Am Green Economy Symposium in Winterthur richten sich Fragen auffallend oft an die Landwirte. Anwesend ist allerdings nur der höchste Biobauer der Schweiz, der Ostschweizer Urs Brändli, Präsident von Bio Suisse. Er sagt, wo unsensible Konsumentinnen und Bauern mehr Gespür entwickeln müssten.
TEXT: ROLAND SCHÄFLI, BILD: BIO SUISSE
Nach elf Ausgaben gilt das Swiss Green Economy Symposium (SGES) in Winterthur als wichtiger Termin im Kalender der Nachhaltigkeitsszene in der Schweiz. 250 Referenten haben vergangene Woche Erfolgsrezepte ausgetauscht.
Anders als in Bern, wo die Stimme der Bauern in der Regel gut gehört wird, ist der Anführer der Biobauern hier ein Rufer unter vielen: «Man redet über die Landwirtschaft, aber nicht mit den Landwirten. Dabei ist sie doch ein Abbild unserer Gesellschaft.»
Herdöpfel kennen die Wahrheit
Die Repräsentantin des Saatgutherstellers Syngenta, Petra Laux, verspricht neue Pflanzenschutzmittel. Zwei Milliarden Franken werde Syngenta investieren, um Landwirten «Durchbrüche zur Nachhaltigkeit» zu ermöglichen. Dass der Präsident von Bio Suisse dabei die Nase rümpft, verwundert nicht: «Warum solchen Versprechungen zu klimatoleranten Pflanzen vertrauen, wenn wir erst Jahre später die tatsächlichen Auswirkungen erleben?»
Viel lieber würde Brändli die Aufmerksamkeit auf die Herdöpfel-Ernte 2022 lenken: Im konventionellen Anbau aufgrund der Trockenheit unterdurchschnittlich, fiel die Biokartoffel durch ihre Robustheit auf. «Weil sie tiefer wurzelt, da, wo sie noch Wasser findet, und weil die Biomasse durch den Verzicht auf Kunstdünger für vitaleren Boden sorgt.»
Allerdings ist auch ein Biobauer nicht vor Ausfällen durch Klimawandel gefeit. Im Grünland geht die Menge in Dürreperioden stark zurück, die Qualität in den Folgejahren, sofern man nicht in Übersaaten investiert. Will heissen, wieder gute Gräser mit Saat auf die Grünflächen ausbringt. Also Investitionen tätigen bei gleichzeitig geringerem Ertrag.
Ist Bio die Klimalösung?
Seine heimatliche Scholle im st.gallischen Goldingen hat er jahrelang selbst mit Hofdünger genährt. Immer galt: Ist es im Rest der Schweiz zu trocken, ist‘s im Linth-Gebiet gerade recht.
Das ist jetzt nicht mehr so. Nach Trockenheit und mildem Winter ist Urs Brändli noch stärker vom eigenen Mantra überzeugt: «Bio ist ein wichtiger Teil der Lösung in der Klimaproblematik», sagt er unter Berufung auf wissenschaftliche Studien. Seit gut zehn Jahren sitzt er auch im Stiftungsrat des Forschungsinstituts für biologischen Landbau Schweiz. Sein Verband widerspricht der Agrochemie, die sich zur Bewältigung der Klimakrise viel vom Genom-Editing verspricht, und fordert die Beibehaltung des Moratoriums für gentechnisch veränderte Pflanzen.
Bad Boy Bauer
Der Schweizer Landwirt gilt in der Diskussion um Klimaschutz als Bad Boy. Wegen Treibhausgasemissionen aus der Nutztierhaltung, dem Düngereinsatz und dem Energieverbrauch. In der Bio-Landwirtschaft werden Böden weniger intensiv genutzt. Zudem wird im Anbau dank Verzicht auf Kunstdünger weniger Energie verbraucht - das rückt die Bio-Bauern in den Vordergrund der aktuellen Diskussion.
Der Verband Bio Suisse möchte bis 2040 in Richtung netto null vorrücken. «Sollen wir Lebensmittel produzieren, werden Emissionen nicht zu verhindern sein», sagt Brändli im Gespräch mit «Die Ostschweiz». «Wobei wir die aktuellen Berechnungsmethoden auch hinterfragen.» Während die Emissionen einer einzelnen Kuh berechnet werden, bleibe das CO2 unberücksichtigt, das im Gras gebunden werde.
