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Medien in der Schweiz: Peter Weigelt im Interview

«Die Politik fördert weder Vielfalt noch Transparenz»

Er ist einer der intimsten Kenner der Schweizer Medienlandschaft und hat in seiner Zeit als Nationalrat viele Forderungen angestossen, die heute aktueller sind als je zuvor. Der St.Galler Unternehmer Peter Weigelt im Gespräch über die mediale Situation im Land, auch mit Blick auf die aktuelle Lage.

Stefan Millius am 04. März 2021

Transparenz: Peter Weigelt ist Verwaltungsratspräsident der Ostschweizer Medien AG, der Herausgeberin von «Die Ostschweiz».

Peter Weigelt, Sie waren zu Ihrer Zeit als Nationalrat bekannt als Medienpolitiker. Seit Ihrer Parlamentszeit sind 15 Jahre ins Land gezogen. Kurze Bilanz: Wie hat sich die Medienlandschaft seither verändert?

Zuerst das Erfreuliche. Einige meiner Vorstösse, die damals noch hochkant abgelehnt wurden, sind in der Zwischenzeit doch noch Realität geworden. Besonders freut mich, dass die SRG wie von mir damals schon gefordert endlich ihren mit Gebührengeldern finanzierten Content auch Dritten zur Verfügung stellen muss. Doch alles in allem ist der medienpolitische Rückblick auf die vergangenen Jahre sehr durchzogen. Obwohl ich als Kommissionssprecher die Revision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) im Parlament vertreten musste, war und bin ich grundsätzlich gegen das Gebührensplitting. Für mich war damals und ist auch heute nur ein klar bipolar ausgestaltetes Medienfinanzierungsmodell sinnvoll; hier die öffentlich-rechtlichen Sender mit Gebühren aber ohne Werbung und da die über Werbung finanzierten Privaten.

Wo sehen Sie das Problem des Gebührensplittings?

Mit dem Gebührensplitting hat die Politik die privaten Medienveranstalter gekauft, damit diese in den Debatten um die SRG strammstehen. Dieser Schachzug hat sich bis heute für die SRG gelohnt. Sie musste sich nicht reformieren und sitzt immer noch auf dem hohen Ross. Die Privaten dagegen geraten immer mehr in eine unheilvolle Abhängigkeit zum Staat. So bezieht Tele Ostschweiz jährlich einen Gebührenanteil von 2'885'988.- Franken und hat 2020 eine Corona-Unterstützung von 901'327.- Franken aus der Bundeskasse erhalten. Radio FM1 wurde 2020 von Bern mit einer Corona-Unterstützung von 487'128.- Franken bedient. toxic.fm erhielt 145'132.- Franken aus dem Corona Topf, zusätzlich zu den jährlich 603'037.- Franken aus dem Gebührensplitting. Die unkritische Corona-Berichterstattung in den Schweizer Medien ist der traurige Beweis für die Folgen solcher Staatsabhängigkeit. Auch das aktuelle Buhlen der Grossverlage um weitere Subventionen in dreistelliger Millionenhöhe fördert den Verlautbarungs-Journalismus.

Wie sieht die Beurteilung bezogen auf unsere Region aus, auf die Ostschweiz? Dort gab es seit damals ja auch viele Veränderungen bis hin zu Umwälzungen?

Auch in der Ostschweiz hat sich eigentlich nichts verändert. Natürlich haben die Besitzer unseres regionalen Monopolisten, des St.Galler Tagblatts, geändert.

Aber ob die Geschicke unserer einzigen grossen Ostschweizer Zeitung nun in Zürich, Luzern oder Aarau bestimmt werden, ist nicht von Belang.  Entscheidend war und ist, dass eine mediale Ostschweizer Identität – zumindest im Printbereich - nicht mehr spürbar ist.

Da kann auch unser Regionalradio – bei dem ich die allererste Sendung moderierte – mit seinem Mainstream-Programm nichts entgegenhalten.  Besser schlägt sich das Regionalfernsehen TVO, bei dem der bestehende Lokalkolorit aber leider auch bröckelt. So tauchen im Programm immer mehr Beiträge und Magazine von «Partner-Sendern» auf, der Zürcher «Sonntalk» ist dafür das aktuellste Beispiel. Die wirklich wichtigen Veränderungen sehe ich aber eher im Technologischen, entwickelt sich doch auch in der Ostschweiz eine erfreulich aktive Online-Community. Diese will und muss sich nicht mit den grossen Verlagen messen. Ihr Anspruch zielt auf aktive Netzwerke und Communitys, die nicht nur passiv konsumieren, sondern auch interagieren. Diese Entwicklung hat Zukunft und macht Hoffnung.

