logo

Wie soll St.Gallen aussehen?

Dieser Mann will die Stadt St.Gallen begrünen

Muss eine Stadt kahl, kalt, nüchtern und versiegelt sein? Bedeutet Urbanität, dass Grün verbannt wird? Ein Mann aus Dornbirn mag das nicht glauben. Und er legt radikale Vorschläge vor, wie sich St.Gallen neu erfinden könnte.

Stefan Millius am 10. Juni 2020

Bei diesem Text handelt es sich um einen Auszug aus dem Print-Magazin von «Die Ostschweiz». Es kann via abo@dieostschweiz.ch bestellt werden.

Weitere Bilder finden Sie hier.

Er nennt sich «die Stimme der Bäume», und man erwartet unwillkürlich, nun auf einen fundamentalistischen Grünen zu treffen, der aus einem Wirtschaftsstandort einen botanischen Garten machen will. Aber Conrad Amber straft Klischees Lügen. Der Buchautor, Berater und Vortragsreisende wuchs zwar naturnah auf, machte mit der Kamera Jagd auf alte Baumbestände, veröffentlichte sein erstes Buch «Baumwelten». Aber er war auch in der «anderen» Welt zuhause. Er war Unternehmer, baute zwei Firmen auf, beriet Unternehmen. Tätigkeiten, die ihn durch ganz Europa führten. Und was er dort sah, war der Beginn seiner zweiten Karriere.

«Als ich von Stadt zu Stadt reiste, begann ich, die Landschaften gezielt zu betrachten. Ich verglich, wie die Bevölkerung mit den Schätzen aus der Vergangenheit umgeht. Und ich habe gemerkt: Je nach Region gibt es grosse Unterschiede darin, wie die Menschen mit der Natur leben. An manchen Orten wird nur betoniert und aufgeräumt, es herrscht quasi Ordnung. Andernorts lässt man der natürlichen Unordnung ihren Platz – der Natur.»

Das war für Amber Ansporn für sein zweites Buch. Der Titel «Bäume auf die Dächer, Wälder in die Stadt» war Programm. Der Österreicher zeigt darin, wie man es auch in Städten schafft, in enger Verbindung mit der Natur zu leben. Wie begrünt man eine Fassade richtig und ohne Folgeschäden, wie behandelt man entsiegelte Flächen? Über 100 Vorträge im deutschsprachigen Raum hat er dazu bereits gehalten. Und das Interesse daran wächst, weil Ambers Thema derzeit brandaktuell ist.

«Was wir mit unseren Städten machen, mag wirtschaftlich berechtigt sein, aber es ist ungesund. Es tut uns nicht gut. Wir entfernen uns dramatisch von der Natur, wir drängen sie zurück. Man kann übrigens wissenschaftlich belegen, wie unser Körper unterschiedlich reagiert, wenn wir eine halbe Stunde durch eine Betonwüste oder durch einen Wald spazieren.»

Die Folgen, sagt Conrad Amber, seien drastisch. Wir seien laufend noch mehr gestresst, noch kränker, und die Folge sei: Noch mehr Medizin, noch mehr Therapien. Die richtige Antwort wäre es für ihn stattdessen, zurück zu rudern, uns mit der Natur zu versöhnen, sie zuzulassen. In den letzten 15 Jahren seien viele urbane Flächen systematisch versiegelt und geordnet worden, fantasielos und manchmal sogar menschenfeindlich.

Dass Conrad Amber auf seiner Suche auf St.Gallen stiess, hat einen einfachen Grund. Für den Vorarlberger ist es die nächstgelegene grössere Stadt. Als er hier unterwegs war, fiel ihm auf, wie stark sich die innerstädtische Atmosphäre verändert hat als Resultat der Städteplanung. Es gebe herrliche Fassaden und Gaststuben, manche davon seien Jahrhunderte alt. Die Struktur sei also da, aber die St.Galler Innenstadt sei dennoch unattraktiv geworden.

Conrad Amber

«Die Strassenzüge der Altstadt sind herrlich angelegt, aber da muss mehr Romantik rein, man muss sie mit natürlicher Ästhetik versehen. Dann verweilt man auch lieber beim Einkaufen. Oder die Platzlösung rund ums Kloster: Eine Rasenfläche mit Steinböden. Verzeihung, aber das ist banal gelöst, das Einfallsloseste, das man machen kann.»

Hier die Stadt, dort das Land. Hier urbanes Lebensgefühl, dort Naherholungszone. Von solchen Einteilungen hält Conrad Amber nicht. Man könne von der Stadtbevölkerung doch nicht verlangen, dass sie immer auf Reisen gehen muss, um Natur zu spüren, längst nicht alle Menschen seien zudem mobil. Deshalb brauche es einen Ausgleich in der Stadt, urban heisse nicht, dass man jeden Quadratmeter versiegeln müsse, das sei eine Fehlinterpretation. Man könne Natur zulassen und dennoch eine moderne Stadt sein.

«In St.Gallen ist mir das sehr stark aufgefallen, diese Ordnungsliebe oder vielleicht eher Ordnungswut, der Wunsch nach Sauberkeit und Übersicht. Als mittelgrosse Stadt sieht sich St.Gallen als Konkurrenz zu grossen Städten wie Luzern, Bern oder Basel, und man hat wohl das Gefühl: Je städtischer wir aussehen, desto eher werden wir als richtige Stadt anerkannt. Aber sagen Sie mir, wer definiert eigentlich, was wirklich städtisch ist und was nicht?»

