Am 8. März möchte die ehemalige Stadträtin von Rapperswil-Jona, Rahel Würmli, die erste grüne St. Galler Regierungsrätin werden. Das vermeintliche Handicap der 51-Jährigen ist, dass man sie ausserhalb ihrer Wohnregion kaum kennt. «Die Ostschweiz» hat die Kandidatin getroffen.
Wer Rahel Würmli googelt, findet nicht viel: Die meisten Einträge handeln davon, dass sie für die Grünen am 8. März in den Regierungsrat will. Eine Unbekannte ist Würmli aber ganz und gar nicht. Während zwölf Jahren amtete sie als Stadträtin – vier davon als Vizepräsidentin – von Rapperswil-Jona, immerhin die zweitgrösste Stadt im Kanton. Als sie 2016 für das Stadtpräsidium kandidierte, wollten die Stimmberechtigten dann allerdings einen anderen, und sie zog sich aus der Exekutivpolitik zurück. Heute leitet Würmli die Fachstelle für Alter und Gesundheit in Wetzikon im Zürcher Oberland.
Frau Würmli, was ist Ihnen von Ihrer Stadträtinnenzeit am besten in Erinnerung geblieben?
Meine drei Amtszeiten waren energiegeladen und von Konstruktivismus geprägt. In sie fallen zum Beispiel die Vereinigung von Rapperswil und Jona, sowie wie die Gründung von RaJoVita: In dieser Stiftung sind ein Grossteil der heutigen Alterseinrichtungen der Stadt Rapperswil-Jona sowie die Spitex zusammengefasst. Rapperswil-Jona war diesbezüglich Pionierin und die Stiftung diente als Vorbild für ähnliche Umorganisationen im Kanton: die Wiler Thurvita AG beispielsweise.
Gab es auch Sachen, über die Sie sich heute noch ärgern?
Ja, die ganze Angelegenheit mit dem KESB-Bashing und der einseitigen, negativen Berichterstattung in den «Obersee Nachrichten». Das kratze an der Stimmung und brachte eine absolut unnötige Unruhe in den Betrieb.
Sind Sie mit der Arbeit des heutigen Stadtrates zufrieden?
Da halte ich mich raus und bleibe trotz meines Ausscheidens weiterhin kollegial. Ich kommentiere die Arbeit des Stadtrates nicht öffentlich.
Würmli kommt zum Interviewtermin auf ihrem dunkelbraunen Mountainbike angebraust. «Sorry, hab 15 Minuten Verspätung», textete sie eine halbe Stunde vor dem Termin. Die Agenda bis zu den Wahlen ist zum Bersten voll. Neben ihrer regulären Arbeit stehen fast jeden Tag eine Standaktion, ein Wahlpodium oder eine Diskussionsrunde auf dem Programm. Einen Monat vor den Wahlen heisst es, den Bekanntheitsgrad im ganzen Kanton steigern. Ein Vorwurf, den die 51-Jährige immer wieder zu hören bekommt, ist, dass man sie ennet des Rickens und jenseits des Walensees gar nicht kenne. «Stimmt doch gar nicht!», kontert Würmli. «Bei den Nationalratswahlen bin ich auf dem vierten Platz der grünen Liste gelandet. In allen St. Galler Gemeinden habe ich mindestens eine Stimme geholt!»
Woran, Frau Würmli, krankt der Kanton St. Gallen?
(lacht und überlegt)… Vielleicht am Selbstvertrauen. Der Kanton sollte das Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern selbstbewusst auftreten. Der Kanton hat herzliche Einwohner, eine florierende und innovative Wirtschaft und eine wunderschöne Landschaft.
Wenn Sie Regierungsrätin werden, würde Ihnen wegen Ihrer Erfahrung höchstwahrscheinlich das Ressort Gesundheit mit der Baustelle «Spitäler» winken. Wie schlimm finden Sie diese Vorstellung?
Überhaupt nicht schlimm! Für die kantonale Spitallandschaft eine zukunftsträchtige und mehrheitsfähige Lösung zu finden, ist doch eine Herausforderung. Die würde ich sehr gerne annehmen!
Hat der Kanton zu viele Spitäler?
Er hat vor allem zu viele Spitalbetten, das ist so. Schon seit längeren werden Behandlungen vermehrt ambulant und nicht mehr stationär ausgeführt und das muss ja logischerweise einen Bettenabbau mit sich bringen.
Die jetzige Amtsinhaberin trat ja an und sagte, dass unter ihrer Führung kein Spital im Kanton geschlossen werde. Sind Sie auch so stur?
Überhaupt nicht. Wichtig ist, dass man mit Weitsicht und mit Verantwortung handelt. Man muss eine Strategie entwickeln, die gut für St.Gallen und gut für die Bevölkerung ist. Leere Betrachtungen lediglich mit Blick auf die betriebswirtschaftlichen Zahlen reichen da nicht aus.
Konkret?
Die Notfallversorgung muss wie heute innert 15 Minuten gewährleistet bleiben. Und man muss die funktionalen Räume, die ja oft nicht an der Kantonsgrenze Halt machen, besser berücksichtigen.
