Ehrendamen, Rennsäuli, Jodler und geschwätzige Gemüseraffler: Man kann das alles belächeln oder als aus der Zeit gefallen betiteln. In Wahrheit ist die Olma die letzte Bastion einer Qualität, die man viel zu selten findet: Der Bewahrung.
Was ist die Olma? Es gibt darauf exakt so viele Antworten wie es Besucher gibt. Jeder verbindet andere Erlebnisse und Erinnerungen mit der wichtigsten Ostschweizer Messe. Oder sagen wir es ungewohnt unbescheiden: Inzwischen mit der wichtigsten Messe überhaupt in der Schweiz.
Für eine Bilanz der Ausgabe Nummer 77 ist es zugegebenermassen etwas früh. Vielleicht hält man die Besucherzahl des Vorjahres, vielleicht liegt man darunter. Möglicherweise setzt der eine oder andere Händler mehr ab, allenfalls weniger. Im Detail ist keine Olma wie die letzte, im grossen Ganzen hingegen schon. Sie ist ein fester Begriff, vermutlich neben der Bratwurst und dem FC St.Gallen der einzige der Ostschweiz von nationaler Ausstrahlung.
Das Erfolgsrezept? Recht einfach. Es gibt einen guten Grund, dass Toblerone nicht plötzlich rund oder als Quadrat verpackt wird. Und bisher ist niemand auf die Idee gekommen, Nutella einen Auftritt in Pink zu verschaffen. Wir lieben, was wir kennen, und auch wenn wir hin und wieder gerne überrascht werden, ist es doch die Gewohnheit, die uns zufrieden macht. Die Olma muss man nicht neu erfinden. Beziehungsweise: Sie wird es ja laufend. Mit einer Sonderschau der anderen Art, einer neuen Themenwelt, mit spannenden Gästen am Olma-Forum. Es sind homöopathische Eingriffe, gewissermassen sanfte Injektionen, die an der DNA der Messe nichts verändern.
Ist das bieder? Ist es altbacken? Verpasst die Olma den Weg in die Zukunft? Wird sie so zum Auslaufmodell? Muss die Olma urbaner werden? Pferchen wir Ingenieurskunst rein, um zu zeigen, was wir drauf haben? Roboterrennen statt Säulirennen?
Messen haben es generell nicht leicht im digitalen Zeitalter. Nicht wenige Leute prognostizieren aber gerade aufgrund der allgegenwärtigen Elektronik ein Revival von Anlässen, die echte Begegnung schaffen. Vor allem aber: So manche Messe, die panikartig versucht hat, sich im Eilzugstempo neu zu erfinden und mit dicken und teuren Konzepten eine Art Hybrid aus Liveerlebnis und digitaler Welt zu schaffen oder «weltmännischer» zu werden, ist danach schnell zu bewährten Rezepten zurückgekehrt. Denn so gut es klingt in der Theorie: Niemand will es. Man verliert mit einem neuen Konzept einen Teil des Stammpublikums, ohne annähernd gleich viel neue Besucher zu finden. Denn woher sollen die bitte kommen?
Die Olma ist ein Anachronismus. Leute mit dem Smartphone vor dem Gesicht, die glauben, Milch komme aus dem Tetrapak, pilgern an Braunvieh vorbei und feuern Rennsäuli an. Es ist dieses Spannungsfeld, das der Messe auch - oder erst recht - im Jahr 2019 Geltung verschafft. Es ist, wie wenn umgekehrt ein Bauer aus dem hintersten Toggenburg die Wall Street besucht: Faszination pur. 90 Prozent der ganz normalen Besucher assozieren die Olma aber dennoch längst nicht mehr mit Landwirtschaft. Da stehen Landmaschinen rum, gut, aber man sucht ja eigentlich eine neue Waschmaschine oder die Halle 4/5. Aus der einstigen «Ostschweizerischen Land- und Milchwirtschaftlichen Ausstellung» (ja, dafür stand das Kürzel einst) wurde um 2003 die «Schweizer Messe für Land- und Milchwirtschaft», aber kein Mensch weiss das. Olma ist Olma.
Wer mehr in der Olma sucht, als sie jetzt ist, wer der restlichen Schweiz mit der Messe beweisen will, was die Ostschweiz drauf hat, der muss zunächst erklären, wie er das tun will, ohne den «USP» der Olma zu verlieren: Ihre Unverbiegbarkeit, ihr Bewahrendes, ihren Nimbus als sicheren Hafen.
Da draussen sitzen tausende von klugen Marketingleuten und versuchen im Auftrag ihrer Kunden unablässig, ein neues Produkt so zu positionieren, dass jedes Kind bei seinem Namen sofort weiss, was dahinter steckt, zu dem jeder etwas erzählen kann und auf das man Jahr für Jahr leicht verzweifelt wartet. Das gelingt so gut wie nie. Bei der Olma ist es gelungen. Und warum in Gottes Namen sollte man nun daran herumschrauben?
Übrigens: Mag sein, dass die Olma stillsteht. Aber das tut der Eiffelturm auch. Es hat ihm nicht geschadet.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.