Bürgerliche Parteien, das Gewerbe und die Hauseigentümer blasen im Kanton St,Gallen gemeinsam zum Angriff gegen die Zersiedelungsinitiative. Ihr Hauptargument: Das Anliegen sei nicht unberechtigt, es gebe aber bereits griffige Instrumente. Und die Initiative schade mehr, als sie nütze.
Eigentlich, räumte CVP-Nationalrat Thomas Ammann zu Beginn einer gemeinsamen Medienorientierung von Politikern, kantonalem Gewerbeverband und dem Hauseigentümerverband ein, könne der Zeitpunkt der Veranstaltung vielleicht verwundern. Denn es dauert nur noch eine knappe Woche bis zum Urnengang, und der Trend bei der Zersiedelungsinitiative deutet bereits auf ein Nein hin.
Dennoch wolle man auch jetzt noch informieren und mobilisieren, weil die Initiative der Jungen Grünen unnütz, gefährlich und kontraproduktiv sei. Ein haushälterischer Umgang mit dem Boden sei zwar wichtig, aber hier werde heute schon viel unternommen, vor allem mit dem neuen Raumplanungsgesetz (RPG), das 2014 in Kraft getreten ist. «Die Kernanliegen der Initiative sind bereits geregelt, die Initiative ist unnütz», so Ammann.
Vor allem aber: Das RPG werde umgesetzt, das Spiel laufe - «und nun sollen mittendrin die Spielregeln verändert werden». Gerade ein Kanton St.Gallen, der seinerseits den kantonalen Richtplan revidiert und ein neues Baugesetz eingeführt habe, trage den Anliegen der Initianten heute schon Rechnung - und würde laut Ammann bei einem Ja bestraft.
Der CVP-Nationalrat und auch seine Nachredner meinen damit die Tatsache, dass Kantone, die in der Vergangenheit grossflächig auf Vorrat Flächen eingezont haben, bei einem Ja zur Zersiedelungsinitiative im Vorteil wären. Denn diese will den Status quo quasi einfrieren. Wer aber haushälterisch mit dem Boden umgegangen sei, dessen Entwicklungsmöglichkeiten wären danach beschränkt.
Auch der SVP-Nationalrat und Rorschacher Stadtpräsident Thomas Müller betonte das Ungleichgewicht. Persönlich sei er nicht betroffen, Rorschach sei zu 100 Prozent überbaut, «Friedhof und Fussballfeld mussten wir sogar auslagern.» Aber andere Gemeinden würden benachteiligt und könnten sich nicht mehr entwickeln. Das geltende Raumplanungsgesetz sei ebenfalls einschränkend, aber es sei «viel griffiger», es erlaubt die Einzonung von Bauland nach den Bedürfnissen der nächsten 15 Jahre.
Der Kanton St.Gallen handhabe das RPG sehr streng, so Müller, Kanton und Bund überprüfen Richtplan und Zonenplan und müssen diesen genehmigen. «Damit sind viele der Probleme, welche die Zersiedelungsinitiative anspricht, bereits gelöst.»
Der SVP-Kantonsrat Christof Gartmann, Vorstandsmitglied des Kantonalen Gewerbeverbandes, sprach die Auswirkungen für die Wirtschaft an. «Die Initianten blenden die Folgen für Unternehmen und Arbeitsplätze völlig aus», erklärte er. Schon heute seien andere Kantone punkto Ansiedlungspolitik in einer besseren Situation als St.Gallen. Die Wirtschaft sei angewiesen auf Flächen zur weiteren Entwicklung, die Initiative sei diesbezüglich «zu starr und zu radikal». Es gehe bei der Vorlage nicht nur um Wohn-, sondern auch um Arbeitsraum.
Ein Punkt, den auch Walter Locher aufgriff, FDP-Kantonsrat und Präsident des St.Galler Hauseigentümerverbandes. Der Anwalt ist auch in der Industrie tätig und betonte, dass eine bestimmte Forderung der Initiative besonders schädlich sei. Einzonungen wären künftig nur noch möglich, wenn gleichzeitig eine gleich grosse und qualitativ vergleichbare Fläche wieder ausgezont würde - als Kompensation. Locher: «Es kann Jahre gehen, bis man einen Ersatz für eine Fläche gefunden hat, und so lange Prozesse sind in der Industrie Gift.» Denn Unternehmen seien angewiesen auf schnelle Entscheidungen.
Aber auch bezüglich Wohnen prognostiziert der HEV-Präsident negative Folgen bei einem Ja. Es würde aus seiner Sicht zu einer Angebotsverknappung führen, «und die führt zu steigenden Preisen.» Dies betreffe nicht nur Käufer von Liegenschaften, sondern auch die Mieter in Form von höheren Mietzinsen.
Tatsächlich fällt auf, dass der Schweizerische Mieterverband nicht unter den offiziellen Unterstützern der Vorlage figuriert. Sehr wohl aber der «Hausverein», eine Art linkes Pendant zum Hauseigentümverband. Die Bauern wiederum sind gespalten. Der Schweizer Bauernverband hat die Nein-Parole beschlossen, einige kleinere Gruppierungen aus dem Bereich der Biolandwirtschaft unterstützen ein Ja. «Die Initiative versucht, die Bauern zu ködern», so Thomas Müller, «aber die meisten haben gemerkt, dass ein grünes Anliegen kaum die wirklich produzierenden Bauern unterstützt, sondern nur die, welche reine Landschaftspflege machen.»
Die jüngsten, einige Tage alten Prognosen geben der Zersiedelungsinitiative noch einen Wert von 47 Prozent Ja-Stimmen. Ende Jahr hatten Umfragen noch eine Ja-Mehrheit ergeben. Das deckt sich allerdings mit den Erfahrungen der Vergangenheit: Je näher der Abstimmungstermin rückt, desto kleiner wird der Zuspruch von Volksinitiativen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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