logo

Auf dem Vormarsch

Die Maske für Kinder könnte der Wendepunkt sein

Die Coronadebatte ist geprägt von einer Flut von Massnahmen, die breit kommuniziert werden - und von Kritik an den Massnahmen, die kaum in die Breite dringt. Das könnte sich bald ändern. Denn die neueste Zielscheibe der Behörden sind die Kinder. Und da ist bei vielen Schluss mit lustig.

Stefan Millius am 22. Januar 2021

Die letzten fast zwölf Monate waren geprägt von Widersprüchen. Von Einschätzungen und Entscheidungen, die fast im Tagestakt auf den Kopf gestellt wurden. Von Vermutungen, aus denen Handlungen wurden. Von Behauptungen aus ein- und demselbem Mund, die in der Kombination keinen Sinn machten.

Beim Thema «Schutzmasken für Kinder» ist das nicht anders.

Wer eine Massnahme fordert, muss zunächst belegen, dass sie nützt. Hat er diesen Nachweis, muss er belegen, dass ein möglicher Schaden umgekehrt nicht grösser ist als der Nutzen.

Beginnen wir daher mit der Frage nach dem Nutzen. Wenn man einen solchen sucht, schaut man gerne nach Amerika. Denn dort gibt es es so viele Universitäten, da findet sich immer eine, die das sagt, was man hören will. Ein SRF-Wissenschaftsredaktor schreibt in einem Artikel, die Übertragung in Schulen lasse sich dank Masken minimieren. Für diese Behauptung bezieht er sich auf «eine grosse Untersuchung im US-Bundesstaat North Carolina». Beteiligt waren «zahlreiche Schulen mit insgesamt 100'000 Schülerinnen und Schülern ab sechs Jahren». Es habe sich gezeigt: Masken spielen eine positive Rolle.

Hosianna. Die Maske nützt. Jedenfalls, wenn man nicht weiterliest. Denn der Wissenschaftsredaktor sagt danach: «Die Evidenz dafür ist nicht wasserdicht. Es wäre sehr schwierig, dies nach allen Regeln der Wissenschaft zu beweisen.»

Wir haben das alles gelesen und sind so schlau wie zuvor. Wir wissen nichts. Allerdings ist inzwischen bekanntlich Nichtwissen in der Schweiz der Motor für Entscheidungen und Verordnungen geworden.

Schweizweit gilt die Maskenpflicht ab zwölf Jahren im öffentlichen Verkehr, in Läden und so weiter. Das liegt nicht etwa an harten Beweisen dafür, dass man erst ab dem zwölften Geburtstag ansteckend ist. Sondern daran, dass jeder, der Kinder hat, weiss: Der richtige Umgang mit einem Ding im Gesicht bedingt eine gewisse Reife, also ein gewisses Alter. Kleinere Kinder fassen alles an und greifen sich danach unter die Maske, verschieben sie dauernd, tragen sie falsch, kurz: Wenn es einen Nutzen gibt, ist er bei ihnen schnell dahin. Beziehungsweise wird sogar zur zusätzlichen Gefahr.

Das schreibt auch die Wissenschaftsredaktion von SRF in einem Beitrag. Sie hält fest, dass nicht klar sei, ab welchem Alter Kinder eine Maske tragen können auf eine Weise, «dass es sich nicht kontraproduktiv auswirkt.» Aber im gleichen Atemzug schreibt SRF, es gebe einen «internationalen Konsens», nach dem Kinder ab zwei Jahren eine Maske tragen können, «ohne dass sie physiologisch beeinträchtigt werden.»

Übersetzt heisst das: Ab zwei Jahren kann man davon ausgehen, dass das Kind unter der Maske nicht gerade Atemnot erleidet, aber man ist sich einig, dass sie bis zu einem höheren Alter in den meisten Fällen nichts nützt. Frage an die Leute, die den «internationalen Konsens» ausgearbeitet haben: Was bringt uns diese Erkenntnis? Warum untersucht man, wie tief man das Alter anlegen kann, ohne gleich Atembeschwerden auszulösen, wenn der ebenfalls internatione Konsens des gesunden Menschenverstands sagt, dass ein Zweijähriger ganz einfach nicht mit einer Maske umgehen kann?

Aber irgendwie scheinen solche Selbstverständlichkeiten nicht einmal die Fachleute zu interessieren, Der Verband der Schweizer Kinderärzte setzt die empfohlene Altersgrenze zwar auch bei zwölf Jahren an, findet aber, man könne «auch erwägen, Kinder ab sechs Jahren Maske tragen zu lassen.»

Erwägen kann man alles. Man kann auch erwägen, aus dem Fenster zu springen, weil man dann schneller aus dem Haus ist als auf der Treppe.

Wie sieht es in der konkreten Umsetzung aus? In Zürich gilt inzwischen Maskenpflicht für Kinder ab der 4. Primarschulklasse, man hat die zwölf Jahre also bereits unterschritten. Dafür plane man, «die strengen Quarantäneregeln zu lockern». Zuckerbrot und Peitsche. In Basel-Landschaft gilt die Maskenpflicht ab zehn Jahren. Dagmar Rösler, Zentralpräsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, fordert eine Maskenpflicht ab der fünften Klasse.

