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Huber & Senn

Der Preis der Lüge

Eine der grossen Herausforderungen in der Kommunikation ist die Konsistenz der Botschaften. «Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern», lautet ein Zitat von Konrad Adenauer dazu, wenn Politiker oder Wirtschaftsführer heute dies und morgen das Gegenteil davon sagen.

Huber & Senn am 06. Dezember 2020

Was viele nicht wissen: Das Adenauer-Zitat ging noch weiter: «Nichts hindert mich daran, weiser zu werden», soll der dem Vernehmen nach eben auch noch gesagt haben. Der zweite Teil des Zitats wird meist unter den Teppich gekehrt.

Was damit zu tun haben mag, dass die meisten, wenn sie einen kommunikativen U-Turn vollziehen, das nicht aus Weisheit tun. Sondern eher aus einer unglaublichen Arroganz dem Publikum gegenüber, von dem sie wohl vermuten, es habe eh’ schon längst vergessen, was sie früher mal gesagt hatten. Nun, da kann man sich täuschen. Insbesondere seit im Internet nichts aus früheren Zeiten mehr verschwindet.

In Deutschland geht grad der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach mit einem Video aus 2011 viral. Mit scharfen Worten verlangte er damals den Rücktritt von Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg, weil diesem vorgeworfen worden war, bei seiner Doktorarbeit plagiert zu haben. Der FDP-Politiker musste – zurecht – genau so gehen wie später die Bildungsministerin Annette Schavan, die ebenfalls getrickst hatte bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Wie die Frau, der ja bewusst gewesen sein musste, dass sie ihre akademischen Weihen nicht auf sauberem Wege erlangt hatte, dann dennoch die Chuzpe hatte, ohne Scham das Amt der Bildungsministerin (ausgerechnet!) überhaupt anzunehmen, ist noch ein anderes Thema, aber lassen wir das).

Die aktuelle Familienministerin «Dr.» Franziska Giffrey leidet an derselben Symptomatik. Auch ihre Doktorarbeit ist nicht sauber und enthält Plagiate. Nur: Die Frau ist von der SPD. Da gelten dann die früheren Aussagen Lauterbachs plötzlich nicht mehr? Offenbar. Jetzt, wo es eine Parteikollegin trifft, ist Lauterbach – für einmal – ganz schmallippig geworden.

Man muss für solche Kommunikationsflops indes nicht bis nach Deutschland gehen. So rieben sich letzten Sonntag nicht nur wir verwundert die Augen, als wir im SonntagsBlick den Kommentar von Frank «Frankieboy» A. Meyer zur Erpressungsaffäre von Bundesrat Alain Berset lasen. «Keine Geschichte» lautete der Titel zu einem Artikel, in dem der Möchtegern-Intellektuelle des Hauses Ringier den Weltwoche-Autoren auseinanderlegte, warum über die Erpressung nicht zu berichten gewesen wäre. Begründung: so etwas sei Privatsache.

Und das schreibt also ausgerechnet der Drahtzieher der sogenannten «Borer-Affäre». Sie erinnern sich: An Ostern 2003 hatte der Sonntagsblick auf seiner Frontseite von einer Affäre des Schweizer Botschafters in Berlin berichtet. Offizielle Begründung: Mit der Affäre habe sich Borer erpressbar gemacht. Inoffizielle Begründung: Der Ringier-Chefpublizist Meyer suchte einen Weg, sich an Borer zu rächen, weil dieser Meyer nicht in seinen Zirkeln haben wollte und bei Partys und anderen Anlässen der Schweizer Botschaft regelmässig nicht einlud. Die Sache endete damit, dass die ganze Führungsriege des Sonntagsblicks gehen musste und «FAM» für einige Monate ins Exil geschickt wurde. Wir meinen: Bei der Vorgeschichte besser einmal mal die Füsse stillhalten.

