Derzeit befassen sich die Juristen des Ausserrhoder Verfassungssekretariats damit, die von der Verfassungskommission intensiv diskutierten und schliesslich verabschiedeten Ziele und Ideen in rechtlich «wasserdichte» Formulierungen zu fassen. Im April soll es so weit sein.
Die Verfassung von 1908 war – wie damals üblich – gänzlich ohne Präambel ausgekommen. Bei der letzten Revision Mitte der 1990er Jahre blieb mehr oder weniger unbestritten, dass die neue Kantonsverfassung mit einer solchen Erklärung eingeleitet werden soll, die sozusagen «das Dach» bildet und zum Ausdruck bringt, in welchem Geist die Verfassungsnormen zu verstehen sind.
Die Meinungen, wie ein solches Konzentrat der Inhalte auszusehen hat, gingen allerdings damals schon auseinander, insbesondere darüber, ob der Name Gottes ausdrücklich erwähnt werden sollte. Die Kommission verzichtete in ihrem Entwurf auf eine ausdrückliche Anrufung Gottes, schlug aber den Begriff «Schöpfung in ihrer Vielfalt» vor. Dieser umfasse «alles was nicht vom Menschen geschaffen wurde» – die belebte und die unbelebte Natur, die gesamte Mitwelt. Dem Kantonsrat war das damals zu wenig. Er führte den Begriff Gott wieder ein.
Die noch weit ausgedehnteren Diskussionen als aktuell, zeigten schon damals, dass eine «richtige» Formulierung schier unmöglich ist, weil jeder Mensch in diesem Bereich seine eigene Überzeugung und ein eigenes Verhalten zur Schöpfung hat. Längere Debatten gab es auch zur Formulierung, dass die Präambel zur Mitgestaltung an einer freiheitlichen und friedlichen und gerechten Lebensordnung «über äussere und innere Grenzen hinweg» aufrufen soll. Doch dieser Satzteil setzte sich durch.
Verzicht auf religiöse Bezüge
Dass auch die neue Verfassung eine Präambel haben sollte, wie der Bund und nahezu alle Kantone (wenn auch mit ganz unterschiedlichem Wortlaut), blieb auch in der aktuellen Vorbereitungsarbeit unbestritten. Erst an ihrer letzten Plenarsitzung nahm sich die Revisionskommission der heissen Kartoffel an. Dabei standen verschiedene Vorschläge zur Diskussion. Die Kommission beantragte, sich an den Verfassungen von Freiburg, Zürich und Neuenburg zu orientieren und sich zwar auf Gott zu beziehen, aber andererseits auch Werte für Nichtgläubige anzubieten und auf menschliche Grenzen hinzuweisen. Zudem soll das Bestreben ausgedrückt werden, Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden und Wohlstand in einer demokratischen Ordnung zu gewährleisten.
Schliesslich einigte man sich aber mit überwältigendem Mehr auf passender scheinende Vorschläge aus zwei Einzelanträgen, die auf jegliche religiöse Bezüge verzichteten. Dennoch soll das Verfassungssekretariat nun noch daran feilen, damit klar wird, dass man sich als Teil eines Ganzen und einer höheren Ebene begreift. Man darf gespannt sein, wie die Juristen bis April daraus eine taugliche und mehrheitsfähige Form finden, die in der weiteren politischen Diskussion Bestand hat. Die Wogen gingen und gehen schon nach dem Kommissionsentscheid hoch.
Weg frei für zeitgemässe Gemeindestrukturen
Im Abschnitt Grundsätze hatte die Verfassung von 1995, ohne grössere Vorabdiskussionen, beschlossen, die 20 Gemeinden in der traditionellen Reihenfolge aufzuzählen, auf die vorherige Gliederung in drei Bezirke aber zu verzichten, da ihnen keine politischen oder rechtlichen Aufgaben mehr zukämen. In der neuen Verfassung sollen die Gemeinden nicht mehr erwähnt werden, womit man den Weg für «zeitgemässe Gemeindestrukturen» frei macht, indem bei allfälligen Fusionen nicht mehr jedes Mal eine kantonale Volksabstimmung nötig wäre. Die Gemeinden sollen aber auf Gesetzesstufe weiterhin genannt werden. Keine Chance hatten in der Diskussion Bestrebungen, die Bezirke wieder einzuführen, obwohl eingeräumt wurde, dass diese «in den Köpfen nach wie vor verankert seien».
