Bild: Urs Oskar Keller
Das Fernsehen SRF zeigt am 24. und 25. November 2019 eine zweiteilige Sendung. Sie erzählt die Geschichte der Zirkusfamilie Knie über die letzten 100 Jahre hinweg. Ein spannender Einblick in ein Stück Schweiz - und Ostschweiz.
«Hereinspaziert! Treten Sie ein und lassen Sie sich verzaubern!» So oder ähnlich begrüsst der Zirkus seit jeher sein Publikum. Seit 100 Jahren auch die Familie Knie. Das neue, sehr schön gestaltete Knie-Buch umfasst 240 Seiten und rund 400 Bilder in Farbe und schwarz-weiss. Darunter eine Vielzahl von bisher unveröffentlichten Fotos und Dokumenten. «Das Buchprojekt dauerte gut drei Jahre. Insgesamt habe ich mehr als 850 Stunden daran gearbeitet», sagt Peter Küchler (41), Autor des Buches.
Der ehemalige Knie-Medienverantwortliche und PR-Mann beim Schweizer Fernsehen (SRF) betreibt heute eine Kommunikationsfirma in Sarnen. Das umfangreiche Knie-Unternehmensarchiv in Rapperswil-Jona umfasst eine Vielzahl von Fotomappen, Dokumentenordner und Sammlungen von Presseartikeln. Es wird vom Chris Krenger (80), Zirkusfachmann und früheren Knie-Pressechef von 1968 bis 2001 betreut. Dort finden sich viele Trouvaillen, die im neuesten Bildband veröffentlicht wurden. Krenger: «Es hat sich vieles verändert, nicht nur im Pressewesen und im Circus. Mein Kontakt mit Knie ist dieses Jahr besonders intensiv, da im Jubiläumsjahr sehr viel Historisches verlangt wird und ich meinen Nach-Nach-Folgern oft Unterlagen aus dem Knie-Archiv heraussuchen muss.»
Zirkus-Dynastie Knie
Um 1814 bereiste die Seiltänzerfamilie Knie aus Wien mit ihrem Arena-Circus zum ersten Mal die Schweiz und liess sich 1849 in Burgdorf und später auch in Rapperswil-Jona (SG) nieder. In der vierten Generation gründeten Friedrich und Eugen Knie den Schweizer National-Circus. Ihr erstes Zelt (Chapiteau) stand 1919 in Bern. Das Familienunternehmen Knie zählt zu den ältesten und führenden Zirkus-Dynastien Europas. Zum Unternehmen gehören nebst dem Zirkus auch Knies Kinderzoo und das Thai-Restaurant Himmapan in Rapperswil (SG). Die Gebrüder Knie Schweizer National-Circus AG ist seit jeher zu 100 Prozent in Familienbesitz. Das Unternehmen beschäftigt 200 Mitarbeitende. Das Winterquartier befindet sich in Rapperswil am Zürichsee. Die 100. Jubiläumstournee startete am 21. März 2019, denn erst seit 1919 ist Knie mit einem Zirkuszelt unterwegs. (uok)
Zirkusgeschichte
Als Schöpfer des modernen Zirkus gilt der britische Kunstreiter Philip Astley (1742-1814), der in der Arena Pferde- und Tierdressuren, Akrobatik, Pantomimen und Clownerie aufführte. Astleys Etablissement, ursprünglich als Pferdetheater bezeichnet, wurde vom venezianischen Kunstreiter Antonio Franconi (1738-1836) übernommen. Dessen Söhne nannten das Unternehmen mit der neuen theatral. Unterhaltungsform 1807 Cirque olympique. Der Name Zirkus wurde in den darauffolgenden Jahren von weiteren Akrobaten, Jongleuren, Seiltänzern, Kunstreitern, Clowns, Tierbändigern und Schaustellern übernommen, die in einer Freiluftarena (Manege) auftraten.