Beruflich haben Sie sich ebenfalls viele Jahre für Medien und Verlage engagiert. Aus dieser Erfahrung heraus: Was lief in den letzten Jahren gut, was falsch, was wurde allenfalls verpasst? Die Verlage sprechen ja gern einfach davon, dass das Internet alles verändert hat.

Ja, das Internet hat alles verändert und wird nicht nur die Medienlandschaft weiter umpflügen. Das Nutzungsverhalten der Medienkonsumenten hat sich radikal geändert. Gemäss der Universität Zürich setzten 2019 bereits 61 Prozent der Konsumenten auf Online-News. Das ist der bei weitem höchste Anteil unter allen Mediengattungen. Alle anderen Medien verloren in den letzten zehn Jahren dramatisch an Marktanteilen: die Abo-Zeitungen minus 25 Prozent, TV minus 24 Prozent. Fast 100 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer zwischen 14 und 39 Jahren nutzen das Internet regelmässig. Genauso ältere Generationen. Bei den 50- bis 59-Jährigen sind es immer noch über 90 Prozent. Selbst bei den über 70-Jährigen ist es noch mehr als die Hälfte, mit stetig steigendem Anteil. Heute geht es darum, die von der Digitalisierung angetriebene Vielfalt und Transparenz ernst zu nehmen und als wichtige neue Werte zu respektieren. Dies gilt nicht nur für die Medienmonopolisten von gestern, sondern in eben solchem Masse für die Politik. Beide sehen aber Vielfalt und Transparenz eher als Bedrohung denn als Chance, was es jungen Medien und kreativen Projekten weiterhin schwierig macht, sich zu behaupten. Aber auch hier werden die Blockaden einmal einstürzen, die Frage ist nur, ob dann der Zug für unsere Region nicht einmal mehr abgefahren ist.

Neben der Konzentration der Medienlandschaft gab es ja auch viel Neues, vor allem online. Es entstanden diverse neue Titel, gerade auch lokal und regional, der «Bürgerjournalismus» in Form von Blogs etc. ist aufgekommen. Ist das ein adäquater Ersatz für das, was an Vielfalt verloren gegangen ist? Oder braucht es mehr?

An Vielfalt ist aus meiner Sicht nichts verloren gegangen. Natürlich haben wir weniger Zeitungstitel, doch im Schatten des Print-Monopolisten war schon früher höchstens ein Schattenplatz frei. Was jedoch in den letzten Jahren an neuen, kommunikativen Plattformen entstanden ist, beeindruckt und überzeugt.

Gerade in der aktuellen Corona-Berichterstattung haben diese unabhängigen Informationen und Meinungen einen wichtigen Contra-Punkt zur uniformen Berichterstattung der SRG und der aktuell um Medien-Subventionen buhlenden Grossverlage gesetzt. Die damit entfachte Debatte war und ist notwendig.

Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern darum, dass sich die Bürgerinnen und Bürger eine eigene Meinung bilden können. Eine Meinung, die nicht in Bern formuliert und dann unkommentiert schweizweit verbreitet wird.

Natürlich werden sich auch im lokalen und regionalen digitalen Medienmarkt wieder Platzhirsche herauskristallisieren, so wie sie sich auf internationaler Ebene schon positioniert haben. Aber auch dann ist es wichtig, dass sich wieder neue Formen und Konzepte entwickeln, die diese neuen Platzhirsche herausfordern. Denn vor über 500 Jahren hat Machiavelli bereits festgestellt: «Der grösste Feind der neuen Ordnung ist, wer aus der alten seine Vorteile zog.»

Sie engagieren sich bei der Ostschweizer Medien AG, der Herausgeberin von «Die Ostschweiz», als Verwaltungsratspräsident. Was hat Sie dazu bewogen?

Ich denke, dass die Summe meiner vorangegangenen Antworten dieses Engagement verständlich macht. Es ist für mich wichtig, dass in einer lebendigen Demokratie Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt herrscht. Diese Werte sind «systemrelevant» – was für eine groteske Worterfindung – und nicht mit Druckerschwärze eingefärbtes Papier. Da aber wie bereits angetönt die Politik weder Vielfalt noch Transparenz für förderlich hält, müssen Private sich engagieren, damit Platz und Raum für Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit erhalten bleibt. Dafür steht «Die Ostschweiz» und ihr Erfolg zeigt, dass Bürgerinnen und Bürger dieses Angebot auch aktiv nutzen. Zudem stehe ich für unsere Ostschweiz und will meinen Beitrag leisten, dass wir auch medial wieder Identitäten schaffen können. Dazu gibt es lokale Angebote, die gedruckt oder digital Gemeindeinformationen bereitstellen und streuen.

