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Kunstaktion der Gebrüder Riklin

Die «zehn Gebote» müssen weg: Zürcher sprechen Räumungsbefehl aus

Knapp zwei Wochen nach der illegalen Versenkung der zehn Sandsteinplatten im Zürcher Schanzengraben hat die Stadt Zürich einen Räumungsbefehl für die «Zehn Gebote Vol. 2» ausgesprochen. Nun brauchen diese einen neuen Platz.

Die Ostschweiz am 23. Juli 2020

Die rund eine Tonne wiegende Kunstinstallation auf dem Grund des Gewässers muss wieder raus. Die Räumung muss bis spätestens am 15. August erfolgt sein. Das schreibt das St.Galler «Atelier für Sonderaufgaben» in einer Mitteilung. Nun suchen die Konzeptkünstler Frank und Patrik Riklin in Komplizenschaft mit dem digitalen Marktplatz Fyooz ein Kunstasyl für ihre Kunstinstallation.

Ziel sei es, dass die neuen Zehn Gebote im öffentlichen Raum erhalten bleiben, heisst es weiter. Die Riklins haben das artonomische Werk vorsätzlich ausgesetzt – an der Schnittstelle zwischen Kunst und Ökonomie. Wie die Gesellschaft damit umgeht, sei Teil des Konzepts.

Es ist ungewiss, wie die Reise der ‘Zehn Gebote Vol. 2’ weitergeht: Ursprünglich in St.Gallen vor dem Kloster öffentlich gemeisselt und versenkt im Zürcher Schanzengraben, wird das Werk nun einer öffentlichen «Prüfung» ausgeliefert. Es wird sich zeigen, ob die neuen Gebote in der Gesellschaft Fuss fassen oder nicht. «Uns war klar, dass wir mit einem Räumungsbefehl konfrontiert werden», so die Riklin-Brüder. Dass die Aktion von der Stadt Zürich als Werbeaktion verstanden wird, enttäuscht die Künstler. Gleichzeitig hätten sie aber auch Verständnis dafür, weil das artonomische Handeln im öffentlichen Raum als Kunstform noch nicht etabliert sei.

Räumung zugunsten Gewässerschutz

Das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft hat verfügt, dass die «Zehn Gebote Vol. 2», das Kunstwerk der Riklin-Brüder, das am 9. Juli gemeinsam und in Komplizenschaft mit dem Blockchain-Startup Fyooz im Schanzengraben versenkt worden war, aus demselben wieder entfernt werden muss. Die Vorschriften des Gewässerschutzgesetzes verlangen eine Entfernung. Nach Art. 37 ist es grundsätzlich verboten, Fliessgewässer zu verbauen. Eine nachträgliche Bewilligung sei ausgeschlossen.

Schicksal der Steine der Gesellschaft überlassen

Nun suchen die «Zehn Gebote Vol. 2» Kunstasyl im öffentlichen Raum. Es gehöre zum Konzept der artonomischen Zusammenarbeit zwischen den Riklins und Fyooz, dass die Gesellschaft darüber befinden soll, wohin das Kunstwerk kommt, nachdem es aus dem Schanzengraben ausgehoben wird. «Nicht wir entscheiden, wo der zukünftige Ort der Sandstein-Tafeln sein wird, sondern Menschen, die sich mit dem Werk identifizieren», so Florian Kohler, Co-Founder von Fyooz. «Im schlimmsten Fall werden unsere Zehn Gebote fachgerecht entsorgt», ergänzen die Riklins.

Öffentlicher Aufruf für Kunstasyl

Ein Kunstwerk sucht ein neues Zuhause: Die Öffentlichkeit wird aufgerufen, Ideen zur Gewährung von Kunstasyl für die «Zehn Gebote Vol. 2» mitzuteilen, wo das Kunstwerk künftig stehen resp. ausgestellt werden könnte. Der Zugang zum Kunstwerk muss zwingend öffentlich sein. Besitzen kann man das Werk nicht. Ideen werden hier gesammelt. Je nach Rückfluss entscheidet eine Online-Abstimmung über den Ort der neuen Heimat der «Zehn Gebote Vol. 2».

?Werte-Experiment

Die neuen «Zehn Gebote Vol. 2» der Riklin-Brüder stellen ein Kondensat der Künstlererfahrungen dar und sind Teil eines Werte-Experiments. Ziel der Aktion ist es, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was für ein Gewicht die Gesellschaft neu formulierten Werten zumisst, die in Zeiten des Wertewandels öffentlich zum Diskurs gestellt werden. Und ob sich die Bereitschaft der Gesellschaft, einen Wertewandel zu vollziehen, auch pekuniär messen lässt. Denn, so die These, wer zweckungebunden in Werte investiert, verlangt wertebasiertes Handeln auch in allen anderen Bereichen des Lebens. Um die Bereitschaft zum Wertewandel messen zu können, kann in die Gebote investiert werden. Das investierte Geld wird ausschliesslich für artonomische Aktionen zur Wertediskussion verwendet.

Was bisher geschah

Vom 22. Juni bis 3. Juli fand die öffentliche Meisselung vor dem Kloster St. Gallen statt. Die St.Galler Konzept- und Aktionskünstler Frank und Patrik Riklin schlugen ihre Meissel auf zehn Sandsteinblöcke und schrieben die «Zehn Gebote Vol.2» für die Gesellschaft der Zukunft. Am 9. Juli wurden die zehn Sandsteinplatten mit zehn neuen Geboten in Steinwurfnähe des Zürcher Paradeplatzes, in einem unbewilligten Akt öffentlich ausgesetzt und der Gesellschaft überlassen, als ‘Talking Piece’ zugunsten von wertebasiertem Wirtschaften und Handeln. In artonomischer Komplizenschaft mit Fyooz rütteln die Riklin-Brüder am System der Wirtschaft und bearbeiten das Potential zwischen Kunst und Ökonomie. Es geht um Sinnorientierung, Haltung und Demokratisierung.

Die Kunstaktion findet an der Schnittstelle zwischen Kunst, Wirtschaft, Philosophie und Religion statt und versteht sich als sinnhafter «Kompass für die Gesellschaft der Zukunft». Sie soll den kontemplativen Assoziationsraum für individuelle Gedanken, Dialoge und Handlungen nachhaltig provozieren. «Zehn Gebote Vol. 2» ist eine Art gesellschaftliches Senselifting zugunsten einer neuen, zeitgenössischen Kompatibilität zur heutigen Realität der Welt – mit neuen Geboten, die zur Selbstreflexion appellieren und inspirieren. Die Riklins schweigen in Bezug zur Interpretation der neuen Gebote.

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