz und die gleichzeitige EWR-Mitgliedschaft in verschiedenen Bereichen auch eine ständige Herausforderung, weil sich die Regulierung inhaltlich unterscheidet oder zeitlich anders entwickelt. Es bleibt spannend.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Co-Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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