Eine Speiseplan für Mensch und Planeten
Danone, weltweit grösster Produzent von Milchprodukten, geht zusammen mit der Universität St.Gallen (HSG) und dem Berner Inselspital der Frage nach, wie gesund und nachhaltig der Fleischverzehr ist. Dabei orientiert sich Country-Manager Sandro Tichelli am Ernährungsplan der «Planetary Health Diet»: ein Speiseplan, von Experten entworfen, der gleichzeitig den Menschen und den Planeten gesund machen soll.
Der Fleischverzehr müsste drastisch verringert werden. Das sehen auch die Klimaziele des Bundes vor. Mit dem Manager von Danone ist Brändli insofern einig, als dass der «Klimaschutz beim Essen anfängt».
Der Biobauer geht sogar noch weiter: Bio Suisse möchte, dass der Konsument die Kostenwahrheit mitträgt. Konventionelle Produkte seien zu billig, weil sie die Umweltfolgekosten auf die Allgemeinheit überwälzen.
Ein Label für Restaurants
Diese Lücke zwischen Bio und Preisen der Konkurrenz schmälert die Wettbewerbsfähigkeit: Bioprodukte, wie es landläufig heisst, seien teurer. Ist der Bioboom vorbei, wie böse Zungen behaupten?
Nicht, wenn man die Zahlen für sich sprechen lässt. In der Biobilanz sieht der Verband einen langfristigen Trend bestätigt: «Wir haben seit 2019 um 22 Prozent zugelegt. Das hat mit Corona zu tun: Weniger auswärts essen, mehr für daheim einkaufen.»
Damit künftig auch im Restaurant- und Gastrogewerbe mehr Bio auf den Teller kommt, hat der Verband sein Label Bio Cuisine lanciert, das Bioköchinnen und -köche und ihre Teams mit Sternen auszeichnet. Prominenter Neuzugang ist Spitzenkoch Andreas Caminada in seinem Restaurant Oz im bündnerischen Fürstenau.
Der unsensible Konsument
Gerade beim unsensiblen Konsumenten ortet Fabian Wahl von Agroscope ein Problem: Das Stück Fleisch, Produkt einer komplexen Wertschöpfungskette, wirft er gleichgültig weg, weil er zu viel eingekauft oder gekocht hat.
Der Agroscope-Forscher lieferte den Bioproduzenten Stoff zum Nachdenken: Mikroorganismen sollen Pflanzen üppiger wachsen lassen und die Fruchtbarkeit der Böden verbessern. Ginge es nach dem Agroscope-Bereichsleiter, müsste ohnehin das Übergewicht der Konsumenten einmal als Kostenfaktor betrachtet werden. Produziert werden sollten nur so viele Nährstoffe, wie der Mensch wirklich brauche.
Kurz: An guten Ratschlägen an die Adresse der Bäuerinnen und Bauern mangelt es am Symposium nicht. Manchen Widerspruch muss der Chef der Bio Suisse aussortieren wie faule Äpfel. Er hält diesen neuen Botschaften entgegen, dass sie einfacher werden müssen, griffiger im täglichen Umgang. Denn: «Wer nur Fertiggerichte konsumiert, kann sich genauso biologisch falsch und gesundheitlich schlecht ernähren.»
Über den Verband Bio Suisse
Der Dachverband der Bio-Bauern ist seit seiner Gründung vor über 40 Jahren zur Bioorganisation herangewachsen, die in der Schweiz den Takt im biologischen Landbau angibt. Die Produktion ohne Verwendung von chemisch-synthetischen Pestiziden und Kunstdüngern ist an ihrem Knospe-Label von anderen Bio-Labels zu unterscheiden. Pro Kopf wird in der Schweiz 439 Franken für Biolebensmittel ausgegeben, die 54 Prozent aller Konsumenten kaufen täglich oder mehrmals pro Woche einkaufen. Der Bioanteil am Lebensmittelmarkt der Schweiz beträgt allerdings vergleichsweise wenige 11,2 Prozent. 75’601 Betriebe produzieren nach den Richtlinien von Bio Suisse. 18 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche werden in der Schweiz biologisch bewirtschaftet. Im Jahr 2022 betrug der Umsatz von Biolebensmitteln 3873 Millionen Franken.
(Quelle: Jahresbericht Bio Suisse)
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