Barbara Müller.
Die Thurgauer SP-Kantonsrätin Barbara Müller kann fast täglich von Zwischenfällen in der Bahn berichten. Aus gesundheitlichen Gründen ist sie von der Maskenpflicht befreit. Die Reaktionen fallen aber unschön aus - bis hin zu einem tätlichen Angriff eines Passagiers.
Zunächst: Im Grunde ist die Ausgangslage glasklar. In öffentlichen Verkehrsmitteln muss eine Schutzmaske getragen werden. Davon befreit sind Personen, die ärztlich bestätigt keine Maske tragen können oder sollten.
Die Krux liegt in der Umsetzung. Denn die Betroffenen sollen laut gängigem Verständnis ihre Befreiung von der Maskenpflicht mit einem Attest belegen können. Die Kontrollpersonen in den Zügen haben aber keine Befugnis, die Leute anzuweisen, dieses Attest vorzulegen. Das wiederum ist vielen nicht bekannt. Es geht aber beispielsweise klar hervor aus einem Mailverkehr zwischen den SBB und einer Organisation für Menschen mit einer Behinderung, der uns vorliegt.
Darin heisst es:
«Alle Kunden, die von der Ausnahmeregelung betroffen sind, sollen dies mit einem offiziellen unterschriebenen Arztzeugnis in Papierform, das auf ihren Namen ausgestellt ist, im Zug nachweisen können. Es liegt allerdings nicht in den Aufgaben und der Kompetenz des Zugpersonals, das Vorhandensein oder die Echtheit der Zeugnisse zu überprüfen.»
Es mag zunächst seltsam anmuten, dass man einerseits über ein Attest verfügen muss, dieses aber nicht zu zeigen hat. Gleichzeitig macht es durchaus Sinn. Denn wer hat Lust, seine persönliche Krankengeschichte einem wildfremden Zugbegleiter vorzuweisen? Und selbst wenn es jemand tut: Es ist nicht anzunehmen, dass ein Zugbegleiter die «Echtheit» beziehungsweise die Stichhaltigkeit der Gründe bewerten kann.
Die SBB betonen im selben E-Mail, «dass die Unterlagen für unsere Kundenbegleiter umfassend und die Ausnahmefälle richtig dargestellt sind. Das Personal ist zudem entsprechend sensibilisiert.»
Barbara Müller könnte diese beruhigenden Worte vermutlich nicht unterschreiben. Die Wissenschaftlerin und SP-Kantonsrätin aus dem Thurgau macht derzeit fast auf täglicher Basis eine anderslautende Erfahrung. Auf Facebook berichtet sie laufend darüber.
Der neueste Fall ist besonders schwerwiegend. Zum einen, sagt Müller in einer Videobotschaft, sei sie einmal mehr von einer Zugbegleiterin mehrfach aufgefordert worden, eine Maske zu tragen beziehungsweise ihr Attest zu zeigen. Danach sei sie beim Aussteigen von dieser verfolgt und weiterhin konfrontiert worden. Schlussendlich habe die SBB-Mitarbeiterin gedroht, die Polizei zu holen. In dieses Wortgefecht sei dann ein Passagier gestürmt und habe Barbara Müller mit zwei Faustschlägen traktiert.
Die streitbare Politikerin will diesen Fall - wie schon die vorangegangenen - nicht auf sich sitzen lassen. Gegen den unbekannten Zugpassagier wird sie Anzeige wegen Tätlichkeit einreichen, gegen die Zugbegleiterin eine wegen Nötigung,
«Die Zugbegleiterin hat keine Kontrollbefugnis», sagt Müller und verweist auf die Angaben der SBB. Es gelte das Personenbeförderungsgesetz, und sie habe ein gültiges GA. «Es ist schon allerhand, was man sich in diesem Willkürstand, den wir heute haben, alles bieten lassen muss.» Es gehe hier um die Rechtsstaatlichkeit.
Der Videoclip, in dem die Thurgauerin die Ereignisse schildert, wurde bereits über 200 Mal geteilt.
Barbara Müller.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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