Die deutsche «Bild»-Zeitung entschuldigt sich stellvertretend für die Bundesregierung bei den Kindern, die unter den Massnahmen gelitten haben. Schöne Geste oder pure Heuchelei?
Eines muss man sich vor Augen halten: Die «Bild» tut nichts ohne Grund. Alles, was passiert, geschieht mit dem Ziel von mehr Klicks oder steigender Auflage der gedruckten Ausgabe. «Bild» ist eine gut gemachte Boulevardzeitung, dagegen ist nichts zu sagen, auch wenn es im Einzelfall widerlich werden kann. Aber unterm Strich hat die Zeitung keine Seele, die sie in die Waagschale werfen kann. Alles folgt einem klaren Kalkül, einer Strategie.
Vor allem, wenn sich der Chefredaktor Julian Reichelt persönlich zu Wort meldet wie in diesem Beitrag. Weil es die deutsche Regierung nicht schaffe, tue er es eben: Er bitte die Kinder im Land um Verzeihung «für anderthalb Jahre einer Politik, die Euch zu Opfern gemacht hat.» Die Kinder seien zu «Opfern von Gewalt, Vernachlässigung, Isolation, seelischer Einsamkeit» geworden, «für eine Politik und eine mediale Berichterstattung, die Euch bis heute wie Gift das Gefühl einflösst, Ihr wäret eine tödliche Gefahr für unsere Gesellschaft.»
Alles wahr, alles richtig. Nur: Die «Bild» hat diese Entwicklung und ihr Resultat mitgetragen. Sie hat die Coronapanik befeuert, sie hat wie die meisten Medien in Deutschland und anderswo die von Regierungen und Behörden systematisch aufgebaute Panik mit entsprechenden Schlagzeilen, mit manipulativen Bildern vorangetrieben. Nichts hielt die Redaktion davor zurück, die Apokalypse herbeizuschreiben.
Und nun die «Entschuldigung». Zum Teil wird sie hierzulande gefeiert mit dem Aufruf, Schweizer Zeitungen sollten sich dem anschliessen. Aber wozu? Und wie ehrlich wäre das? Wenn man der «Bild» eines zuschreiben kann, dann das: Sie hat die Nase im Wind. Sie weiss, wann Stimmungen zu kippen drohen. Und sie kann sich wieselflink auf die richtige Seite schlagen. Deutschland überbordet im Coronawahn noch weit mehr als die Schweiz, die Nerven liegen dort blank, der gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Schaden ist weit höher als bei uns, und unserer kann sich bereits sehen lassen.
Also geht es darum, die Kurve im richtigen Moment zu erwischen. Die Emotionen wandeln sich gerade, und da darf eine Zeitung, die sich stets an der breiten Masse orientiert hat, nicht abseits stehen. Der Verlag, der dahinter steht, hat keine Haltung, er kennt nur die Zahlen aus der Buchhaltung und orientiert sich an diesen. Im Grunde ist die «Entschuldigung» eine weitere Ohrfeige für die Opfer der Hysterie. Zunächst lässt man sie im Stich, dann sagt man, wie leid einem das tue, um die nächste Phase einzuläuten.
In diesem Sinn ist es nur konsequent, wenn die Zeitungen in unserem Land auf diesen Schritt verzichten. Sie sollen ihren Kurs beibehalten, der sie langfristig Leser und Glaubwürdigkeit kosten wird – sofern das nicht bereits geschehen ist.
Wörtlich schreibt «Bild»-Chef Reichelt:
«Ich möchte es so deutlich wie möglich sagen: Was Euch Kindern angetan wurde von einer Regierung, die wir als Eltern auch und vor allem für Euch gewählt haben, die wir offenbar nicht scharf genug kritisiert haben für geschlossene Schulen und gesperrte Fußballplätze, beschämt uns als Gesellschaft.»
Offenbar? Ohne Zweifel sogar. Nicht scharf genug? Überhaupt nicht. Diese Zeitung war der willfährige Erfüllungsgehilfe ihrer Regierung, und das über viele Monate. Nun dreht der Wind hoffentlich – und «Bild» stellt sich sofort so, dass sie ihn im Rücken hat. Unehrlicher geht es kaum.
Da ist es schon fast schöner, wenn eine Zeitung völlig verblendet bei ihrer Version der Geschichte bleibt. Das ist wenigstens authentisch bis zum bitteren Ende.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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