Ein theologisch-ethischer Kommentar zur zunehmenden Forderung autoritärer Mittel der Corona-Bekämpfung. Ein Gastbeitrag von Benjamin Kilchör, ordentlicher Professor für Altes Testament.
Am 16. November twittert die FAZ, es brauche eine Debatte darüber, ob die Demokratie noch geeignet sei, um globale Herausforderungen zu bewältigen:
In diversen Medien wurde China mit fast unverhohlener Bewunderung als Vorbild genannt, wie man die Pandemie erfolgreich bekämpfen könnte. Nur hindern uns ärgerlicherweise die üblichen demokratischen Prozesse und Befindlichkeiten an einem solchen autoritären Antivirus-Programm. Ob es wirklich sein kann, dass in einem Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern durch harte Massnahmen das Virus vollständig ausgelöscht wurde und auch durch Geschäftsreisende nicht wieder importiert wird, wird erstaunlicherweise nie gefragt. Wie China sollte man handeln können, nur braucht man dazu noch die gesetzliche Grundlage.
Wie solch autoritäres Vorgehen aussehen könnte, hat nun in erschreckender Klarheit der Gesundheitsökonom Willy Oggier gegenüber dem Tagesanzeiger geäussert. «Corona-Skeptiker verwirken ihr Recht auf einen Intensivplatz bei Engpässen», lässt er sich zitieren.
Massnahmenverweigerer sollten ihm zufolge dafür in einem Namensregister erfasst werden. Solch ein Vorgehen könne Signalwirkung haben, es brauche einen Malus, damit das System funktioniere.
Wie sollen wir uns das vorstellen? Sollen Bürgerpolizisten anfangen, Menschen zu melden, die sich an Bahnhöfen und in Supermärkten die Maske nicht über die Nase ziehen, damit man sie dann im Falle einer Lungenentzündung sterben lassen kann, um ein Exempel zu statuieren? Und wie weit will man diese gesundheitsökonomische Logik treiben? Sollen auch an Rauchern, an Übergewichtigen, an Extremsportlern, usw. entsprechende Exempel statuiert werden?
Je länger dieses von Anfang an kommunikativ missratene Krisenmanagement dauert, je mehr auch medial die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben wird, desto deutlichen offenbaren Vertreter und Unterstützer des Regierungskurses, wie weit sie zumindest in ihrer Fantasie zu gehen bereit sind. In den klassischen Medien wird ihnen dazu die Plattform bereitwillig gegeben, das Framing von Willy Oggier als nicht einfach ein Ökonom, sondern als «renommierter» Ökonom (SRF), gibt ihm die mediale Rückendeckung.
Als Theologe bin ich besonders darüber enttäuscht, dass nicht wenigstens von den Kirchen endlich mal ein klares Wort zu hören ist, dass es neben (gesundheits-)ökonomischen Gesichtspunkten der Krisenbekämpfung auch noch ethische Gesichtspunkte gibt und dass man die Menschenwürde nicht einfach der Virusbekämpfung opfern darf. Wenn der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden soll und öffentlich Hetze gemacht wird gegen Menschen, welche die Verharmlosung der Kollateralschäden durch die Virusbekämpfung kritisieren und die Verhältnismässigkeit infrage stellen, so bedeutet Schweigen Zustimmung.
Wo bleiben in der Öffentlichkeit von Seiten der Kirchen, der Intellektuellen, der Bildung, des Gesundheitswesens und nicht zuletzt auch von Seiten der Politik die Stimmen, die sich dagegen wehren, zurückzufallen in ein autoritäres Denken, das die Würde des Menschen nicht mehr schützt, das den Menschen total durchleuchten will, das den Menschen durch soziale Kontrolle in seinem Verhalten terminieren will, das letztlich die Eindämmung eines Virus über jeden anderen Wert stellt?
Solidarität. Ein Schlagwort, das moralisierend zwischen den Guten und den Bösen unterscheidet. Im Namen der Solidarität wird Denunziantentum gefördert, im Namen der Solidarität sollen abweichende Elemente erfasst und entfernt werden. Wer Solidarität anders versteht und lebt als es der Kommunikationsstrategie der Behörden entspricht, ist böse. Und gegen die Bösen ist dann jedes Mittel recht. Was man lange nur für besonders boshafte Meinungen in den Online-Kommentarspalten der einschlägigen Medien gehalten hat, wird nun durch Gesundheitsexperten und Ökonomen, die dafür eine breite Plattform bekommen, salonfähig. Man darf die «Unsolidarischen» sterben lassen, ihnen gilt der Grundsatz, dass jedem Menschen eine korrekte medizinische Behandlung zusteht, nicht mehr. Moralismus ist der perfideste Feind der Ethik.
Dr. Benjamin Kilchör (*1984) ist evangelischer Theologe und Professor für Altes Testament an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel.
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