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Höpli zum Freitag

Das Tagblatt und die HSG: Studierende, Zensurierende, Hyperventilierende

Das St.Galler Tagblatt hat sich schon mit guten Gründen kritisch mit der HSG befasst. Diesmal aber bleibt von einer aufgeregten Berichterstattung nur: heisse Luft.

Gottlieb F. Höpli am 03. September 2020

Vielleicht war ja einfach wenig los an diesem Tag. Dann muss man in einer Zeitung trotzdem einen Aufmacher produzieren. Mit einer Schlagzeile, die kundtut: Achtung! Hier kommt das Wichtigste vom Tag! Ich kenne das aus Erfahrung. Und weiss: Manchmal ist das Wichtigste vom Tag nicht gar so wichtig. Manchmal für den Leser sogar ziemlich irrelevant.

So war es an diesem 1. September mit der aufgeregten Tagblatt-Berichterstattung über Probleme der HSG-Studentenschaft mit der Frauenfrage. Sogar Zensur soll im Spiel gewesen sein. Ein Skandal? Ein Fall für den Universitätsrat? Den Kantonsrat? Den Regierungsrat? Gemach. Die Organisation der Studentinnen und Studenten an der HSG, die ziemlich vielen der von ihr Vertretenen ziemlich egal sein dürfte, streitet wieder einmal darüber, wie sie sich nennen soll. Studentenschaft, wie seit 1921 üblich? Oder gendermässig korrekt und trendy, aber sprachlich zweifelhaft und zweifellos misstönig: «Studierendenschaft»? Das könnte uns eigentlich ziemlich egal sein. Wenn uns das Tagblatt nicht geradezu aufdrängte, gründlicher darüber nachzudenken.

Da wäre einmal die grammatikalische Seite der Sache: «studierend» bedeutet, ebenso wie stehend, liegend oder arbeitend den aktuellen Zustand, in dem sich die/der/das Beschriebene befindet. Man ist nur «liegend», wenn man liegt. Und nicht, wenn man steht. Nun mögen die jungen Leute an der HSG ja fleissig studieren. Sie tun das aber mit Sicherheit nicht, wenn sie – sagen wir mal – «schlafend» sind. Oder Parties feiernd. Zwar hat dieses Partizip I im aktuellen Gender-Hype einen unglaublichen Aufschwung zu verzeichnen. Weil es eben die explizite Geschlechtsbezeichnung – es soll ja inzwischen 49 davon geben – überflüssig macht. Ganz korrekt ist es trotzdem nicht, und zudem tönt ein fünfsilbiges Wortungeheuer wie «Studierendenrat» ganz einfach hässlich und bürokratisch. Aber vielleicht fühlen sich die «Studierenden» ja besser in diesem leicht schiefen Sprachgebäude.

Nebenschauplatz: die Kosten. Ein früherer Vorstand der Studentenschaft wehrte sich gegen die Umbenennung mit dem Argument, diese werde Kosten von 180000 Franken verursachen. Das habe man wissenschaftlich so berechnet. Später kam heraus, der Mehraufwand für neues Briefpapier etc. käme wohl nur auf einen vierstelligen Betrag zu stehen. Da kann man nur hoffen, dass andere wissenschaftliche Kalkulationen, die an der HSG für amtliche und private Auftraggeber gefertigt werden, etwas weniger weit übers Ziel hinausschiessen…

Aber das Beste kommt noch. Um die aufgeregte Berichterstattung zu rechtfertigen, musste zwingend noch ein skandalöser Missstand her. Der heisst in diesem Fall «Zensur». Und das kam so: Ein Redaktor des Studentenmagazins «Prisma» forderte laut Tagblatt in einem Kommentar die Umbenennung in Studierendenrat. Sein Kommentar wurde anscheinend in der Redaktionskonferenz in der vorliegenden Form abgelehnt. Worauf der sich hinter einem Pseudonym versteckende Redaktor (!) im Tagblatt lauthals «Zensur» rufen durfte (Tagblatt-Schlagzeile: «Im Zweifel Zensur»).

Zensur nennt man aber nur eine obrigkeitliche Einmischung in redaktionelle Inhalte. Das wäre der Fall, wenn das Rektorat oder gar übergeordnete Instanzen den Kommentar des ängstlichen «Max» gekippt hätten. Inhaltliche Änderungen im Laufe des internen, journalistisch-redaktionellen Prozesses haben mit Zensur rein gar nichts zu tun. Sonst müssten sich in unserem Land Dutzende von Journalisten täglich über Zensur beschweren.

Die Anfänge der Zensur gehen auf eine Zeit zurück, als mittels der Druckerpresse erste gedruckte Nachrichten verbreitet wurden. Schon zwei Jahre nach dem ersten Nachrichtendruck, im Jahr 1482, erliessen die Bischöfe von Basel und Würzburg die ersten kirchlichen Zensurordnungen. Da hat sich anscheinend in einem halben Jahrtausend wenig geändert: Zensur kommt immer dann ganz schnell ins Spiel, wenn es um Glaubensfragen geht.

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Autor/in
Gottlieb F. Höpli

Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.

1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.

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