Mit «Die Ostschweiz» wollen wir die zweite Ebene prägen, denn gerade das Regionale hat es aktuell besonders schwer, Beachtung und Gehör zu finden. Dabei kommt gerade in der Ostschweiz dem Regionalen besondere Bedeutung zu, da bei uns die Kantone geografisch und wirtschaftlich wohl eng miteinander verflochten sind, aber politisch und kulturell immer noch zu tiefe Gräben bestehen.

Auch hier braucht es Veränderung und Bewegung, was die Politik aber nicht schafft. So ist es an den Bürgerinnen und Bürger, diese Identität selber voranzutreiben und zu leben. Unsere Plattform «Die Ostschweiz» will dazu einen Beitrag leisten. Schliesslich ist es durchaus denkbar, dass wir unser Konzept multiplizieren und in andere Region exportieren. Denn es wäre an der Zeit, dass wieder einmal eine Medien-Innovation mit Ostschweizer Absender von sich reden macht.

Corona hat grosse Auswirkungen auf die Medien. Zum einen ist das Thema der Medienförderung aktueller geworden, zum anderen ist die Bedeutung der Medien deutlicher geworden. Wie beurteilen Sie das «Coronajahr» aus dieser Perspektive?

Wie so vieles hat die Corona-Krise auch die Schwachstellen der Schweizer Medienlandschaft schonungslos aufgezeigt. Dies gilt für die bereits angesprochene völlig unkritische Berichterstattung und die ungebrochene Lust auf zusätzliche staatliche Gelder für die SRG und die grossen Medienhäusern. Der Bundesrat will die grossen Medienhäuser in Zukunft mit zusätzlichen Subventionen von jährlich gegen 200 Millionen Franken übergiessen, während kleine unabhängige Angebote aussen vor bleiben.

Das Konzept Sommaruga will den Verlegern künftig für jedes Online-Abonnement sage und schreibe 80 Prozent des erzielten Preises zustecken. Damit geht eine gravierende Marktverzerrung einher, welche die monopolartige Machtkonzentration der Verleger in den Regionen weiter zementiert. Damit können sie – staatlich finanziert – gleich auch noch den Online-Markt unter sich aufteilen. Nicht subventionierte Konkurrenzmedien werden mit staatlicher Hilfe aus dem Markt gedrängt. Und dies mit einer mehr als nur sonderbaren Begründung. Bei ihrer Betteltour argumentieren die Zeitungsverleger, dass ihnen der Staat die «Transformation ins Internet» bezahlen müsse. Das ist Augenwischerei, denn diese Transformation hat längst stattgefunden. Die grossen Verlage erzielen schon heute bis zu 80 Prozent ihres Gewinns im digitalen Geschäftsfeld.

An der Realität vorbei argumentiert auch der Bundesrat. Gemäss seiner Botschaft will er die Schweizer Medien vor Google, Facebook & Co. schützen. Das verfängt nicht. Die Digitalisierung ist eine Realität, der sich auch andere Branchen stellen müssen. Sie lässt sich mit Staatsgeld nicht aushebeln.

Wenn man Ihren Ausführungen folgt, entsteht der Eindruck, dass es auch in der Medienpolitik in erster Linie um Subventionen geht. Ist letztlich alles eine Frage des Geldes?

Selbstverständlich bin ich als liberaler Politiker und Unternehmer überzeugt, dass eine freie Marktwirtschaft mit Wettbewerb und freier Preisbildung das Gestaltungsprinzip einer freien und offenen Gesellschaft ist. Dazu gehört, dass man für seine Investitionen und sein unternehmerisches Risiko eine gemessene Rendite erzielt. Und dies unabhängig von staatlichen Subventionen.

Mein Engagement für eine faire Medienpolitik geht aber weit darüber hinaus. Denn staatlich finanzierte Medien verlieren ihre Wächterfunktion gegenüber Politik und Verwaltung. Mit ihrer Staatsabhängigkeit werden sie zunehmend zu reinen Verlautbarungs-Medien, was der Politik gefällt, sie aber letztlich unglaubwürdig macht.

Lassen Sie mich dies mit einem Zitat von Ephraim Kishon illustrieren. Kishon sagte einmal: «Medien sind bellende Wachhunde der Demokratie». Zumindest in der Schweiz mutieren diese vermeintlichen Wachhunde immer mehr zu Schosshündchen, heute von Bundesrätin Sommaruga und morgen von neuen Amtsträgern, die an den Hebeln der Staatskasse sitzen.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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