Obwohl dies rechtlich eine bedeutungslose Frage ist, wurde – wie bereits 1995 – länger darüber diskutiert, ob ein Hauptort genannt werden sollte, wobei sicher Herisau im Vordergrund stehen würde. Man beliess es mit knappem Mehr dabei, darauf zu verzichten. Dies im Bestreben, keine alten Wunden aufzureissen, ist die Frage doch mit historischen Rivalitäten aus der Zeit der Landteilung belastet.
Grund- und Sozialrechte als umfassender Katalog
Deutlich ausgeweitet und modernisiert worden war 1995 der Bereich der Grundrechte (vorher als persönliche Rechte in der Verfassung subsumiert). Die Kommission sprach sich nach längerer Diskussion mehrheitlich erneut für eine umfassende Aufzählung aus, obwohl sie weitgehend bereits in der Bundesverfassung erwähnt sind, weil ihnen eine «Richtschnurfunktion» zukomme und die Eigenstaatlichkeit betont wird. So soll als weitergehendes kantonales Grundrecht das Öffentlichkeitsprinzip verstärkt werden, und es wird ausdrücklich der Schutz vor Whistleblowern in diesem Katalog Aufnahme finden. Eine Frage, die sich 1995 noch nicht stellte, wird jetzt gelöst, indem der Staat und die Ämter nicht nur auf digitalem Weg, sondern «in geeigneter Weise für alle» den Informationsaustausch gewährleisten müsse.
Ähnlich verliefen die Diskussionen auch bei den Sozialrechten und Sozialzielen. Auch hier wird der bundesverfassungsrechtliche Katalog ausdrücklich und nicht nur in pauschaler Form übernommen. Als weitergehendes Sozialziel soll eine Formulierung gefunden werden, dass ältere Menschen ihr Leben selbstbestimmt gestalten und an der gesellschaftlichen Entwicklung teilhaben können. Dies geschah insbesondere mit Blick auf den hohen Alterskoeffizienten in Ausserrhoden.
Den Grund- und Sozialrechten stehen aber wie schon in der geltenden Verfassung auch «persönliche Pflichten» gegenüber. Diese werden gegenüber der alten Verfassung mehr oder weniger belassen. Via Gesetz kann die Bevölkerung zur Erfüllung gemeinnütziger Aufgaben verpflichtet werden. Damit ist man frei für künftige Entwicklungen (zum Beispiel Notwendigkeit eines Sozialjahrs). Die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen wird aber nicht als Verpflichtung aufgenommen.
Bekenntnis zur 2000-Watt-Gesellschaft
Besonders gespannt ist man auf den Vorschlag zu den öffentlichen Aufgaben, da in diesem Bereich die Anträge ziemlich kontrovers waren, im Sinne der angestrebten «impulsgebenden» Vorgehensweise etwas vage blieben und auch auf die finanziellen Konsequenzen hingewiesen werden sollte. Das gilt etwa für den Artikel über Natur- und Umweltschutz, wo auch der Klimaschutz erwähnt werden soll, ganz konkret die Verpflichtung auf die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft. Im Bereich Raumordnung und Bauwesen wird verlangt, dass etwa der Begriff «innere Verdichtung» postuliert wird und beim Abschnitt Verkehr sei die Förderung alternativer Mobilitätskonzepte aufzunehmen, während das Ziel der Umlagerung vom individuellen auf den kollektiven Verkehr bereits Bestandteil der 1995er-Verfassung ist.
Knapp nicht als öffentliche Aufgabe aufgenommen wurde die Medienpolitik. Das Eingreifen des Staates wird als heikle Gratwanderung interpretiert. Dagegen wird im Abschnitt Sicherheit ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Gewaltmonopol beim Staat bleiben soll. Bei der Wasserversorgung soll die Vergabe an gewinnorientierte Private explizit ausgeschlossen werden.
