Wenn niemand weiss, wie es weitergehen soll, blühen die Phrasen. Dagegen hilft manchmal nur Sarkasmus. Mark Twain sagte es so: «Als wir das Ziel endgültig aus den Augen verloren, verdoppelten wir unsere Anstrengungen.»
Diese Woche stehen wir ja höchstwahrscheinlich, was die C-Frage betrifft, an einem entscheidenden Wendepunkt. Das Verb «stehen» ist nicht zufällig gewählt: Die Behörden stehen, Gewehr bei Fuss, und wollen erst nächste Woche über weitere Massnahmen entscheiden. Über deren Wirksamkeit bereits heute gestritten wird.
Alles nach dem bekannten altösterreichischen Motto also: Es muss etwas geschehen. Aber es darf nichts passieren. Derweil die Infektionszahlen durch die Decke schiessen. Müsste diese Woche ein Label bekommen, dann wäre es wohl: die Woche des rasenden Stillstands.
Diejenigen, die nun entscheiden müssen, was als nächstes getan werden muss, sind nicht zu beneiden. Sie müssen versuchen, einer Gefahr – nein: einer Vielzahl von Gefahren – zu begegnen, die sich immer noch schwer abschätzen lässt. Ist aber die Diagnose ungenau, so ist die Therapie Glückssache. Gewisse Kritiker werfen den Verantwortlichen genau diese Ungenauigkeit der Diagnose vor. Das aber ist nicht redlich, weil es eben nicht einfach die Schuld der Verantwortlichen und deren wissenschaftlichen Ratgebern ist. Sondern in der Sache selbst liegt.
Klar, Kritik an den getroffenen – und nicht getroffenen – Massnahmen zu üben ist sinnvoll. Und geschieht ja zurzeit in nicht allzu knappem Ausmass. Sinnvoll ist diese Kritik vor allem dort, wo sie zu einer Verbesserung der Konzepte, der Strategie führt, innerhalb deren diese Massnahmen ergriffen werden. Gerade weil es sich ja um Massnahmen auf ganz verschiedenen Feldern der Gesellschaft und der Wirtschaft handelt, deren Interessen sich oft diametral gegenüberstehen. Man nennt das konstruktive Kritik. Davon ist heute allerdings nicht allzu viel zu sehen.
Gerade die schärfsten Kritiker der Behörden müssen sich deshalb in einer solchen Situation auch einmal die Frage gefallen lassen: Was würden denn Sie entscheiden, wenn Sie zu entscheiden hätten? Und wie würden Sie diesen Entscheid an der nächsten Medienkonferenz begründen?
Zwischen dem angemessenen Respekt und der Furcht vor einer Gefahr zu navigieren ist die heikle Aufgabe der politisch Verantwortlichen. Nicht nur der Verantwortlichen im Staat, sondern auch in Wissenschaft, Gesellschaft und in den Medien. Wer die Gefahr als schwarzes Monstrum an die Wand malt, vor dem es kein Entrinnen gibt, schürt irrationale Panikreaktionen. Wer andrerseits die Gefahr permanent kleinredet, oder wer sie gar nur als Instrument finsterer Kräfte darstellt, welche die Macht im Staat ergreifen wollen, der riskiert, die Bevölkerung unnötigen, womöglich tödlichen Risiken auszusetzen. Wer dies tut, sollte sich später nicht damit herausreden dürfen, er habe damals keine Verantwortung getragen.
Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.
1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.
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