Kleinere und mittlere Betriebe funktionieren anders als Grossunternehmen. Dabei geht es nicht darum, wer besser oder schlechter ist. Entscheidend ist vielmehr, dass wir es mit unterschiedlichen Strukturen mit unterschiedlichen Spielregeln zu tun haben.
Dies gelesen: «Die Dinge anders zu machen, ist die Waffe des Kleinen, unsere einzige Chance.» (Quelle: Interview mit Martin Schmidt, Fussballtrainer, NZZ, 27.1.2026)
Das gedacht: Mein letzter Artikel befasste sich mich mit Bürokratie und Regulierung als Motivations-Killer. Jeder staatliche Eingriff, der die Unternehmerinnen und Unternehmer in ihrer Entscheidungsfreiheit einschränkt, beschädigt diese in ihrem Streben nach Unabhängigkeit, nach Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Politische Massnahmen, die aus Selbständigerwerbenden Befehlsempfänger machen, zerstören den Unternehmergeist.
Dies ist aber nicht alles. Negativ beeinflusst werden auch die Spielregeln einer funktionierenden Marktwirtschaft. Regulierung und Bürokratie spielen Grossunternehmen und der Konzernwirtschaft in die Hände. In zweifacher Hinsicht. Es geht um Kosten und um Handlungsfreiheit.
Abnehmende Durchschnittskosten
Skaleneffekte führen in grösseren Unternehmungen zu einer im Verhältnis tieferen administrativen Belastung. Die Durchschnittskosten nehmen mit der Grösse eines Unternehmens ab.
Schon vor Jahren zeigte eine durch das Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit in Auftrag gegebene Studie, dass in Kleinstunternehmen mit 1 – 9 Mitarbeitenden die administrativen Belastungen pro Kopf doppelt so viel kosten wie in Unternehmen mit 10 – 49 Angestellten. Erst recht gilt dieses Ungleichgewicht im Verhältnis zur Konzernwirtschaft. Regulierungskosten können bei grossen Unternehmen auf mehr Mitarbeitende verteilt werden und verschaffen diesen einen Kostenvorteil gegenüber kleineren und mittleren Unternehmen.
Was dies in der Praxis bedeutet, dokumentiert die aktuelle Raiffeisen-Immobilienstudie. Nur noch etwas mehr als jede zehnte neue Mietwohnung wird von privaten Bauherren geplant. Vor zwanzig Jahren war es noch jede fünfte. Neue Vorschriften, überbordende Bürokratie und steigende rechtliche Risiken schrecken immer mehr private Investoren vom Bauen ab.
Unfaire Wettbewerbsvorteile
Besonders stossend ist, dass Regulierungen, die auf das Fehlverhalten der Konzernwirtschaft zurückzuführen sind, diesen zu unfairen Wettbewerbsvorteilen verhelfen. Beispielhaft dafür die Bankenregulierung. Die Bankenkrise von 2007 und 2008 erschütterte die Finanzwelt. In der Schweiz musste die UBS vom Staat gerettet werden. Als angeblich systemrelevante Bank konnte und wollte man diese nicht fallen lassen.
Dies sollte sich nicht wiederholen. Weltweit wurde die Bankenregulierung verschärft. In der Schweiz hat sich die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA zu einem bürokratischen Apparat mit weit über 500 Mitarbeitenden entwickelt. Tagtäglich wird kommandiert, kontrolliert und korrigiert.
Den Preis für diese Regulierungsorgie zahlen die unabhängigen Vermögensverwalter, Versicherungsvermittler und kleineren Banken. Weit weniger Bauchweh verursacht die Finma-Bürokratie den grossen Bankinstituten mit ihren Heerscharen an Stabsstellen, Juristen und Compliance Officers. In dieses groteske Bild passt, dass der ganze administrative Overkill den Untergang der Credit Suisse nicht verhindern konnte.
Individuelle Lösungen
Entscheidend ist, dass der Drang zur Regulierung und Standardisierung nicht nur eine Sache der Politik ist. Vielmehr ist es die Wirtschaft selbst, die sich freiwillig dem Diktat von Zertifizierungen und Normen unterwirft. Standardisiert wird das Qualitätsmanagement, das Umweltmanagement, das Sicherheitsmanagement, die Gleichstellung, die Inklusion, das Gemeinwohl, die Nachhaltigkeit. Für alles gibt es Checklisten, Qualitätskontrollen, Berichte. Was nicht als ausformuliertes Konzept existiert, existiert nicht.
