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Judenretter Carl Lutz

Der mutige Diplomat aus der Ostschweiz wird in Bregenz geehrt

Mit seiner mutigen Rettungsaktion konnte der Schweizer Vizekonsul Carl Lutz zwischen 1942 bis 1945 die Deportation von über 50'000 Budapester Jüdinnen und Juden in die Konzentrationslager der Nazis verhindern. Nun wird er mit einem Weg in Bregenz geehrt.

Urs Oskar Keller am 25. Januar 2020

In Kürze:

• Der Ostschweizer Carl Lutz (1895–1975) hatte im Zweiten Weltkrieg in Budapest über 50'000 Juden gerettet. Zuerst wurde er gerügt, jetzt geehrt. Nun würdigt ihn die Vorarlberger Landeshauptstadt durch die Benennung eines Carl-Lutz-Weges. Der feierliche Anlass findet am 27. Januar 2020 in Bregenz statt.

• Die offizielle Schweiz anerkennt die Leistungen von Lutz lange Zeit nicht, und der Diplomat gerät in Vergessenheit. Erst 1995 wurde der vergessene Retter rehabilitiert. Neben zahlreichen anderen Ehrungen wurde zum Beispiel 1991 in Budapest ein eigenes Denkmal für ihn errichtet.

«Ein bislang namenloser Weg entlang der Bahntrasse und des Mehrerauer Waldes – zwischen der Kassian-Haid-Gasse und der Reutegasse – in Bregenz wird künftig Carl-Lutz-Weg heissen», bestätigt Thomas Schiretz vom Kulturamt der Vorarlberger Landeshauptstadt. Das habe die Stadtvertretung am 24. Oktober 2019 beschlossen. Warum? Schiretz: «Weil der Schweizer Honorarkonsul bei uns von 1954 bis 1961 in Bregenz war im letzten November in der Herz-Jesu-Kirche in Bregenz die Ausstellung ‹Carl Lutz und das legendäre Glashaus› über ihn gezeigt wurde.»

Carl Lutz war von 1954 bis 1961 Konsul an der Belruptstrasse 20 in Bregenz am Bodensee. Während des Zweiten Weltkrieges war er Diplomat in Budapest und rettete in dieser Funktion über 50'000 ungarische Jüdinnen und Juden durch eine beispiellose Schutzbriefaktion vor der Deportation in die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager – und damit vor dem sicheren Tod. Thomas Schiretz: «Weil er dies aber ohne offizielle Genehmigung seines Heimatlandes tat und damit eine ‹Kompetenzüberschreitung› beging, wurde ihm zu Lebzeiten seitens der Schweiz keine entsprechende Anerkennung seines Wirkens zuteil.»

«Ein Mensch mit Mut und Zivilcourage»

«Carl Lutz bewahrte als Vizekonsul der Schweizer Botschaft in Budapest Zehntausende Jüdinnen und Juden durch eine beispiellose Schutzbriefaktion vor der Deportation in die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager – und damit vor dem sicheren Tod. Er war ein Mensch mit Mut und Zivilcourage, ein Vorbild für uns alle», sagt Michaela Fink, Sprecherin der Landeshauptstadt Bregenz.

Ágnes Heller, Überlebende des Holocaust und emeritierte Inhaberin des Hannah-Arendt-Lehrstuhls für Philosophie an der New School for Social Research in New York, hielt 2015 in Bregenz im Rahmen der Enthüllung des Vorarlberger Widerstandsmahnmals (www.widerstandsmahnmal-bregenz.at) die Festrede mit dem Titel: «Eine Welt, die Helden brauchte.» Heldentum habe viel mit Liebe zu tun. Ein Held sei ein Mensch, der das, was ihm wichtig sei, für eine Liebe opfere, die alles andere übersteige, sagte sie.

«Das ist immer eine unbequeme Einsicht»

Stellung zu beziehen und für in Not Geratene einzustehen, dazu gehört grosser Mut. Auch heute gibt es im Alltag viele Situationen, die ein couragiertes und menschliches Eingreifen erfordern. Das Bewusstsein für die Würde und die Gleichheit aller Menschen bildet die Grundlage für ein friedvolles und respektvolles Zusammenleben. Dr. Hanno Loewy, Literaturwissenschafter und Leiter des Jüdischen Museums Hohenems: «Ich bin sehr froh, dass es unserm Verein und den Partnern in Bregenz gelungen ist, das möglich zu machen. Menschen wie Carl Lutz erinnern einen daran, dass man eine Wahl hat und Verantwortung dafür, welche man trifft. Das ist immer wieder eine unbequeme Einsicht. Auch heute.»