Es gibt weitere Beispiele, sie zielen alle in die gleiche Richtung: Die Maske soll in der Primarschule Einzug halten, derzeit noch in der oberen Hälfte, aber in den vergangenen zwölf Monaten ist die Messlatte noch immer nach unten gerutscht. Die Kindergartenstufe als nächste Ebene wird ebenfalls bereits von Fachleuten konkret erwähnt oder gar empfohlen. Dabei ist es im Kindergarten sogar schon problematisch, wenn die Lehrpersonen Masken tragen müssen. Den Kindern wird ein wesentlicher Teil der Entwicklung weggenommen.

Die oben erwähnten Bedenken, was das sinnvolle Alter angeht, wurden einmal geäussert und danach einfach weggewischt. Silvia Steiner, die Zürcher Erziehungsdirektorin und Präsidentin der Erziehungsdirektorenkonferenz, sagt in einem Interview, das mit dem richtigen Maskentragen sei nicht so wild, man spreche ja von mindestens Neun- bis Zwölfjährigen, die könnten das. Nun schielt man aber unverhohlen auf die jüngeren Jahrgänge, und plötzlich spielt es gar keine Rolle mehr, ob sie es können oder nicht.

Und eben: Die Frage ist ja nicht, ob die Kinder es technisch schaffen. Die Frage ist, ob es etwas bringt. Kinder schaffen es auch, sich mit beiden Händen gleichzeitig in der Nase zu bohren, dennoch macht man daraus keine Pflicht im Schulunterricht. Es sieht aber so aus, als würden bei diesem Thema allmählich die Dämme brechen, wie so oft in unserer Coronapolitik. Man beginnt bescheiden mit einem kleinen Eingriff, schaut, ob er geschluckt wird und legt dann eine Schippe nach. Der nächste durchaus realistische Schritt wäre wohl die allgemeine Maskenpflicht in der Primarschule. Dann wäre mindestens die Hälfte der Betroffenen klar in dem Alter, in dem sogar Experten zugeben, dass eine korrekte Handhabung der Maske zweifelhaft ist.

Die Kinder, die lange - abgesehen vom Schul-Lockdown im Frühling 2020 - mehr oder weniger aus dem Massnahmenchaos herausgehalten wurden, scheinen das nächste Spielfeld von nationalen und kantonalen Regierungen und Behörden.


Der anderen Stimme eine Stimme geben. Als Mitglied in unserem Club.


Soviel zur Ausgangslage. Sie beinhaltet Sprengstoff. Zwar ist schon viel geschehen, das zu einem Aufstand hätte führen können. Geschehen ist es nicht. Die Wirtschaft war zwar verärgert, als Restaurants und Läden geschlossen wurden, aber sie kann man mit grosszügigen Entschädigungen beruhigen. Die Gesellschaft fand es nicht lustig, als man ihr Freizeit- und Einkaufsmöglichkeiten raubte, aber sie fand das offenbar nicht alarmierend genug, um aufzumucken. Es geht ja vorbei, irgendwann.

Aber jetzt ist alles anders. Jetzt sprechen wir von Kindern. Und damit von Vätern und Müttern. Eltern wollen weder Entschädigungen noch sind sie bereit, alles zu schlucken, wenn es um ihre Kinder geht. Die Massnahmenpolitik betritt damit ein Minenfeld. Quer durch die Schweiz haben sich bereits zahlreiche Elternvereine gebildet, welche die im Alter sinkende Maskenpflicht für Kinder bekämpfen. Die sozialen Medien sind voll von Aufschreien. Es sind keine repräsentativen Zahlen darüber bekannt, ob diese nächste Etappe der Virenbekämpfung bei einer Mehrheit Zustimmung findet oder nicht. Gefühlt ist das aber kaum der Fall. Denn selbst bei Leuten, die bisher jede Massnahme befürworteten oder zumindest schulterzuckend hinnahmen, ist oft eine Grenze erreicht, wenn es um ihre eigenen Kinder geht.

Damit ist es möglich, dass dieses Thema zum Wendepunkt der langen Geschichte wird. Dass die Widersprüche, gezielte Fehlinformationen und medial verbreitete Panik nicht mehr länger klaglos akzeptiert werden, sondern sich Widerstand regt. Viele, die bisher zu müde oder zu desillusioniert waren, sich für sich selbst zu wehren, werden es für ihre Kinder tun.

Die Geschichte zeigt, dass es immer der Anfang vom Ende ist, wenn es die Mächtigen mit der Ausübung ihrer Macht übertreiben. Selbst die grössten Despoten der Welt haben es meist verstanden, sich im richtigen Moment zurückzuhalten, egal, wie gross die Verlockung war. Diejenigen, die es nicht taten, mussten danach aus ihren Palästen flüchten.

Wie hat es der grosse Loriot einst gesagt?

«Der Muttertrieb ist gefährlicher als die Atombombe.»

Das gilt übrigens auch für Väter.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.