Würmli hat alles, was es für den Regierungsrat braucht: Exekutiverfahrung als Stadträtin, eine solide Ausbildung, absolvierte stetig Weiterbildungen und hat viel Berufserfahrung. Eine also, die nahe bei den Einwohnern und Einwohnerinnen ist, ihre Anliegen kennt und ernst nimmt. Geboren und aufgewachsen ist sie in Rapperswil-Jona in einer Grossfamilie. Sie ist single – und katholisch, wie sie auf ihrer Webseite schreibt. Sie lacht: «Ja, ich stehe dazu. Die Kirche engagiert sich für die Gesellschaft, und das finde ich gut. Dafür bezahle ich gerne Kirchensteuern.» Wenn immer möglich, ist sie mit dem Velo unterwegs. Bis nach St. Gallen? Sie lacht herzlich und meint augenzwinkernd: «Mein Velo hat ein GA.» Würmli findet, der ideale Regierungsrat sei geschlechterparitätisch zusammengesetzt. Das heisst: Mit drei Frauen und vier Männern oder umgekehrt. Alles andere sei weder zeitgemäss noch gerecht.
Frau Würmli, Rapperswil hat kürzlich mit einem prominenten Zuzüger Schlagzeilen gemacht. Roger Federer hat sich ein Grundstück in der Kempratner Bucht gekauft, die Bagger sind aufgefahren. Das hat auch Kritiker auf den Plan gerufen. Sie fordern, dass das Seeufer für die Öffentlichkeit zugänglich sein sollte. Was ist Ihre Meinung dazu?
Es ist schön, dass Roger Federer hier wohnen möchte. Es ist ja auch wirklich ein schöner Ort. Man sollte das aber nicht überschätzen. Bald ist Federer halt ein weiterer Prominenter, der hier wohnt. Rapperswil-Jona strahlt, aber auch Federer & Co.
Und zum öffentlich zugänglichen Seeufer?
In meiner Brust schlagen zwei Herzen: Für die Natur ist ein öffentlicher Seezugang nicht unbedingt das Beste, weil gerade die Uferzone ein wertvolles Ökosystem für Pflanzen und Tiere ist. Der Einspruch von «Rive Publique» ist trotzdem gerechtfertigt und legitim. Hier werden rechtliche und demokratische Instrumente genutzt, und die sind ja dafür da, dass man sie braucht.
In Krinau soll es einen Windpark geben. Dagegen formiert sich Widerstand. Auch ein geplanter Windpark in der Linthebene wird wegen lauten Protestes nicht gebaut. Als Grüne müssen Sie doch für diese nachhaltige Form der Energiegewinnung sein, oder?
Es ist komplexer: Fakt ist, dass wir für die abgeschalteten AKW eine Lösung finden müssen, ohne dass wir Kohlestrom aus dem Ausland importieren müssen. Zusätzlich muss unser Stromverbrauch sinken. Das kann mit effizienteren Geräten passieren, idealerweise fahren wir zusätzlich aber auch unseren eigenen Stromverbrauch zurück. Im Falle von Windparks braucht es eine Gesamtbetrachtung: Wird die Landschaft verschandelt? Stört die Anlage die Vögel? Gibt es übermässige Lärmemissionen? Grundsätzlich bin ich aber eine, die sich fürs Probieren ausspricht. Auch in Krinau, sofern die Gesamtbetrachtung stimmt.
Sind Sie als Grüne auch für Greta-Skeptiker wählbar?
(lacht)… natürlich! In einer funktionierenden Regierung braucht es Persönlichkeit, Toleranz und Wille. Demokratisch gewählte Regierungen sind immer zusammengewürfelt, und man muss trotzdem mit Menschen, die gewisse Dinge anders sehen, konstruktiv zusammenarbeiten. Dass ich das kann und dass ich willens bin, Kompromisse zu finden und zu tragen, das habe ich in meiner Zeit als Stadträtin zu Genüge bewiesen.
«Entweder/oder» mit Rahel Würmli
Bus oder Velo?
Velo
Analog oder digital?
Wegen meiner technischen Vergangenheit eher digital, im Umgang mit Menschen aber analog: Der direkte Kontakt von Mensch zu Mensch ist unersetzlich.
Mac oder PC?
Mac. Aber ich mache daraus keine Religion.
Haus oder Wohnung?
Beides: Mein Haus habe ich vermietet und wohne in einer Mietwohnung.
St. Gallen oder Zürich?
St. Gallen
Hund oder Katze?
Katze
Stadt oder Land?
Vor fünf Jahren hätte ich, ohne zu zögern «Stadt» gesagt, heute aber könnte ich es mir gut vorstellen, auf dem Land zu wohnen. Im Toggenburg zum Beispiel.
See oder Meer?
See
News online oder auf Papier?
Die Wochenendzeitungen auf Papier, unter der Woche online.
Telefonieren oder SMS schicken?
Telefonieren ist mir lieber, aus zeitlichen Gründen wird aber trotzdem oft eine Textnachricht draus.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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