Abgewählte Nationalräte, strahlende neue Gesichter, hauchdünne Entscheidungen und die eine oder andere grosse Überraschung: Wir fassen den Ostschweizer Wahlsonntag für Sie zusammen - in 10 Punkten.
1. Die Verlierer
Wer nicht gewählt ist, hat verloren. Aber es gibt viele, die ohne grosse Ambitionen angetreten sind. Hart ist es vor allem für die amtierenden Nationalräte, die in wenigen Wochen Zeit für ein anderes Hobby haben. Im Kanton St.Gallen traf es drei von elf wiederkandidierenden Amtsinhabern, einer war nicht mehr angetreten. Es ist hart für die Betroffenen. Aber wir lernen: Nichts im Leben ist sicher - mit Ausnahme der Steuererklärung und des Todes. Hier sind die Abgewählten in der Übersicht.
2. Die Frauenwelle
Fünf der zwölf St.Galler Nationalratsmitglieder sind neu Frauen. Und das dank drei neugewählten Parlamentariern. Hat der Frauenstreik Spuren hinterlassen? Oder war es einfach die Konstellation? Wie auch immer: Die neue St.Galler Delegation finden Sie hier.
3. Die Zitterpartie
Mann gegen Frau hiess es in Ausserrhoden: Der SVP-Nationalrat David Zuberbühler musste sich gegen seine freisinnige Herausforderin Jeannine Abderhalden behaupten. Das gelang ihm äusserst knapp, doch angesichts der Konstellation - fast alle Parteien hatten sich gegen die SVP verschworen - war sein Sieg auch so schon eine der Sensationen des Wahlsonntags.
4. Der Rebell
Vielleicht keine Sensation, aber doch sehr überraschend war es, dass in Innerrhoden dem CVP-Mann Thomas Rechsteiner die Wahl gelang. Der war nämlich von seiner Partei nicht nominiert worden und musste unter anderem gegen ein amtierendes Regierungsmitglied antreten - und liess diesem keine Chance.
5. Die Überfliegerin
Nein, sie kam nicht gerade aus dem Nichts. Aber die Toggenburgerin Esther Friedli war dennoch das herausragende Gesicht dieses Wahlsonntags. Aus dem Stand holte sie einen Nationalratssitz bei der SVP und überflügelte dabei zwei amtierende Parlamentarier. Sicher hat es ihr nicht geschadet, dass sie als Partnerin von Toni Brunner mehr mediale Aufmerksamkeit erhalten hat als andere. Aber nachdem sie schon bei Regierungsratswahlen mit einem sehr guten Resultat auf sich aufmerksam gemacht hat, kann sie ruhig als Versprechen für die Zukunft in den Reihen ihrer Partei gehandelt werden.
6. Die Schnarchpartie
Bei den Ständeratswahlen im Thurgau musste kein Defibrillator bereitgestellt werden. Die bisherige Ständerätin Brigitte Häberli und Kronfavorit Jakob Stark wurden im ersten Anlauf gewählt. Wenn die Gegner wissen wollen, wie man es schafft, solche Entscheidungen in Zukunft ein bisschen spannender zu machen, müssten sie sich von unserem nächsten Punkt inspirieren lassen.
7. Die nächste Runde
St.Gallen hat noch keinen Ständerat. Auch die beiden Bisherigen müssen in eine zweite Runde. Das hatte man so erwartet angesichts der grossen Zahl an Kandidaturen. Das, was wirklich interessiert, wird nun hinter den Kulissen verhandelt: Gehen FDP und SVP gemeinsam gegen Ständerat Paul Rechsteiner vor? Und ist es für Beni Würth wirklich nur ein Spaziergang im zweiten Umgang? Mehr dazu hier.
8. Die Klimawelle
Es wurde solide prognostiziert und trat auch ein: Die Klimabewegung, ausgelöst von einem Teenager aus Schweden, krempelt auch die Wahlen in der Schweiz um. Und in der Ostschweiz. Grüne und Grünliberale, einst schon in der St.Galler Delegation des Nationalrats vertreten, kehren dorthin zurück, mit je einem Sitz auf Kosten von SVP und CVP. Dass deshalb in Bern in den nächsten vier Jahren eine grundlegend andere Politik einkehren wird, ist nicht anzunehmen. Denn es beginnt eine neue Legislatur, und auf populäre Themen springen Parteien nur dann auf, wenn Wahlen anstehen.
9. Die verschonte FDP
Die St.Galler FDP hatte heftige Angst, einen ihrer beiden Sitze im Nationalrat zu verlieren. Davon zeugen leicht verzweifelt wirkende Wahlaufrufe in der Schlussphase vor den Wahlen. Nun konnten die Freisinnigen ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Das aber kaum dank, sondern eher trotz ihres plötzlichen Schwenks Richtung Umweltbewusstsein. Bis zuletzt nahmen viele Wähler der einstigen Wirtschaftspartei ihr neues Umwelt-Credo kaum ab. Es führte zu einem grünen, pardon, blauen Auge, aber nicht zu mehr.
10. Thurgauer Umwälzungen
Weniger gut ging es für die FDP im Thurgau aus. Dass die Thurgauer FDP ihren Sitz ausgerechnet an die Grünen verlieren, gehört ebenfalls zu den Überraschungen des Wahltags. Der nun abgewählte Hansjörg Brunner (FDP) galt in seinem Kanton als sicherer Wert. Aber er war noch nicht lange im Nationalrat gewesen als Nachrutscher für Hermann Hess, der in Rekordzeit sein Mandat niedergelegt hatte. Der Thurgau ist nun nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinn ein grüner Kanton.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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