Ab dem Mittelalter reisten Spielleute (Gaukler, Jongleure), ab dem 17. Jahrhundert auch Wandertruppen durch das Gebiet der heutigen Schweiz. Letztere traten oft gemeinsam mit Schaustellern auf und bauten deren Ideen (Auftritte mit Riesen und Zwergmenschen) in ihre Programme ein. Im 19. Jahrhundert war die Schweiz Durchgangsland bekannter Zirkus-Unternehmungen wie Hagenbeck aus Deutschland oder Barnum & Bailey aus den USA. Nebst dem üblichen Programm wurden dem Publikum auch Völker- und Tierschauen angeboten sowie Artist. Aufführungen, wie sie sonst in den Stadttheatern und Variétés zu sehen waren.
1814 erstmals in der Schweiz
Um 1814 bereiste die Seiltänzerfamilie Knie aus Wien mit ihrem Arena-Circus zum ersten Mal die Schweiz und liess sich 1849 in Burgdorf und später auch in Rapperswil (SG) nieder. In der vierten Generation gründeten Friedrich und Eugen Knie den Schweizer National-Circus. Ihr erstes Zelt (Chapiteau) stand 1919 in Bern. In de zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden neue Wanderzirkusse, so um 1860 aus der deutschen Artistendynastie Nock der gleichnamige Zirkus, der vorher unter dem Namen Circus Central gereist war. Nock trat 1890 in Richterswil und 1892 in Davos mit einem Orchester und Elefanten auf. Eine Attraktion bildeten auch Nocks ausländische Artisten und das Personal aus Afrika. Ausserdem führte er einen Kinematografen mit, der unter anderem in ländlichen Gebieten die erste Begegnung mit dem Medium Film ermöglichte. Ende des 19. Jahrhunderts kam der Deutsche Heinrich Gasser mit seiner Adler-Truppe in die Schweiz. Das Unternehmen wurde 1941 in Circus Olympia umbenannt und liess sich in der Schweiz nieder. Weitere traditionelle Schweizer Zirkusdynastien sind Stey, Bauer, Strohschneider und Inauen.
Anders als in europäischen Metropolen wie Paris, London und Berlin gab es in der Schweiz keine festen Zirkusbauten. Die Zirkusse reisten mit Freilicht-Arenen durch das Land, die bis zum Zweiten Weltkrieg sukzessive durch Zelte ersetzt wurden. Die kalten Monate verbrachten die Zirkusse im Winterquartier. In den 1950er- und 1960er-Jahren machten neue Medien wie Kino und Fernsehen dem Zirkus Konkurrenz. Rückläufige Besucherzahlen und neue Zirkusgründungen führten zur Spezialisierung der Unternehmen. So wurde das Programm bei Knie ab 1969 mit Auftritten von Prominenten bereichert. Als erster trat Clown Dimitri auf, ihm folgten unter anderem Emil und die Pantomimen Mummenschanz. Der Zirkus Olympia veränderte sein Angebot, indem er (als Erster) ein Restaurant integrierte. Ab Ende der 1970er-Jahre entstanden neue Unternehmen, so unter anderem die Raubtiershow von René Strickler, der Jugendzirkus Robiano, der Kinderzirkus Robinson oder der Theaterzirkus Wunderplunder. Die grossen Zirkus-Unternehmen bauten Erlebnisparks (beispielsweise Knie den Kinderzoo in Rapperswil oder Gasser das Connyland in Lipperswil TG) oder ein Museum (Zirkus-Nock-Museum in Oeschgen). 1999 gab es noch rund 25 Zirkusunternehmen in der Schweiz, wovon zwei in der Westschweiz und zwei im Tessin angesiedelt waren. Hinter dem Zirkusvorhang rumort es nicht nur in der Schweiz: Der klassische Wanderzirkus steht unter Druck. Neue Angebote, begrenzte Platzverhältnisse in den Städten und technische Neuerungen halten die Unternehmen auf Trab.
