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Gastbeitrag

Das Zeitalter der wilden Spekulationen – oder: Fakten unerwünscht

In einer Gesellschaft, die meint, mit dem Teilen eines Bildchens auf Facebook könne man ein Auto gewinnen, haben es Fakten und Logik schwer. – Ein Gastbeitrag von Stephan Sembinelli.

Stephan Sembinelli am 10. Mai 2021

Seit März 2020 trage ich nicht bloss in Wikipedia fast täglich zu den COVID-19-Artikeln mit Texten, Tabellen, Grafiken und Belegen bei, sondern vermittle – in wesentlich einfacherer Form – Inhalte zu dieser Thematik auch auf Facebook.

Obschon ich alle Kommentare zu meinen Beiträgen – nachdem ich sie las – lösche, fällt mir zunehmend auf, dass Fakten kaum noch jemanden interessieren; die Meinungen sind im Grossen und Ganzen längst gemacht – ganz nach dem Motto: «Was interessieren mich Fakten, wenn ich doch bereits eine Meinung habe». Schreibe ich etwas, was beispielsweise ins Denkschema von «Covid-Massnahmen-Gegnern» passt, erhalte ich vermehrt Freundschaftsanfragen und neue Abonnenten; schreibe ich etwas, was beispielsweise notorischen Impfgegnern (ich spreche hier ausdrücklich nicht von der umstrittenen Covid-19-Impfung) missfällt, werde ich umgehend «entfreundet» bzw. «deabonniert» – ein Knopfdruck reicht und ist stark in Mode.

Es ehrt mich, dass meine Beiträge gelesen werden – mittlerweile auch diverse Medienschaffende darauf aufmerksam wurden –, aber die Entwicklung weg von Fakten, Forschung und Wissenschaft (in der Medizin verdoppelt sich das Wissen beispielsweise alle fünf Jahre) hin zu Polemik, Esoterik, Pseudowissenschaften und v. a. unbelegten Meinungen, gefällt mir ganz und gar nicht. Dies passiert seit gut einem Jahr nicht bloss in der Schweizer Politik (die m. E. verheerende Entscheidungen nach dem Zufallsprinzip – ohne Evidenz – fällt und dafür zurecht negativ kritisiert wird) und bei den grossen Medienhäusern (die ihrer eigentlichen Aufgabe nicht mehr im Ansatz nachkommen, schlimmer noch, mit unseren Steuergeldern subventioniert, die Panik regelrecht schüren), sondern auch im ganz kleinen – familiären und kollegialen – Rahmen.

Lucius Annaeus Seneca meinte vor rund 2‘000 Jahren: «Niemand irrt für sich allein. Er verbreitet seinen Unsinn auch in seiner Umgebung.» Diese Umgebung impliziert heute vorwiegend die sozialen Medien, was umso fataler ist, da jeder Unfug eine enorme Reichweite erzielen kann, Bestätigungsfehler (confirmation bias), Überzeugungsbias (belief bias), Verzerrungsblindheit (bias blind spot) und weitere kognitiven Verzerrungen geradezu fördert und dank Google über Jahre auffindbar bleibt. Doch genau diejenigen, die solchen Verzerrungen sehr stark unterliegen, werden sich trotz meines Aufrufes kaum mit dieser Thematik auseinandersetzen wollen – ich schreibe es trotzdem: Bildung hülfe, auch hier.

Für einige vielleicht verständlicher: wenn Christian Heinrich Maria Drosten – welch schöner Name –, Alain Berset, die «Task Force» oder das ganze Bundesamt für Gesundheit zu eurem Feindbild in dieser «Corona-Angelegenheit» wurde, Beda Martin Stadler, Pietro Vernazza oder Sucharit Bhakdi hingegen zum Inbegriff eurer Sicht der Dinge, so muss ich hier festhalten, dass sich alle hin und wieder irren und der Wissensstand stets neuen Erkenntnissen angepasst werden muss. Genau so funktioniert übrigens Wissenschaft.

Ich schliesse mit einem meiner Lieblingszitate (von Claude Adrien Helvétius): «Die Wahrheit hat noch keinem geschadet – ausser dem, der sie ausspricht.»

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Autor/in
Stephan Sembinelli

Stephan Sembinelli (* 1973) ist Privatier. Er lebt in Rosières (SO)

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