Rachel Fischer ist hochbegabt. Die 26-Jährige weiss seit drei Jahren davon. Und geht seither eher zurückhaltend damit um, dies in ihrem Umfeld kundzutun. Denn: Die Reaktionen darauf fallen ganz unterschiedlich aus.
Im Mai 2017 haben Sie einen Test gemacht, um herauszufinden, ob Sie hochbegabt sind. Weshalb haben Sie sich für diesen Schritt entschieden?
Meine Mitstudentinnen haben mich im Studium mehrfach unabhängig voneinander gefragt, ob ich hochbegabt sei. Ich habe damals sehr erstaunt reagiert und klar verneint. Ich würde einfach etwas schneller als andere lernen und ich hätte meine Lernstrategie früh gefunden. So meine Antworten. Aber als mehrere unabhängig voneinander gefragt haben, begann ich zu zweifeln und habe online Tests gemacht. So bin ich auf der Seite von Mensa gelandet und habe mich dann etwa ein halbes Jahr später für den Test angemeldet.
Wie hoch ist denn Ihr IQ?
Das weiss ich nicht genau, da der Test, den ich gemacht habe, nur bis zu einem IQ von 135 genau misst. Mir ist mein Wert aber auch nicht wichtig. Es ist schlussendlich nur eine Zahl, was sagt diese schon über mich aus?
Sie gehen also eher zurückhaltend mit der Bekanntgabe Ihrer Hochbegabung um.
Grundsätzlich spreche ich darüber, wenn man mich anspricht oder mich nach meinen Ferienplänen oder wo ich meinen Freund kennengelernt habe, fragt. Ich besuche jeweils zweimal jährlich ein internationales Mensa Youth Camp. Da ich überhaupt nicht gerne andere Menschen anlüge, erzähle ich, welche Art von Camp es ist. In einem solchen Camp habe ich auch meinen Freund kennengelernt. Oft fragen mich die Leute dann, was man denn in einem solchen Camp macht. Ob man beispielsweise einfach nur Schach spielt?
Was antworten Sie dann?
Schlussendlich ist es einfach ein Camp, in dem im Fokus steht, die Zeit zusammen zu verbringen. Man kann sich für unterschiedliche Aktivitäten einschreiben: Sport, Ausflüge, Trinkspiele, Poker, Pub Quiz, Karaoke – oder einfach nur zusammen sein und sich austauschen. Der hohe IQ wird wenig erwähnt, da es im Camp nicht darum geht. Für mich sind es jeweils sehr bereichernde Wochen, da die Akzeptanz im Camp sehr gross untereinander ist, auch wenn da sehr viele unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen. Man darf einfach sein, wie man ist.
Können Sie das im Alltag weniger? Erfahren die Leute von einer Hochbegabung, sind die Reaktionen ja nicht immer nett. Wie gehen Sie damit um?
Solange man sich nicht zu stark exponiert, sind die Reaktionen ganz okay. Ich habe bisher wenig schlechte Erfahrungen gemacht. Manche Menschen nehmen mich als arrogant wahr, weil ich zum Beispiel mit Dozenten diskutiere, wenn ich finde, etwas widerspricht sich. Oder, was mir immer wieder passiert, ist, dass ich sage: «Das können wir ja noch schnell erledigen» - weil es für mich tatsächlich nicht viel Aufwand ist, aber es definitiv mehr Aufwand für andere bedeuten kann. Verständlicherweise kommt das nicht bei allen gut an.
Haben Sie auf solche Reaktionen etwas geändert?
Das Diskutieren mit den Dozenten habe ich mittlerweile fast ganz sein gelassen, da ich nicht stören möchte. Ich recherchiere dann einfach. Für mich ist es wichtig, einen Ort zu haben, wo ich einfach so sein darf, wie ich bin, wo ich meinen Gedanken freien Lauf lassen kann, ohne danach komisch angeschaut zu werden. Einen Ort zu haben, an dem ich auch manchmal ohne Worte verstanden werde. Und solche Orte habe ich. Daher bringt mich ein Urteil oder die Verurteilung anderer Menschen nicht um.
