Rund um das Textilmuseum St.Gallen ist ein heiliger Krieg ausgebrochen zwischen zwei Seiten. Und ironischerweise haben beide recht.
Ob unser Gastautor Remo Daguati geahnt hat, was er mit seiner Kritik am Textilmuseum lostritt? Seit er bei uns verkündet hat, dass die museale Zurschaustellung der Textilindustrie überholt ist, überschlagen sich die Reaktionen. Der FDP-Stadtparlamentarier hat offenbar ein Tabu berührt.
Dabei ist er - in Teilen seiner Kritik - ja nicht völlig alleine. Das Stadtparlament hat in seltener Einmütigkeit eine Erhöhung des Kredits für das Textilmuseum an den Absender zurückgeschickt, weil für einen solchen Schritt zu wenig Informationen vorlagen. Der Unterschied: Die meisten derer, die Nein zur Vorlage sagten, möchten das Textilmuseum vermutlich erhalten. Sie wollen einfach vorher mehr wissen. Daguati hingegen findet: Die Mittel sollten in Branchen fliessen, die nicht nur in Geschichtsbüchern eine wichtige Rolle spielen, sondern auch in der aktuellen realen Wirtschaft.
Im «Tagblatt» wird er für diese Haltung nun ordentlich abgewatscht. Historiker erklären, wie bedeutsam die Textilindustrie für St.Gallen einst war, die Redaktion sekundiert mit einem Kommentar. Nur: Das ist bekannt, anerkannt und von niemandem bestritten. Die Frage, ob das reicht, um ein Museum zu betreiben und aufrechtzuerhalten, ist eine ganz andere.
Völlig egal, wie man zu dieser Frage steht: Die Tatsache, dass um eine Erhöhung der Unterstützung fürs Textilmuseum nachgefragt wurde, bevor alle relevanten Grundlagen zusammen waren, lässt tief blicken. Offenbar dachte man sich: Es geht um unsere Textilvergangenheit, da kann ja keiner dagegen sein.
Es spricht für das Parlament, dass es hier schon aus Prinzip einen Riegel schob. Denn jeder, der schon mal versucht hat, öffentliche Gelder zu bekommen, weiss, wie viel man dafür vorlegen muss. Da kann es nicht sein, dass die glorreichen vergangenen Tage reichen, ohne dass das Gesuch sauber begründet wird.
Was Remo Daguati angesprochen hat, ist im Grunde nichts als die real existierende Gegenwart: Unsere Schulkinder lesen ohne Zweifel irgendwann darüber, wie wichtig die Textilindustrie für sie einst war. Aber relevant ist sie für sie nicht mehr. Die Erfindung des Feuers war auch ein Markstein der Menschheitsgeschichte, aber keiner eröffnet ein Museum zu diesem Thema. Es war einmal, wir erinnern uns gerne daran - aber entscheidend ist, was heute ist.
Wer das textile Erbe sichtbar machen will, könnte sich ja auch Gedanken machen, ob das in einem anderen Rahmen nicht besser möglich wäre. Ich persönlich gehe jede Woche zwei bis drei Mal an den Türen zum Textilmuseum vorbei, aber bisher ist es mir nicht ernsthaft eingefallen, reinzugehen. Das kann man als Ignoranz bezeichnen - oder es pragmatisch anschauen. Eine kleine Ausstellung im Rahmen eines bestehenden, gut besuchten Angebots beispielsweise würde vermutlich für mehr Aufmerksamkeit sorgen für das Thema als ein eigenes Museum.
Und das müsste ja das Ziel sein: Die wichtige textile Vergangenheit von St.Gallen nachfolgenden Generationen zu vermitteln. Wie und wo das geschieht, ist egal, solange dieses Ziel erreicht wird. Bei diesem Thema sind eindeutig zu viele Emotionen im Spiel, die den Blick auf die eigentliche Absicht verstellen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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