Noch 33 Spielorte
Früher schlug der Circus Knie in einer Saison sein Zelt an nicht weniger als sechzig Orten auf. So gastierte er beispielsweise sowohl in Olten wie im neun Kilometer entfernten Zofingen. Heute sind es noch immer 33 Spielorte – und überall vor praktisch ausverkauften Rängen. Besucht der Knie auch einmal das Engadin, nachdem der Circus Nock seinen Betrieb einstellen musste? «Das sei leider unmöglich, denn der Nationalzirkus verschiebt zu wesentlichen Teilen auf Bahnwagen, und die entsprechende Spurbreite ist in den östlichsten Landesteilen nicht vorhanden», sagte Fredy Knie junior, Leiter des Schweizer Nationalzirkus, im letzen Sommer in der «Weltwoche».
Wie sieht der Circus Knie im Jahr 2050 aus? Fredy Knie sei überzeugt, dass sich die Menschen auch dann noch unterhalten und in eine Traum- und Wunderwelt entführen lassen wollen. Den direkten Kontakt mit dem Publikum, die Spontanität und die Dynamik der Begegnung könne kein Fernsehen und kein Internet ersetzen», berichtet die «Weltwoche». Vor dem Eingang ins Zirkuszelt spielt die Karussellorgel die Melodie vom «Landidörfli». Der Schlager stammt von 1939. Er funktioniert noch immer.
Bild: Urs Oskar Keller
Programmhinweis
Doku-Fiktion - «Dynastie Knie – 100 Jahre National-Cirkus»
Die zweiteilige Doku-Fiktion erzählt die Geschichte der Familie Knie über die letzten 100 Jahre hinweg. Hinter der Zirkusfassade eröffnen sich bewegende und dramatische Geschichten einzelner Familienmitglieder. Seit mehreren Generationen feiern die Knies Erfolge mit ihrem Zirkusprogramm. «Dynastie Knie – 100 Jahre National-Circus» erzählt Geschichten von Leidenschaft, Liebe, Generationenkonflikten und Disziplin und zeigt das harte Leben des Zirkusalltags. Die 100-jährige Geschichte des Nationalcircus Knie von 1919 bis 2019 ist ein wichtiger Teil Schweizer, ja in Ansätzen selbst europäischer, Historie.
Um der Vielschichtigkeit der Geschichte der Dynastie Knie gerecht zu werden, wurde die komplexe Form des Doku-Dramas genutzt. Die Filmerzählung ist eine Montage aus Archivmaterial, aus fiktionalen Szenen sowie aus Stimmen von Zeitzeugen und dokumentarischer Begleitung der Protagonisten. Als dramaturgisch roter Faden diente die Entstehung des aktuellen Jubiläumsprogramms, an welchem die Familie Knie über ein Jahr hinweg während ihrer Tournee 2018 gearbeitet hatte. SRF begleitete die Vorbereitungen und warf dabei auch einen Blick hinter die Kulissen des Zirkusalltags.
Im fiktionalen Teil steht die Figur von Margrit Knie-Lippuner im Mittelpunkt. Sie ist die Grossmutter der Cousins Fredy Knie jun., Rolf Knie, Franco Knie sen. und Louis Knie. In ihrer Lebensgeschichte widerspiegeln sich wichtige Herausforderungen, die sich auch in späteren Generationen der Knies bis in die heutige Zeit wiederholen. Die Hauptrolle spielt Mona Petri als Margrit Knie-Lippuner. In weiteren Rollen sind neben anderen Simon Käser, Ilja Baumeier, Samuel Weiss, Anna Schinz, Elisa Plüss, Esther Gemsch zu sehen. Regie führte Greg Zglinski, der für «Tout un hiver sans feu» den Schweizer Filmpreis gewann. Das Drehbuch des fiktionalen Teils zu «Dynastie Knie – 100 Jahre Nationalcircus» stammt von Domenico Blass.
Ausstrahlungen:
SRF 1: «Dynastie Knie – 100 Jahre Nationalcircus»
Teil 1: Sonntag, 24. November 2019, 20.05 Uhr
Teil 2: Montag, 25. November 2019, 20.05 Uhr
Urs Oskar Keller (*1955) ist Journalist und Fotoreporter. Er lebt in Landschlacht.
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