Die Frage nach dem, was die Reformation der katholischen Kirche gebracht hat, ist mit Blick auf die Kunst und die Architektur kurz und bündig zu beantworten: den Barock.
Die barocke Schönheit und Pracht in den katholischen Landen ist eine Antwort auf die Reformation. «Es ist schön, katholisch zu sein!» Das wollte man selbstbewusst zeigen. Dass zum Beispiel in einem so kleinen Dorf wie Bernhardzell eine so prächtige barocke Pfarrkirche steht, ist fröhliche Propaganda an der Grenze zum nicht mehr so katholischen Thurgau.
Im Domschatz der Kathedrale St.Gallen gibt es nur ganz, ganz wenige vor-reformatorische Stücke. In der Otmarskrypta unter dem Westchor wird ein kleines gotisches Kästchen aufbewahrt, das in späterer Zeit zu einem Reliquiar umgestaltet wurde. In Ehren gehalten wird die so genannte Gallus-Silberschale aus dem 15. Jahrhundert, die bei der Wein-Segnung und -Austeilung am Gallustag gebraucht wurde. Und noch jeden Tag in Gebrauch ist ein spätgotisches Ziborium von 1505 für die Aufbewahrung der Heiligen Kommunion. Eine besondere Geschichte hat das Bild, das im Kirchenschiff an der Säule gegenüber der Kanzel hängt. Es ist im Stil der Frührenaissance kurz vor der Reformation entstanden und hat – wohl als einziges – den Bildersturm überlebt. Allerdings nicht in St. Gallen. Es kam fort, tauchte erst vor ein paar Jahren wieder im Kunsthandel auf und konnte so nach St. Gallen zurückgebracht werden.
Was hat die Reformation der katholischen Kirche gebracht? – Mit Blick auf die Kunst wage ich die Aussage: Sie hat Platz geschaffen für Neues; sie hat –nach den Bilderstürmen und den Zerstörungen in den konfessionellen Kriegen –einen gewaltigen künstlerischen Produktionsschub ausgelöst. Auch dort, wo eigentlich wenig zerstört worden war, wurde in der barocken Aufbruch-Stimmung ohne grosse Hemmungen Altes abgebrochen und Neues geschaffen. Man wollte, man konnte, man musste Neues schaffen.
Wo etwas am Boden ist, wo etwas zugrunde gegangen ist, gibt es Raum für Neues. Nicht, dass wir deshalb Dekadenz und Zerstörung suchen müssen, aber im Rückblick ist es in der Regel doch so: Erst am Punkt, wo es so nicht mehr weiter gehen kann, sind wir bereit umzukehren und neue Wege zu gehen.
In diesem Sinn ist das Reformationsjubiläum nicht nur eine Sache für die Reformierten, sondern es erinnert alle Christen daran, dass der Weg des Glaubens nie fertig ist und Kirche immer reform-bedürftig ist: «Ecclesia semper reformanda».
Beat Grögli (*1970) ist Dompfarrer in St.Gallen
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