Wie macht sich Ihr hoher IQ in Ihrem Leben sonst noch bemerkbar?
Ich weiss nicht, wo sich mein hoher IQ widerspiegelt. Weil ich nicht alles auf diesen beschränke. Hängt nun mein wissbegieriges Wesen mit einem hohen IQ zusammen oder mehr mit meiner Persönlichkeit? Wenn man mich trifft, sieht man mir nicht an, dass ich einen hohen IQ habe. Damit der Verdacht aufkommt, braucht man tiefgründige Gespräche. Da ich mich jedoch schnell am Gesprächsthema anpasse, ist das nicht so einfach. Und dadurch, dass ich dem IQ-Wert selber keinen bedeutenden Wert zuspreche, wird sich dieser auch nicht gross in meinem Leben widerspiegeln.
Ist Ihr hoher IQ also mehr Fluch oder Segen?
Je nach dem, was man daraus macht. Es kann durchaus ein Fluch sein, wenn man sich in ein System einfügen muss, in das man nicht reinpasst. Findet man aber eine Nische, in der man so sein darf, wie man ist, kann sich viel von dem Potential entfalten. Es ist sehr belastend, wenn man sich in ein System einfügen muss, in das man gar nicht rein will. Meiner Erfahrung nach lassen sich aber durchaus Personen finden, die einem so herausfordern, dass der hohe IQ durchaus ein Segen sein kann. Es braucht einfach etwas Energie, jemanden zu finden. Ein hoher IQ bedeutet nicht gleich Erfolg. Es braucht auch noch andere Faktoren, um erfolgreich zu sein.
Wo macht sich der IQ am meisten bemerkbar?
Wohl im Studium, weil mir das Tempo viel zu langsam ist. Und ich leider an der Hochschule, an der ich studiere, nicht mehr als 33 ECTS-Punkte pro Semester machen darf. Ich habe jedoch nun einen Weg gefunden, damit umzugehen, der für mich stimmt. Ich glaube, es gibt immer eine Möglichkeit, eine Lösung zu finden, der die Unterforderung erträglicher macht.
Sie sprechen es an: Viele Hochbegabte haben in der regulären Schule Mühe, da sie unterfordert sind.
Mir war in der Schule oft langweilig, aber ich habe Schule nie anders gekannt. Ich habe das auch nicht so in Frage gestellt. Häufig beschäftigte ich mich mit mir selber und bin meinen Gedanken nachgegangen. In der Mittelstufe war ich sehr schlecht in die Klasse integriert und wurde gemobbt. Ich habe mich aber auch nie wirklich gewehrt dagegen. Ich bin weiterhin sehr gerne in die Schule gegangen, da ich dort Neues lernen konnte. Schon als Kind war ich sehr wissbegierig. Ich habe dann zu dieser Zeit begonnen, meine Noten zu «manipulieren». Ich wusste genau, wie viel ich machen musste, um einen 5er Schnitt erreichen zu können. Ich konnte mir nicht auch noch leisten, zu gut in der Schule zu sein, da dies das Mobbing wahrscheinlich verstärkt hätte. Auch wollte ich allgemein nicht auffallen. Daher bin ich einfach unauffällig und sehr angepasst durch die Schulkarriere. Mir wurde erst später klar, wie langweilig das eigentlich ist – als ich erfahren habe, was es bedeutet, eine Herausforderung zu haben, die einen wirklich fordert.
Was würden Sie sich wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass die Gesellschaft etwas offener für Menschen wird, die einfach anders funktionieren. Nicht nur bezogen auf Hochbegabung, sondern auch andere Minoritäten. Dass das Schulsystem sich nicht nur nach dem Durchschnitt richtet, sondern alle Kinder die Möglichkeit bekommen, ihr Potential zu entfalten, wie auch in einem Positionspaper der Lehrerverbands thematisiert wurde. Ich wünsche mir allgemein, dass die Menschen so sein dürfen, wie sie sind, ohne sich ständig anpassen zu müssen.
Manuela Bruhin (*1984) aus Waldkirch ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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