Nur 15 Prozent des Schweizer Energiebedarfs wird mit Gas gedeckt. Warum wir trotzdem in eine Energiemangellage geraten können, weiss Stefano Garbin, CEO der St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke AG, kurz SAK.
Vor einem Jahr stellten Sie in einem Interview das Engagement der SAK für die Energiezukunft vor. Welche Projekte haben Sie dieses Jahr realisiert?
Das sind einige, die SAK investierte auch dieses Jahr wieder in Zukunftsmärkte für die Energiewende Ostschweiz. Im Park 2022 in Uzwil rüsteten wir eine ganze Wohnüberbauung mit unserem Multi-Energie-System aus, das durch Abstimmung von Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen und Ladelösungen die Selbstversorgung des Gebäudekomplexes optimiert und dadurch den CO2-Ausstoss reduziert. Aber auch in der Industrie erzielten wir erfreuliche Ergebnisse. Diesen Sommer nahmen wir auf dem Dach des Glaceproduzenten Froneri unsere bis dato grösste Photovoltaikanlage in Betrieb. Diese deckt nun sämtlichen Strombedarf für die Produktion der Rakete-Glaces und des Cornet Extrème. Insgesamt baute die SAK im vergangenen Jahr etwa drei Megawatt (MW) an zusätzlicher Stromproduktion durch Photovoltaik zu.
Welchen Einfluss – positiv oder negativ – hat der Krieg in der Ukraine auf das Thema Energie?
Grundsätzlich kann man sagen, dass wir in der Schweiz etwas weniger vom Ukraine-Krieg betroffen sind als andere europäische Länder. Mit den Sanktionen gegen Russland ist die Gasversorgungssicherheit in Europa gesunken. In der Schweiz macht Gas aber nur rund 15 Prozent des Energieverbrauchs aus – rund die Hälfte davon stammt ursprünglich aus Russland, obwohl die Schweiz keine direkten vertraglichen Beziehungen zu Russland pflegt. Da die Schweiz selbst keine Gasspeicher hat, ist sie von Lieferungen aus der EU abhängig. Nichtsdestotrotz besteht für die Schweiz immer noch ein Restrisiko von Lieferengpässen.
Droht uns darum eine Strommangellage?
Bei der aktuellen Mangellage wirken mehrere Faktoren. Die Schweiz kann ihren Eigenbedarf an Strom im Winter nicht vollständig selbst decken. Den fehlenden Strom kaufen wir am Strommarkt ein, auch wenn das mit Hürden verbunden ist. Da der Schweizer Strommarkt weniger liberal als jener der EU ist, entwickelt sich die Zusammenarbeit mit Brüssel nur schleppend. Ein Grossteil des aktuell eingekauften Auslandstroms ist französischer Atomstrom. Frankreich produziert derzeit aber wegen Wartungs- und Reparaturarbeiten an seinen Atomkraftwerken nur knapp die Hälfte der üblichen Strommenge. Und nicht zuletzt spielt auch hier der Ukraine-Krieg eine Rolle: In Europa wird zu Spitzenverbrauchszeiten auch mit Gaskraftwerken Strom produziert. Infolge der Sanktionen gegen Russland ist Gas knapper geworden. Summa summarum: Wenn die Schweiz infolge fehlender Stromabkommen mit der EU und Strommangel im Ausland nicht genug Strom importieren kann, müssen wir hierzulande mit einer Strommangellage rechnen.
Die SAK baute neben dem Wasserkraftwerk Kubel in St. Gallen eine eigene Wasserstoffproduktionsanlage. Ist die Anlage in Betrieb und wie viel Wasserstoff wird da für wen produziert?
Die Wasserstoffproduktionsanlage im Kubel ist seit diesem November in Betrieb. Bei der Anlage handelt es sich um ein Joint Venture der SAK, Osterwalder Gruppe und SN Erneuerbare Energie AG. Im Kubel produzieren wir das H2 und vertreiben es anschliessend über das Tankstellennetz von Osterwalder. Die Anlage hat eine Leistung von zwei Megawatt und wird im Jahr ungefähr 250 Tonnen Wasserstoff produzieren. Das ist genug für umgerechnet 3,2 Millionen Lastwagen-Kilometer. Mit dieser Leistung reduzieren wir den jährlichen CO2-Ausstoss des Schwerverkehrs um rund 560 Tonnen.
Was sind denn die Vorteile von Wasserstoff als Energieträger für Mobilitätslösungen?
Wasserstoff bietet gegenüber konventionellen Antrieben viele Vorteile. Er ist – wenn nachhaltig produziert – umweltfreundlich und genauso schnell getankt wie ein konventioneller Kraftstoff. Bei mit Batterie betriebenen Elektro-Lkw dauert das Aufladen im Vergleich viel länger. Zudem ist die Reichweite von H2-Brennstoffzellen-Lkw grösser als bei batteriebetriebenen Elektro-Lkw. Im Moment gibt es in der Schweiz rund 50 Brennstoffzellen-Lkw. Gemäss Hyundai sollen es in absehbarer Zeit 1600 sein. Der Bedarf an Wasserstoff wird steigen, wir überlegen entsprechend bereits den Bau einer zweiten Anlage bei unserem Kraftwerk Schils in Flums.
Hat Wasserstoff auch Nachteile? Vor allem im Vergleich zu Elektroantrieben?
Wasserstoff ist wie der Strom nur grün, wenn er auch grün produziert wird. Weil die Produktion von H2 möglichst kostengünstige elektrische Energie benötigt, werden die Anlagen meist neben Stromproduktionsanlagen gebaut – wie bei uns im Kubel, wo der Wasserstoff mit Wasserkraft produziert wird. Weiter kommt dazu, dass sich H2 als Kraftstoff hauptsächlich für Langstrecken eignet. Wasserstoff eignet sich daher speziell für den Schwerverkehr, der normalerweise über weite Strecken fährt.
Zum Schluss: Wie würden Sie die Schweizer Energieversorgung der Zukunft organisieren?
Für mich zentraler Punkt ist, dass wir die Eigenständigkeit der Schweiz in der Energieversorgung erhöhen. Dafür braucht es Investitionen in den Ausbau unserer inländischen Stromproduktions- und Speicheranlagen. Letztere sind insofern wichtig, als wir unseren Stromüberschuss im Sommer für den Winter verwenden können und dadurch weniger abhängig vom Ausland werden. Doch damit dies möglich wird, müssen auch die politischen Rahmenbedingungen gegeben sein. Beim Bau neuer Stromproduktionsanlagen gibt es immer noch zu viele Hürden und Unsicherheiten, die das Investieren weniger attraktiv machen. Das muss sich ändern. Und nicht zuletzt braucht es auch Kompromissbereitschaft, Solidarität und Toleranz, um gemeinsam eine höhere Eigenständigkeit zu erreichen.
St.Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG
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