Die Grünliberalen St.Gallen unterstützen die Kandidaturen von SP und FDP bei den Regierungswahlen. Zufall ist das kaum. Diese beiden Parteien sind die letzte Chance der GLP, bei einer Fraktion im Kantonsrat unterzukommen. Es ist Machtpolitik vom Feinsten.
Die Braut, die keiner will: So müssen sich die Grünliberalen des Kantons St.Gallen derzeit fühlen. Die GLP hat bei den jüngsten Wahlen sechs Mandate im Kantonsrat errungen, eines zu wenig für die angepeilte Fraktionsstärke. Wenn sie effektvoll Politik betreiben will, braucht sie aber Zugang zu einer Fraktion. Nur so schafft sie es in Kommissionen und hat Zugang zu administrativen Ressourcen.
Die bisherige Partnerin CVP hat sich aber bekanntlich entschieden, die beiden Parlamentarier der EVP unter ihr Dach zu lassen. Die GLP bleibt aussen vor. Denn: Die CVP hat keinen Grund, auch noch die Grünliberalen an der Fraktion zu beteiligen, die Vergrösserung würde ihr keine zusätzlichen Kommissionssitze einbringen, aber die eigenen Fraktionsmitglieder benachteiligen.
Kurz: Die GLP ist in dieser Konstellation sozusagen das dritte Rad am Velo.
Die Optionen der GLP sind geschrumpft. Denn die Grünen, ein möglicher Partner, bilden bereits eine eigene Fraktion und haben kein Interesse, die «reine grüne Lehre» zu verwässern. Mit der SVP ist die Schnittmenge an Gemeinsamkeiten definitiv zu klein. Es bleiben nur SP und FDP als mögliche Partner.
Und nun geben die Grünliberalen bekannt: Sie unterstützen im zweiten Wahlgang der St.Galler Regierungswahlen Beat Tinner, FDP und Laura Bucher, SP. Wir haben berichtet. Die Empfehlung geht also an die beiden möglichen Bräute bei einer Fraktionsbildung.
Dass das kaum ein Zufall, sondern eine strategische Massnahme ist, dafür spricht die Begründung der Wahlempfehlung. Laura Bucher lässt sich gut begründen mit der Frauenfrage und der klar «grüneren» Ausrichtung. Aber Beat Tinner und Michael Götte unterscheidet politisch trotz verschiedener Parteizugehörigkeit nicht sehr viel. Tinner überzeuge «mit seinen hervorragenden Dossier-Kenntnissen, seiner Führungserfahrung und seiner Vernetzung im Kanton», schreibt die GLP. Selbst wenn man die SVP nicht mag, müsste man zugeben, dass dieser Satz auch 1:1 auf Michael Götte zutrifft.
Umweltpolitisch trennt Tinner und Götte ebenfalls nicht viel. Beide vertreten im Parlament alles andere als eine grüne Linie, engagieren sich aber lokal als Gemeindepräsidenten für Naturprojekte. Götte ist unter anderem vorsitzender Geschäftsführer bei der Energieagentur; Tinner hat beim «Ecorating» der Umweltverbände nicht sehr gut abgeschnitten, Götte hat dort nicht teilgenommen, seine Werte fehlen. Unterm Strich heisst das: Wirtschaftspolitisch ticken beide gleich, umweltpolitisch vermutlich auch. Und punkto Erfahrung und Vernetzung schenken sich die beiden Fraktionspräsidenten von SVP und FDP nichts.
Die GLP hat sich also bei gleicher Ausgangslage für Beat Tinner entschieden. Der Verdacht eines strategischen Entscheids liegt nahe: Man wollte SP und FDP zufriedenstellen mit der Wahlempfehlung, um im Rennen um eine Fraktionsgemeinschaft zu bleiben. Nadine Niederhauser, Präsidentin der GLP St.Gallen, hat bisher nicht auf eine entsprechende Anfrage von «Die Ostschweiz» reagiert.
Hinter vorgehaltener Hand räumt ein GLP-Mitglied aber ein, dass diese Überlegung bei der Debatte ein grosses Thema war. Die Begründung in der Empfehlung sei in der Tat unglücklich: «Wir hätten auch einfach sagen können, dass uns die FDP doch noch näher liegt als die SVP.» Das hätte aber nur bedingt geklappt, denn im Fall von Michael Götte, der keine harte SVP-Linie vertritt, hätte das seltsam gewirkt.
In der Praxis haben Wahlempfehlungen von Parteien ohnehin eine begrenzte Wirkung. Die Basis einer Partei wählt, wie sie will und nicht nach den Vorgaben «von oben». Abzuwarten bleibt, ob die Gefälligkeit der GLP gegenüber SP und FDP Wirkung zeigt oder nicht - und wo die GLP-Kantonsräte letztlich landen, wenn überhaupt.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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