Wer ist eigentlich die Task Force des Bundes für Corona-Angelegenheiten, von der so oft die Rede ist? Wer sitzt darin, wie ist sie strukturiert? Ein Einblick in eine wissenschaftliche Parallelwelt, die jeden Bezug zum alltäglichen Leben längst verloren hat.
Was ist eigentlich eine Task Force? Der Begriff wird nicht einheitlich benutzt. Global versteht man darunter eine militärische Einheit. In Nordrhein-Westfalen bezeichnet man damit Kräfte, die in Katastrophen zum Einsatz kommen. In der Schweiz, wo Frieden herrscht und Katastrophen nur vorkommen, wenn man sie erfindet, verwendet man den Begriff für «Arbeitsgruppen», wenn es ein bisschen martialisch klingen soll.
Nun gibt es also die «Swiss National COVID-19 Science Task Force». Der gehören, wir zitieren von der entsprechenden Webseite, «rund 70 Expertinnen und Experten an, die dem Leitungsteam, dem Beratungsgremium (Advisory Panel) und zehn Expertengruppen zugeordnet sind.»
Also: Ein Monstergremium, dem ein Rattenschwanz von Untergruppen angegliedert sind. Das klingt überaus effektiv und beweglich. Das Ganze wurde übrigens auch grafisch liebevoll ausgearbeitet, damit jeder sofort sieht, was Sache ist:
Der gemeine Bürger sieht von der Massenansammlung, die hinter dem Begriff Task Force steht, nur immer einen kleinen Ausschnitt. Beziehungsweise vor allem einen Mann: Den «Chairman» Martin Ackermann, Experte für Mikrobiologie von der ETH Zürich. Zum Leitungsteam gehören auch Monika Bütler, Expertin für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität St. Gallen, Manuel E. Battegay, Experte für Biomedizin, Universität Basel und Samia Hurst-Majno, Expertin für Biomedizinische Ethik, Universität Genf.
Die Chancen sind gross, dass die geneigte Leserschaft vor Corona von keinem aus diesem Quartett je gehört hat, ausser vielleicht von Monika Bütler, deren Wirken wir auch schon thematisiert haben.
Aber eben, das ist nur die Spitze des Eisbergs. Darunter kommt dann das «Advisory Panel», also eine Art Beratungsgruppe. Die Task Force, zur Erinnerung, ist ebenfalls kein entscheidendes, sondern ein beratendes Gremium. Und diese Berater brauchen ihrerseits Berater. Das ist eine Handvoll Leute. Dazu gehören ein Experte für Computerwissenschaften (das macht Sinn, es gibt ja auch Computerviren), eine Expertin für Pädiatrie, ein Experte für Epidemiologie, eine Expertin für Immunologie, ein Experte für Public Health und - Achtung - ein «Coronavirus-Experte». Bei diesem finden wir den Hinweis auf die Mitgliedschaft bei «vetsuisse». Dabei handelt es sich um die Fusion der beiden Veterinärmedizinischen Fakultäten Bern und Zürich. Es ist zum einen erstaunlich, dass wir bereits einen «Coronavirus-Experten» haben, noch erstaunlicher ist es, dass es offenbar jemand ist, der sich in erster Linie um Tiere kümmert. Er scheint gute Arbeit zu leisten, im Schweinestall ist noch kein Lockdown verordnet.
So. Und danach, als wenn die geballte Ladung an Wissen und Expertise noch nicht genug wäre, folgen noch zehn Expertengruppen. Wer das für übertrieben hält, muss diese Ankündigung der Task Force lesen: «Neue Expertengruppen können je nach den sich abzeichnenden Bedürfnissen eingerichtet werden.» Wir sind beruhigt, es schien uns nicht genug aufgebläht.
Um was kümmern sich diese Expertengruppen? Da wir ja bekanntlich alle in Grossbritannien leben, wird uns das in astreinem Englisch mitgeteilt. Es gibt, und nun brauchen Sie viel Kraft, folgende Expertengruppen: Clinical Care, Data and modelling. Diagnostics and testing, Digital epidemiology, Economics, Ethics - legal - social, Exchange platform, Immunology Infection, Prevention and Control, Public health.
Es ist natürlich nicht die Schuld der Task Force, dass es für alle diese Begriffe keine deutschsprachige Entsprechung gibt. Wie zum Beispiel soll man «Economics» übersetzen? Keine Chance, das englische Wort muss her.