Und das gilt in unserem Kerngeschäft, der Krisenkommunikation, ganz häufig. Wenn auskommt, dass Werte, die bei anderen lauthals eingefordert werden, selbst nicht gelebt werden, wird es schwierig. Das Schweizer Parlament hat es letzte Woche mit seinem Sauglattismus vorgelebt. Von uns Bürgern wird erwartet, keine Geburtstagsfeiern zu veranstalten und nicht zu singen, weil ja Sars-Cov19-Viren in den Aerosolen mitschweben könnten, die dabei freigesetzt werden. – Und die Politiker feiern dann lautstark einen Geburtstag. Es dürfte wohl ein Paradebeispiel werden im neuen Standard-Lehrbuch: «Wie zerstöre ich meine politische Glaubwürdigkeit nachhaltig». Noch schlimmer macht die Sache eigentlich nur, dass derlei nun schon zum zweiten Mal geschah. Wir erinnern uns an das Gelage in einem Messerestaurant, als die Sommer-Session für mehrere Millionen in die Berner Messehallen verschoben werden musste. Jeder weitere Kommentar erübrigt sich.

Dass es noch schlimmer geht, hat ein Ungare diese Woche gezeigt. In der Person von József Szájers. Der Europaparlaments-Abgeordnete der Fidesz-Partei, der für klassische, konservative Familienwerte einsteht, wurde in Brüssel im Umfeld einer Schwulensexparty verhaftet. Er hatte offenbar versucht, über eine Regenrinne zu entkommen. Die Polizei erwischte ihn gleichwohl, mit einem Haufen Ecstasy-Pillen im Rucksack. Die natürlich nicht ihm gehörten, wie er gemäss Medienberichten ausgesagt haben soll.

Solche «Schein-statt-Sein»-Fälle sind auch in der Schweiz immer wieder Themen in den Medien. Besonders peinlich wird das, wenn es Bundesanwälte betrifft: Wer andere für Gesetzesverstösse ins Gefängnis stecken will, sollte sich selbst an das Gesetz halten. Der Fall Michael Lauber lässt grüssen. Fast unglaublich, dass sich dann als Nachfolger tatsächlich einer bewarb, der selbst wegen einer Tätlichkeit strafrechtlich verurteilt worden war. Zum Glück hat die Gerichtskommission den Rank gerade noch gekriegt und das Auswahlverfahren wieder auf Feld eins zurückgesetzt.

Auch der tiefe Fall des ehemaligen Raiffeisen-Bosses Pierin Vincenz kann darunter subsummiert werden. Wer sich wie er gerne als Saubermann unter den Bankenbossen inszeniert, muss sich über besonders viel Hohn und Spott nicht wundern, wenn sich dann herausstellt, dass die eigene Weste einige dunkle Flecken aufweist. Oder sein ehemaliger direkter Vorgesetzte, ex-Raiffeisen-Präsident und Universitätsprofessor Prof. Rüegg-Stürm, der Studentinnen und Studenten Vorlesungen darüber hält, wie man ein Unternehmen richtig führt. Bis sich dann herausstellt, dass er seine Kontrollfunktion als Bankenpräsident alles andere als lehrbuchgemäss versah.

Die vielen Fälle zeigen aber auch eines: Es scheint ein fast übermenschlicher Anspruch geworden zu sein in unserer Gesellschaft, von unseren Leaderinnen und Leadern das zu erwarten, was die Amerikaner «Walk the talk» nennen. So zu handeln, wie man es propagiert. Oder eben: eine konsistente Botschaft zu vertreten. Nicht nur im Reden, sondern auch im Tun. «Bad Leadership», sagt der Amerikaner.

Die Frage ist nur: Warum haben wir keine besseren? Oder hätten wir sie, aber sie stellen sich gar nicht zur Verfügung für öffentliche Ämter, weil sie keine Lust haben, sich mit der Sorte Schwätzer abzumühen, die sehr gerne Wasser predigen und Wein trinken? Und das ist eigentlich das Traurige an der aktuellen Situation. Oder wie der wohl abtretende US-Präsident Donald Trump sagen würde: «So sad».

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Autor/in
Huber & Senn

Roger Huber (1964) und Patrick Senn (1969) sind ehemalige Ostschweizer Journalisten, die lange Jahre bei nationalen Medientiteln gearbeitet haben. Heute unterstützen Sie Organisationen und Führungskräfte in der Krisenkommunikation und sind Gründungsmitglieder des Verbandes für Krisenkommunikation vkk.

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