Stimmrecht 16 und Ausländerstimmrecht
Zu einem für die Bevölkerung direkt relevanten Themenkreis einer Verfassung gehören die Volksrechte. 1995 hatte man als bedeutsame Neuerung die Einheitsinitiative aufgenommen, die die Ausübung des Initiativrechtes erleichtern und für die systematische Einordnung der Begehren in die Rechtsordnung sorgen sollte. Die Beibehaltung dieses Instruments blieb gänzlich unbestritten. Weit mehr zu reden gab die Frage des Stimmrechtsalters. Eine klare Mehrheit der Kommission sprach sich auf kantonaler Stufe für die Senkung des aktiven Stimmrechts von 18 auf 16 Jahre aus, eine der wenigen Neuerungen, die bisher auf öffentliche Beachtung stiess, genauso wie das Ausländerstimmrecht unter bestimmten Bedingungen, nachdem hier auf kommunaler Ebene bereits eine Möglichkeit besteht und in einzelnen Gemeinden auch genutzt wird. Beim passiven Wahlrecht bleibt die Alterslimite hingegen bei 18 Jahren, und es ist weiterhin der Schweizer Pass erforderlich. Nichts wissen will man ebenfalls vom aktiven und passiven Wahlrecht für Auslandschweizer. Ob man dem Volk in diesem heiklen Bereich nicht allzu viel auf einmal zumuten will?
Bei den Referendumsrechten kommt neu das fakultative Finanzreferendum zum Zug. Beibehalten wird auch das gesamtschweizerische Unikum der «Volksdiskussion» als Vernehmlassung für jedermann. Aufgrund einer Aktualität (Affäre Maudet) kam auch eine Diskussion auf, ob es einen Amtsenthebungsartikel in der Verfassung brauche, doch verwarf die Kommission diese Idee wieder, vorab wegen der Gefahr des Missbrauchspotentials bei unliebsamen Personen. Eine Neuerung, die seit längerem in der politischen Diskussion steht, ist die Schaffung einer Ombudsstelle.
Majorz, Proporz oder Mischform?
Ein schon seit vielen Jahren insbesondere die kleineren Parteien umtreibendes Problem wurde erwartungsgemäss sehr eingehend diskutiert: Majorz- oder Proporzwahl für die Kantonsratsmandate. Die letzte Revision hatte neben der Festsetzung einer festen Sitzzahl von 65 den grösseren Gemeinden die Möglichkeit eingeräumt, selber den Proporz einzuführen, was in der Folge aber nur in Herisau erfolgte während es in einigen weiteren Gemeinden beim Versuch blieb. Genauso scheiterten diverse Anläufe, generell auf den Proporz zu wechseln.
Die Kommission schlägt nun aus einem halben Dutzend geprüfter Varianten diesen Systemwechsel vor. Dabei müssten aber grössere Wahlkreise geschaffen werden, mindestens drei entsprechend den früheren Bezirken plus allenfalls Herisau. Damit fiele als Kehrseite eine Sitzgarantie für jede Gemeinde weg und die Parteien erhielten mehr Gewicht. Für die Wahl des Regierungspräsidenten (er soll die Bezeichnung Landammann verlieren) wäre gemäss Kommissionsmehrheit der Kantonsrat und nicht mehr das Volk zuständig.
Pflicht zur Neuüberprüfung
Geerbt von der 1995er-Verfassung hat man die Verpflichtung, dass in Zeitabständen von rund 20 Jahren die Verfassung auf ihren Bedarf für eine Totalrevision überprüft werden soll. Dies damit jede Generation das Recht hat, ihre zeitgemässen Probleme grundsätzlich zu diskutieren und in ein Grundgesetz zu giessen. Doch vorerst geht es jetzt darum, die getätigten grossen Vorarbeiten zu einem Resultat zu führen, das die Nagelprobe schliesslich vor dem Volk besteht.
Hanspeter Strebel verfolgt alle Plenumssitzungen der Verfassungskommission im Kanton Appenzell Ausserrhoden mit und fasst sie zusammen. Hanspeter Strebel ist Historiker und Publizist. Er begleitete schon 1995 die Sitzungen des damaligen Verfassungsrates als Journalist (spk, später Appenzeller Zeitung). Seine Berichte erstellt Hanspeter Strebel zwar im Auftrag des Kantons, ist aber frei in der Ausgestaltung seiner Texte.
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