Hanno Loew

Dr. Hanno Loewy, Literaturwissenschafter und Leiter des Jüdischen Museums Hohenems. (Bild: Urs Oskar Keller)

Andenken in Walzenhausen

Seit 1978 erinnert eine Gedenktafel an der Kirche an Generalkonsul Carl Lutz, den das Dorf Walzenhausen im Kanton Appenzell Ausserrhoden 1963 zum Ehrenbürger ernannte. Im April 2019 ist zudem beim Geburtshaus (Wilen 404) eine Erinnerungstafel zu seinen Ehren angebracht. «Einen Weg oder Strasse gibt es nicht und ist, soweit ich weiss, auch nicht geplant. Schön, dass in Bregenz ein Weg nach Carl Lutz benannt wird», sagt Yvonne Oberlin, Gemeindeschreiberin von Walzenhausen AR mit 2015 Einwohnern. Historiker Dr. Werner Dreier vom Verein erinnern.at in Bregenz: «Mir ist nur ein Carl-Lutz-Weg oder -Strasse in Niederösterreich – Spillern und Stockerau – bekannt, sowie natürlich in Budapest und in Bern.» 2018 erfolgte die Umbenennung des wichtigsten Sitzungsraums des EDA im Bundeshaus West in Bern in «Salle Carl Lutz».

Sein Handeln kann heute als eine der grössten zivilen Rettungsaktionen von Jüdinnen und Juden im Zweiten Weltkrieg betrachtet werden.

Walzenhausen

Walzenhausen, der Geburtsort von Carl Lutz. (Bild: Urs Oskar Keller)

Zur Person Carl Lutz

«Ein Gerechter unter den Völkern»

Carl Lutz wird 1895 im Dorf Walzenhausen AR geboren. Er absolviert eine kaufmännische Lehre in St. Margrethen. 1913 Auswanderung nach Granite City im US-amerikanischen Bundesstaat Missouri und Erhalt der amerikanischen Staatsbürgerschaft. Ab 1918 besucht Lutz eine private Methodisten-Sekundarschule, das Central Wesleyan College in Warrenton (Montana). Eintritt in den Konsulardienst und berufsbegleitende Studien an der privaten, 1821 gegründeten George Washington University in Washington. Von 1942 bis 1945 leitet Lutz als Vizekonsul die Schutzmacht-Abteilung der Schweizer Gesandtschaft in Budapest, die Grossbritannien, die USA und zwölf weitere Krieg führende Staaten vertrat. Als im März 1944 die deutsche Wehrmacht Ungarn besetzt, sind auch die über 740'000 ungarischen Juden in Lebensgefahr. Während in der Provinz in drei Monaten eine halbe Million Menschen deportiert wird, gelingt es Lutz, in Budapest mit einer diplomatisch-humanitären Aktion – die sein Mandat sprengt, aber von Bern toleriert wird – insgesamt über 50'000 (der 120'000 überlebenden) Juden zu retten.

In zähen Verhandlungen mit der Horthy-Regierung, mit Hitlers Gesandtem Edmund Veesenmayer und dem SS-Kommandanten Adolf Eichmann erreichte der Schweizer Diplomat den Schutz der Palästinapass-Inhaber. Er entwickelte ein Schutzbrief-System und stellt rund 70 Häuser unter den Schutz der Eidgenossenschaft, damit Jüdinnen und Juden dort vor der Deportation sicher sind. Er stellt viel mehr Schweizer Schutzbriefe als die 8000 aus, die ihm aufgrund des Kontingents zustehen, und trägt die Auswanderungswilligen in Kollektivpässe ein. Lutz bringt die Juden in diese Schutzhäuser unter. Nach dem Krieg wird Lutz von seinen Vorgesetzten gerügt, weil er seine Kompetenzen überschritten hätte. In der vom EPD in Bern angestrengten Administrativuntersuchung zur Amtsführung der ganzen Gesandtschaft in Budapest (nicht gegen Lutz persönlich) wird ihm 1945 tadelloses Verhalten bescheinigt. Von 1954 bis 1961 wird er schliesslich als schweizerischer Konsul in Bregenz tätig. 1964 wird Lutz als erster Schweizer von der Holocaust-Stiftung Yad Vashem als «Gerechter unter den Völkern» in Israel geehrt. Lutz kämpft sein Leben lang um die staatliche Anerkennung seiner aussergewöhnlichen Leistungen, die ihm jedoch versagt bleibt. Die offizielle Schweiz anerkennt die Leistungen von Lutz lange Zeit nicht, und der Diplomat gerät in Vergessenheit. Sein Handeln kann heute als eine der grössten zivilen Rettungsaktionen von Jüdinnen und Juden im Zweiten Weltkrieg betrachtet werden. Am 12. Februar 1975 stirbt er vereinsamt und verbittert. Carl Lutz ist auf dem Berner Bremgartenfriedhof begraben.

Quelle: Historischen Lexikons der Schweiz (HLS), AfZ Archiv für Zeitgeschichte ETHZ.

Carl Lutz

Konsul Carl Lutz. (Archivbild: uok)

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Autor/in
Urs Oskar Keller

Urs Oskar Keller (*1955) ist Journalist und Fotoreporter. Er lebt in Landschlacht.

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