Die Stadt St.Gallen ist immerhin verlässlich: Ihre kontinuierliche Entwicklung Richtung links wurde fortgesetzt. Auch wenn es sogar noch heftiger hätte kommen können. Was läuft eigentlich so gut in der Kantonshauptstadt, dass so viele daran festhalten wollen?
Wäre in diesem zweiten Wahlgang die CVP-Kandidatin Trudy Cozzio anstelle des FDP-Manns Mathias Gabathuler in den Stadtrat gewählt worden, hätte man vor lauter Harmonie im Rathaus vermutlich schon im Treppenhaus Rosenduft geschnuppert. Mitte-Links, wobei Mitte schon fast zuviel gesagt ist, wäre dann nicht mehr nur in der Mehrheit, sondern absolut gewesen. Nun kann Gabathuler quasi die Distel im Bouquet spielen, um in der Botanik zu bleiben. Keine sehr angenehmene Rolle. Und vermutlich auch keine, die etwas ändern kann.
Die Stadtpräsidiumswahl ist traditionell diejenige, die am meisten elektrisiert, aber faktisch war sie am Sonntag zweitrangig. Es ist nicht so, dass die Person oben am Tisch die Stadtpolitik diktiert. Es ist die Zusammensetzung des Gremiums, die entscheidet. Da hat sich unterm Strich nichts getan. Der bürgerliche Angriff auf den Stadtrat ist bereits im ersten Wahlgang faktisch gescheitert, seither war nur noch die Frage, ob aus der Offensive ein Totalabsturz wird oder die Bürgerlichen wenigstens einen symbolischen Stuhl halten können.
Das haben sie, und damit ist alles praktisch wie gehabt. Und man muss zum Schluss kommen: Die St.Gallerinnen und St.Galler sind der Ansicht, in ihrer Stadt sei alles zum Besten. Denn sie haben sich für die Fortsetzung des Wegs der letzten Jahre entschieden. Was spricht denn eigentlich konkret dafür? Ist St.Gallen ein Magnet für Neuzuzüger und wichtige Firmen? Ein Steuerparadies? The place to be? Oder wenigstens schweizweit für irgendeine wichtige Nische bekannt - Bratwurst mal ausgenommen?
Es wurde viel verpasst in den letzten vier Jahren. Man kann nicht von grossen Fehlern sprechen, aber von Unterlassungen. Wenn etwas geschah, wenn etwas aktiv in die Wege geleitet wurde, mündete das meistens in politisch korrekten Aktionen wie E-Scootern, die herumstehen. Die entsprechen dem Zeitgeist, eine Stadt machen sie aber nicht aus. Gut, der Marktplatz wird neu, aber das vermutlich vor allem, weil viele Stimmbürger fanden, sie wollten nun wirklich nicht noch ein weiteres Mal darüber abstimmen. Über das hinaus mag einem wirklich nicht viel einfallen, das St.Gallen ausgezeichnet hätte in jüngster Zeit.
Aber eben: Es hat offenbar gereicht, um eine Veränderung im Stadtrat zu verhindern. Was irgendwie den Eindruck festigt, dass es die hohe Kunst der Politik ist, nichts falsch zu machen. Wer viel tut, macht irgendwann auch Fehler. Wer verwaltet, dem unterlaufen wenigstens keine Malheur.
Früher oder später muss sich die St.Galler Stadtbevölkerung vielleicht fragen, ob ihr das genug ist. Wobei: Bald kommen ja auch noch die E-Bikes. Das müsste ja eigentlich bereits als Leistungsausweis für die ganze nächste Legislatur reichen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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