Nach den kommenden St.Galler Regierungsratswahlen droht eine Region, beherrschend zu werden: Die Region Wil-St.Gallen. Gleich fünf Regierungsmitglieder könnten von dort kommen. Unter die Räder kommen die anderen Regionen - und vor allem auch das Land.
Oben die bisherigen Regierungsräte: Stefan Kölliker (Bronschhofen), Marc Mächler (Zuzwil), Fredy Fässler (St.Gallen) und Bruno Damann (Gossau). Unten jene Politiker, die bisher Interesse am Amt geäussert haben bzw. bereits von ihrer Partei nominiert worden sind: Laura Bucher (St.Margrethen), Susanne Hartmann (Wil), Thomas Ammann (Rüthi) und Beat Tinner (Wartau).
Es gibt kein Gesetz, dass besagt, dass jede Region oder jeder Wahlkreis im Kanton St.Gallen in der Regierung vertreten sein muss. Aber es herrscht Konsens darüber, dass die Parteien darauf achten sollten, für eine halbwegs gleichmässige Verteilung der Macht zu sorgen. Sind bestimmte Gegenden über längere Zeit nicht in der Regierung vertreten, fühlen sie sich aussen vor. Ausserdem hat jede Region ihre eigenen Herausforderungen, und es ist wichtig, dass diese eine direkte Stimme haben.
Derzeit sieht aber alles danach aus, dass die nächste St.Galler Regierung geografisch höchst unausgewogen zusammengesetzt sein wird. Zumindest angesichts der bisher bekannten Nominationen und Interessenten.
Mit Heidi Hanselmann, Beni Würth und Martin Klöti treten drei Mitglieder ab, die aus Walenstadt, Rapperswil-Jona und St.Gallen kommen. Dieses Trio allein hat also schon für eine bunte geografische Durchmischung gesorgt. Diese könnte nun aufgebrochen werden. Es droht ein Ballungszentrum auf der Achse Wil-St.Gallen.
Die Wiler Stadtpräsidentin Susanne Hartmann ist die Kronfavoritin der St.Galler CVP. Doch aus Wil (beziehungsweise dem inzwischen eingemeindeten Bronschhofen) kommt auch der amtierende Stefan Kölliker. Und sein Amtskollege Marc Mächler wohnt in Zuzwil, einem Nachbarort von Wil. Werden Hartmann gewählt und die zwei Bisherigen bestätigt, kommen drei Regierungsratsmitglieder aus Wil und dem engsten Radius. Das ist eine massive Übervertretung, die sich durch kaum etwas begründen lässt. Kommt dazu, dass Kölliker und Mächler - wenn keine höheren Ämter winken - aufgrund ihres Alters noch für einige Jahre im Amt gut sind, die Situation wäre also auf lange Sicht zementiert.
Zusammen mit den Regierungsräten Bruno Damann (Gossau) und Fredy Fässler (St.Gallen), deren Wiederwahl kaum gefährdet ist, entstünde eine Achse Wil-St.Gallen, die fünf von sieben Regierungsräte umfasst, eine klare Mehrheit. Und es ist - vielleicht mit Ausnahme von Mächler in Zuzwil - eine ziemlich urbane Truppe. Das Land würde in dieser Konstellation förmlich überfahren.

Im Uhrzeigersinn: Susanne Hartmann, Stefan Kölliker, Marc Mächler, Bruno Damann, Fredy Fässler, Laura Bucher, Thomas Ammann und Beat Tinner.
Drei andere potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten wären demgegenüber eine Art mögliche Korrektur: Laura Bucher (SP) kommt aus dem Rheintal, Beat Tinner (FDP) aus dem Werdenberg, Thomas Ammann (CVP) aus dem Rheintal. Bucher und Tinner sind als Kandidaten ihrer Partei gesetzt, Ammann müsste sich zuerst gegen Susanne Hartmann durchsetzen. Das wird schwierig, da sich die CVP-Parteileitung bereits intensiv für Hartmann ins Zeug legt; für die CVP-Spitze muss es auf jeden Fall eine weibliche Kandidatur sein, wie sie klargemacht hat. Das Geschlecht ist also vorgegeben, die Region scheint keine Rolle zu spielen.
Mit der heute bekannten Auswahl würde der Kanton St.Gallen in der Regierung jedenfalls sehr mangelhaft abgebildet. Das ist eine Steilvorlage für alle, die auch noch wollen, insbesondere die SVP mit dem Wunsch nach einem zweiten Sitz. Sie müsste nun ihre Kandidatenkür mit der Landkarte vor Augen durchführen. Denn es könnte ihr viel Schwung verschaffen, wenn sie die Ungleichverteilung zum Thema macht. Das gilt auch für die Grünen oder die Grünliberalen, die ebenfalls Regierungsgelüste haben. Sie haben allerdings das Problem, dass ihre potenziellen Anwärter meist auch aus dem urbanen Gebiet kommen und die Lücken so schlecht füllen können.
Autor/in
Stefan Millius
Stefan Millius (*1972) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz». Seine Stationen führten über das «Neue Wiler Tagblatt», Radio aktuell, die ehemalige Tageszeitung «Die Ostschweiz» zum «Blick».