Eine Tatsache, die mich an meine allererste Sitzung als frischgewählter IHK-Direktor erinnert. Dabei ging es um eine Stiftung namens Pfiff. Diese wurde im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum Kantonsjubiläum 2003 gegründet und hatte zum Ziel, innovative und familienfreundliche kleinere und mittlere Unternehmen auszuzeichnen.
Bereits bei der zweiten Ausschreibung reichten nur noch sehr wenige Unternehmen ein Bewerbungsdossier ein. Seitens der Vertreterinnen und Vertreter der Verwaltung und der Banken im Stiftungsrat wurde dies als Ausdruck mangelnder Familienfreundlichkeit bei den kleineren und mittleren Unternehmen gedeutet. Diese Wahrnehmung war damals und ist heute noch falsch.
Kleinere Betriebe sind nicht weniger familienfreundlich als Grossunternehmen. Was jedoch fehlt, sind schriftlich formulierte Konzepte und Strategien. Man handelt im Einzelfall und setzt alles daran, individuelle Lösungen für spezifische Bedürfnisse zu finden. Im Mittelpunkt stehen die einzelnen Menschen und nicht Prozesse und Strukturen. Das Fehlen von Hochglanzprospekten, Powerpoint-Präsentationen, Qualitätszielen, Fachgremien und Denkwerkstätten bedeutet nicht weniger, sondern in vielen Fällen mehr mitmenschliches Engagement.
Geringer Formalisierungsgrad
Martin Schmidt, bis Mitte 2024 Sportdirektor des Fussballvereins Mainz 05, brachte es auf den Punkt. Die Kleinen haben nur dann Erfolg, wenn sie die Dinge anders machen als die Grossen. Dazu gehört der Verzicht auf bürokratische Strukturen und Prozesse. Die Geschäfte werden über den direkten Kontakt mit den Mitarbeitenden und den Kunden und mit einer ausgeprägten Handlungsorientierung gesteuert.
Der geringe Formalisierungsgrad ermöglicht die rasche Reaktion auf Veränderungen innerhalb und ausserhalb der Unternehmung. Produkte und Dienstleistungen werden individuell und nach den Wünschen der Kunden erstellt. Erfolgreiche kleinere und mittlere Unternehmen zeichnen sich durch ihre Anpassungsfähigkeit aus. Ihre Chancen liegen in der schnellen Umsetzung von neuen Ideen. Vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen lassen dies zu.
«Die» Wirtschaft gibt es nicht
Und exakt hier der liegt der Hund begraben. Die unternehmerische Handlungsfreiheit wird schrittweise eingeschränkt. Unsere Gesellschaft entwickelt sich in Richtung einer zentralgesteuerten Kommandowirtschaft. Max Horkheimer spricht von der Totalverwaltung der modernen Gesellschaft. Alles wird reglementiert und kontrolliert.
Dies nicht zuletzt als Ergebnis einer unheiligen Allianz von Staat und Konzernwirtschaft. Die grossen Strukturen in Staat und privater Wirtschaft verbindet das Denken in formalisierten Prozessen, Konzepten und Regeln. Sie sprechen die gleiche Sprache, sind Verwandte im Geiste.
Eine Tatsache, die uns in der Wirtschaftspolitik immer wieder einholt. Nur wenige Manager grosser Unternehmen sind bereit, sich persönlich für den privaten Sektor einzusetzen. Man übt sich in vornehmer Zurückhaltung, zeigt Verständnis für die andere Seite, akzeptiert jeden bürokratischen Unsinn, ist für jeden Kompromiss zu haben. Vorausgesetzt, die eigene geht Rechnung auf.
«Die» Wirtschaft gibt es nicht. Kleinere und mittlere Betriebe funktionieren anders als Grossunternehmen. Dabei geht es nicht darum, wer besser oder schlechter ist, effizienter oder unproduktiver, innovativer oder verschlafener ist. Entscheidend ist vielmehr, dass wir es mit unterschiedlichen Strukturen mit unterschiedlichen Spielregeln zu tun haben.
Eine Erkenntnis, die in erster Linie die Entscheidungsträger der kleineren und mittleren Unternehmen selbst in die Verantwortung nimmt. An ihnen liegt es, sich für Spielregeln einzusetzen, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Auch in diesem Zusammenhang gilt: Wer nicht politisiert, mit dem wird politisiert.
Quelle und Links: www.kurtweigelt.ch
Kurt Weigelt, geboren 1955 in St. Gallen, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Seine Dissertation verfasste er zu den Möglichkeiten einer staatlichen Parteienfinanzierung. Einzelhandels-Unternehmer und von 2007 bis 2018 Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell. Für Kurt Weigelt ist die Forderung nach Entstaatlichung die Antwort auf die politischen Herausforderungen der digitalen Gesellschaft.
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