Bleiben wir gleich bei der Wirtschaft - huch, es gibt ja doch ein Wort! - und schauen uns an, wer in dieser Expertengruppe sitzt. Ohne Namen der Personen, da die ohnehin kaum einem etwas sagen. Da sind Vertreter von folgenden Unternehmen: Universität Luzern, Universität St. Gallen, Université de Lausanne, Universität Bern, Universität Zürich, Institut de hautes études internationales et du développement Genève,
Haben wir vorhin gerade Unternehmen geschrieben? Verzeihung, das war ein Fehler. Es handelt sich ausschliesslich um Bildungsinstitutionen. Dort versammeln sich Menschen, die theoretisch sehr viel Ahnung von Wirtschaft haben, in der Praxis leider nicht. Sie schreiben bedeutungsschwangere Abhandlungen darüber, wie die Wirtschaft zu funktionieren hat, waren aber selbst noch nie in der Wirtschaft tätig. Oder höchstens als wissenschaftliches Feigenblatt in einem Verwaltungsrat. Anders gesagt: Keiner von denen hat in seinem Leben jemals auch nur einen Bleistift an der Haustür verkauft.
Steht diesem Gremium wenigstens ein hartgesottener Praktiker vor? Nicht wirklich. Es ist Jan-Egbert Sturm von der KOF Konjunkturforschungsstelle an der ETH Zürich. Mehr zu ihm gibt es hier. Ostschweizer Unternehmer kennen ihn: Er stand Jahr für Jahr im Rahmen von «Zukunft Ostschweiz» der IHK St.Gallen-Appenzell vor einem grossen Publikum und verkündete mit beeindruckenden Grafiken, wie die Wirtschaft in den letzten Monaten so lief. Dass er weiss, wie man etwas daran ändern könnte, wenn es nicht gut lief, ist nicht bekannt.
Mit anderen Worten: Eine Ansammlung von Theoretikern berät das Leitungsteam der Task Force darüber, wie sich die eingeleiteten Massnahmen auf die Wirtschaft auswirken. Das stimmt sehr hoffnungsvoll.
Aber vielleicht wird es ja besser im Bereich «Ethics, legal, social». Da werden ja wohl haufenweise Pädagogik-Praktiker, Sozialarbeiter und vielleicht sogar noch ein richtig ausgewiesener Streetworker auf uns warten. Nö. Was aber auf uns wartet, ist die Université de Genève, die Université de Fribourg, die Université de Neuchâtel und das Global Health Centre, Graduate Institute of International and Development Studies in Geneva. Lauter Leute also, die sich Tag für Tag ganz praktisch mit den sozialen Folgen der Coronamassnahmen auseinandersetzen müssen. Damit wäre dann die tägliche Ladung Ironie auch schon aufgebraucht.
Was genau war denn eigentlich die Absicht des Bundesrats, als er diese Task Force ins Leben rief, die ihm seit Monaten mit alarmistischen Zwischenrufen das Leben schwermacht? Er wollte sich unabhängiges Fachwissen an Bord holen, um nicht den eigenen Stäben hilflos ausgeliefert zu sein. Und natürlich auch, weil der amtierende Gesundheitsminister Alain Berset zwar sicher viel Ahnung vom Kulturbereich und daraus hervorgehenden Erpressungsversuchen hat, aber weniger von Gesundheitspolitik, Viren, und Epidemien.
Geschaffen hat er deshalb ein Paralleluniversum an lebensfremden Wissenschaftlern, denen es völlig egal ist, wie es der Quartierbeiz in Münsingen-Ost geht. Wenn die pleite geht, tangiert es das Bundesratsgehalt nicht wirklich. Das Ganze, fast unnötig zu erwähnen, kostet auch eine Stange Geld, denn niemand glaubt ernsthaft, dass sich jemand kostenlos zu einer Expertengruppe gesellt.
Falls jemand gedacht hat, dass bestimmt doch noch alles gut wird: Spätestens nach der Sichtung der beratenden Truppe des Bundesrates dürfte es damit vorbei sein. Ja, das alles sind ohne Frage Experten. Aber für die reine Theorie. Mit der Praxis hat kein einziger von ihnen etwas zu tun. Kein einziger von ihnen musste jeweils am freien Markt etwas verdienen.
Was uns zu denken geben müsste.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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