Das aktuelle Corona-Management entlastet die Spitäler nicht, sondern erschwert ihre Lage noch, denn sie zwingt zur Hospitalisation. Der Gastbeitrag einer Pflegefachfrau, der als offener Brief an den Bundesrat und an das Bundesamt für Gesundheit geht.
Der offene Brief von Marianne Straub Ruetz an den Bundesrat und das Bundesamt für Gesundheit:
«Als Pflegefachfrau in einer Spitex wundere ich mich seit Monaten, warum wir in unserem Betrieb praktisch keine Covid-19-Patienten haben, obwohl wir seit März dieses Jahres bestens darauf vorbereitet sind. Ausser der speziellen Schutzausrüstung ist das ja nichts anderes, als was wir immer machen: Wir pflegen kompetent kranke Menschen zu Hause.
Viele unserer Klienten leiden an einer oder mehreren chronischen Erkrankungen und wenn sich dann noch eine akute Krankheit dazu gesellt, zum Beispiel eine schwere Grippe im Winter, dann stehen wir das gemeinsam durch. Es ist uns auch ein grosses Anliegen, dass Menschen zu Hause sterben dürfen, wenn sie das möchten, und zwar würdevoll, angst- und schmerzfrei. Das ist mit dem Palliativkonzept möglich, auch mit einer schweren Atemwegserkrankung und auch im Lungenödem, das heisst wenn sich die Lungen mit Wasser füllen, was übrigens nichts Neues oder Corona-spezifisches ist, sondern bei den meisten Menschen im Sterben vorkommt, wenn Herz oder Nieren nicht mehr gut funktionieren. Ich habe es schon viele Male miterlebt und ich verspreche Ihnen, keiner meiner Patienten ist jämmerlich erstickt, wie man das in den Medien lesen konnte.
Ich jedenfalls habe in meiner eigenen Patientenverfügung festgehalten, dass ich nicht im künstlichen Koma an einer Beatmungsmaschine sterben möchte, sondern von lieben Menschen gut gepflegt, allenfalls mit Sauerstoff und Opiaten versorgt und von Freunden und Familie besucht.
Deshalb treibt mich seit März die Frage um:
Warum nur rennen mit Covid-19 alle ins Spital, um sich pflegen zu lassen oder um zu sterben?
Heute ist mir die Antwort klar geworden, als wir eine Covid-19-Patientin ins Spital verlegt haben. Wir mussten die Patientin nämlich nicht einweisen, weil sie das gewünscht hätte oder weil es ihr so massiv schlecht ging! Nein, wir mussten sie einweisen, weil all ihre sozialen Ressourcen blockiert worden sind durch die Corona-Massnahmen: Die Patientin mit mittleren Symptomen, positiv getestet muss in Isolation sein, zwei ihrer Angehörigen sind schon in Quarantäne, weil sie mit ihr Kontakt hatten, werden per Telefon vom Kontakt-Tracing kontrolliert und können sich eine verlängerte Quarantäne als Berufstätige nicht leisten. Nachbarn, Töchter, Söhne, Enkel, Freunde dürfen alle nicht mehr kommen.
Die kassenpflichtigen Leistungen der Spitex, auch wenn sie 2-3 Mal täglich erbracht werden, reichen jedoch nicht aus, wenn eine geschwächte Person ganz allein oder mit einem ebenfalls geschwächten Partner zu Hause ist und alle anderen sozialen Kontakte verboten sind, wenn keiner da sein darf, um die Patientin zwischendurch auf die Toilette zu begleiten, um ihr einen Tee oder eine Suppe zu reichen, um die nass geschwitzte Bettwäsche zu wechseln und zu waschen, um einen kühlen Lappen auf die Stirn zu legen, um ihr etwas vorzulesen, um zu lüften, den verschütteten Tee aufzuwischen, einen Brustwickel zu machen.
Heute ist mir klar geworden, dass ich bei meiner letzten schweren Grippe auch hätte hospitalisiert werden müssen, wenn meine sozialen Kontakte Hausverbot gehabt hätten und es ist mir mit Schrecken bewusst geworden, dass meine Patientenverfügung bei Covid-19 wohl nicht zum Tragen kommen könnte!
Ja, die Corona-Massnahmen sollen die Spitäler vor Überlastung schützen, aber sie blockieren und verbieten jede Alternative!
Ich bitte Sie, solche Gedanken miteinzubeziehen in ihre weitere Massnahmenplanung und grüsse Sie freundlich.»
Zur Autorin
Marianne Straub Ruetz, 59, ist ausgebildete Pflegefachfrau HF 1989 mit Bachelor of Science Nursing (2013). Sie war immer und bis heute in der Praxis als Pflegefachfrau in der Spitex. Parallel dazu war sue über 20 Jahre als freie Dozentin tätig in der Ausbildung von Pflegefachleuten.
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