Conrad Amber ist Realist aus Erfahrung. Er weiss, dass seine Visualisierungen bei vielen gut ankommen, doch den Aufwand der Umsetzung scheut man. Es ist ein mühsamer Prozess, die eingefahrenen Denkmuster und Strukturen zu durchbrechen. Am ehesten, ist er überzeugt, gelingt das mit Vorbildprojekten. In Hohenems wurde Amber mandatiert als Berater für die Begrünung von Gebäuden. Privaten und gewerblichen Bauherren zeigt er, wie sie ihr Haus zur Naturoase machen können, wer solche Arbeiten ausführt, was es kostet. Die Stadt Hohenems übernimmt die Beratungskosten. Es ist eine Art Einstiegshilfe. Eine, die laut Amber nötig ist.

«Private oder Firmen können die Vorreiterrolle übernehmen. Aber die Behörden müssen die Rahmenbedingungen schaffen. Zum einen, indem sie offen sind für die Entwicklung. Und dann, indem sie vorhandene Regelungen abschwächen oder ausser Kraft setzen. Die Bürger sind oft bereit, etwas zu verändern, aber man muss sie unterstützen. Sobald erste Projekte umgesetzt sind, sehen andere, dass es funktioniert und wollen das auch. Dann ist der Prozess in Gang gesetzt.»

In St.Gallen stand Amber in Kontakt mit diversen Stellen und Personen. Beispielsweise bei Vertretern herausragender Gebäude, beim Naturschutzverein, bei einzelnen Politikern. Im nächsten Juli ist er als Vortragender ins Naturmuseum eingeladen. Ein zarter Anfang. Denn von entscheidenden Stellen wie dem städtischen Bauamt hat er auf seine Offensive hin keine Reaktion erhalten. Auch wenn er sich das jeweils anders erhofft: Frust kommt für ihn dadurch nicht auf.

«Ich möchte einfach einen Anstoss geben und freue mich, wenn es irgendwo vorwärts geht, ich zwinge niemanden. Sehen Sie, neben meiner idealistischen Tätigkeit bin ich wie jeder andere auch von einem Einkommen abhängig. Das heisst, dort, wo man mich haben möchte, da gehe ich auch hin. Letztlich geht es um die Lebensqualität der Menschen, die in einer Stadt leben, dort Steuern zahlen und alt werden möchten. Daraus ergibt sich auch eine Anforderung an die Verantwortlichen.»

Highlights

Autor Dani Egger

Schicksale im Zweiten Weltkrieg: Dieser Ostschweizer hat ihnen ein ganzes Buch gewidmet

am 17. Apr 2024
Rechtsextremismus

Nazi-Konzert im Toggenburg: Die organisierte Kriminalität mischte mit

am 13. Apr 2024
EGMR-Rüge für die Schweiz

«Klimaseniorinnen» spielen ein unehrliches Spiel

am 12. Apr 2024
Zweiter Wahlgang in St.Gallen

Angriff der SVP gescheitert: Bettina Surber (SP) und Christof Hartmann (SVP) ziehen in die St.Galler Regierung ein

am 14. Apr 2024
St.Galler Regierungsratswahlen

Bettina Surber liefert 98 Prozent und zeigt damit der SVP, wie es geht

am 14. Apr 2024
Schwierige Kindheit

Mutiger Blick zurück: Wie Peter Gross seine Vergangenheit in einem Buch verarbeitet und damit auf Missstände der IV aufmerksam machen möchte

am 18. Apr 2024
«Meister im Verdrängen»

Musiker Kuno Schedler: «Ich wollte eigentlich Chef der Brauerei Schützengarten werden»

am 12. Apr 2024
Die Schweiz am Abgrund?

SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel: «Zunehmend schwierige Zeiten. Die Lösung? Weniger Staat!»

am 15. Apr 2024
Die Schweiz am Abgrund?

Mitte-Nationalrat Nicolo Paganini: «Wir haben immer mehr Stress für höchstens gleich viel im Portemonnaie»

am 12. Apr 2024
Die Schweiz am Abgrund?

SVP-Nationalrat Pascal Schmid: «Wir müssen den Kurs rasch ändern»

am 16. Apr 2024
Appenzell Ausserrhoden zieht positive Bilanz

So etwas gab es noch nie: Wegen Windböen konnte der Böögg am Sechseläuten nicht angezündet werden – Nun ist Appenzell am Zug

am 16. Apr 2024
René Steiner, Präsident der ASTAG Ostschweiz

Weshalb es den klassischen «rauhen» Fuhrhalter von früher nicht mehr gibt

am 15. Apr 2024
Bestes Restaurant

1112 Google-Rezensionen sprechen für sich: Das griechische Restaurant Greco in St.Gallen wird mit einem Award ausgezeichnet

am 14. Apr 2024
Da stimmt was nicht

«Bericht zur sozialen Ungleichheit 2024»: Eine Nichtregierungsorganisation rechnet sich ins Nirvana

am 16. Apr 2024
Gastkommentar

Schulden der USA explodieren – können Aktien und Bitcoin davon profitieren?

am 17. Apr 2024
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.