Militär 112: Der Hofplatz wird bis heute für militärische Anlässe genutzt.
Als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine führt die Politik eine Kontroverse zur Ausgestaltung der Schweizer Neutralität. Vor 375 Jahren wurde das erste Verteidigungsbündnis der Schweiz in Wil geschlossen und damals zugleich die bewaffnete Neutralität als Grundsatz festgelegt.
Bild oben: Hof 577a: Im Verwaltungszentrum des St. Galler Klosterstaates, dem Hof zu Wil, wurde der Grundstein zur Schweizer Armee gelegt.
Im 17. Jahrhundert kämpften mächtige Grossreiche um Macht und Einfluss in Europa. Dazwischen bestand ein fragiles Bündnis von dreizehn Orten, aus dem später die heutige Schweiz hervorgehen sollte. An Tagsatzungen trafen sich Abgeordnete der Stände, um über gemeinsame Interessen zu verhandeln. In jenen Jahren war dieser Verbund von Spannungen zwischen protestantischen und katholischen Orten geprägt, Einigungen zu verschiedenen Themen waren schwierig.
Grenzen kaum gesichert
Viele Machtbefugnisse hatte dieses Gremium nicht. Es gab weder eine gemeinsame Aussenpolitik, noch ein einheitliches Verteidigungswesen. Es bestanden zwar Beistandsabkommen, die aber kaum mehr den damals aktuellen Verhältnissen entsprachen. Diese sogenannten Defensionale erlaubten bei Gefahr kaum ein Handeln im Verbund innert nützlicher Frist. Die Grenzen des Landes waren wenig geschützt.
Fremde Soldarten in der Schweiz
Es herrscht zudem unter den eidgenössischen Orten Uneinigkeit darüber, ob man fremde Truppen durchs Land ziehen lassen soll oder nicht. In jenen Jahrzehnten drangen immer wieder Soldaten auf eidgenössisches Territorium ein. So belagerten etwa 1633 schwedische Truppen von der Thurgauer Seite her Konstanz. Bereits 1629 hatte ausländisches Militär die Bündner Pässe besetzt.
Verheerender Dreissigjähriger Krieg
Die Reformation hatte die bisherigen politischen Strukturen in Europa nachhaltig durcheinander gebracht. Der daraus folgende Dreissigjährige Krieg brachte Elend und Tod über verschiedene Regionen. Ausser bei Schlachten, starben viele Menschen durch Hungersnöte und durch Seuchen. In Süddeutschland beispielsweise überlebte nur ein Drittel der Bevölkerung. Die damalige Schweiz war im Gegensatz zu anderen Regionen in Europa kaum Austragungsort von bewaffneten Konflikten. Dies hätte sich rasch ändern können, wenn das Land besetzt worden wäre.
Fremde Truppen am Rhein
Als im Winter 1646/47 französisch-schwedische Truppen unter General Wrangel am Bodensee und am Rhein standen und Bregenz einnahmen, bestand für die Eidgenossen dringender Handlungsbedarf. Es musste ein wirkungsvolles Bündnis geschaffen werden, um die Grenzen speziell in der Bodenseeregion zu verteidigen. 1647 kamen Delegierte der Tagsatzung als Kriegsrat im Hof zu Wil zusammen. Das markante Gebäude in der Altstadt diente als Verwaltungs-, Finanz- und Gerichtszentrum des damaligen St. Galler Klosterstaates. Seit 1451 unterhielt dieser mit den Eidgenossen ein Verteidigungsabkommen.
Wiler Defensionale
Unter der akuten Bedrohung durch fremde Truppen rückten die konfessionellen Zwistigkeiten in den Hintergrund, die eidgenössischen Orte einigten sich. Die ausgehandelte Vereinbarung ging als das «Defensionale von Wil» in die Geschichtsbücher ein. Gemäss ihr sollten die angeschlossenen Orte 12 000 Soldaten sowie 24 000 Männer in Reserve stellen und zudem in die gemeinsame Kriegskasse einzahlen.
Im Weiteren wurde die Anzahl der Geschütze und die Munition sowie die weiteren Waffen, die die Bündnispartner zu stellen hatten, festgelegt. Auch die Besammlungsplätze wurden definiert. Das «Defensionale von Wil» gilt als erster Schritte zur Gründung einer einheitlichen Schweizer Armee.
Die damalige Übereinkunft gilt zudem als Grundstein auf dem Weg zur bewaffneten Neutralität der Schweiz. Der zweite Wegmarke folgte bald: 1668 gab die Tagsatzung die erste offizielle Erklärung zur Neutralität ihres damaligen Gebietes ab. Dieser Grundsatz gilt bis heute.
Verheerende Kriegsfolgen
Am 20. Januar 1647 wurde das Verteidigungsbündnis zum Schutz der Ostschweiz aktiviert, aus den St. Gallischen Landgebieten, dem Toggenburg, dem Rheintal sowie aus Appenzell wurden 1500 Mann unter Waffen am Rheinufer aufgestellt. In der Folge verzichteten die Schweden auf einen Einmarsch auf das Territorium der heutigen Schweiz.
Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 wurde der Dreissigjährige Krieg beendet. Er hatte den Kontinent verwüstet und seine Bewohner nachhaltig traumatisiert. Es sollte rund hundert Jahre dauern, bis die Folgen des Gemetzels einigermassen überwunden waren.
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.