Kürzlich durfte ich am Rheinhof, unserem regionalen landwirtschaftlichen Ausbildungszentrum einen Vortrag zum Thema ‘Züchtung und Diversität’ halten.
Der Vortrag war kurz, ca. 25 Minuten, dennoch masslos überzogen (da ich nur 15 Minuten hatte), die schriftliche Fassung hier im Newsletter ist wieder viel zu lang.
Deshalb hier die Kurzfassung: Auf den ersten Blick scheint das Thema ja kinderleicht. Züchtung bringt neue Sorten, also ist Sie per se ein Beitrag zur Diversität, die sowieso alle lieben. Alles palletti, alle glücklich. Ende gut, alles gut.
Bei genauerem Hinsehen stellt sich die Sachlage aber ganz anders dar: Züchtung bedeutet Auswahl und Reduktion, sie ist also genaugenommen so ziemlich das Gegenteil von Diversität. Dies wird verstärkt durch die Mechanismen der agroindustriellen Produktion und des Markts: Mehr vom Gleichen ist da immer besser.
Und schliesslich passen auch die neuen Züchtungstechnologien ins Bild, die nochmals Varianten des Gleichen produzieren. Ja, die gehypten Methoden der Gentechnologie und von Crispr-Cas sind letztlich nur Mutationszüchtungsmethoden und produzieren weit weniger Diversität als der gute alte Pflanzensex (männlicher Pollen keimt auf die weibliche Narbe, jeder Same ist ein neues Individuum).
Und schaut man sich um, so muss man feststellen, dass der Mensch Diversität ziemlich genau in dem Masse verabscheut, wie er das Konzept lobt. Warum treffen wir uns so gerne mit Unseresgleichen? Und erst bei den Pflanzen: Der Staat verbietet einwandernde erfolgreiche Pflanzen, wir kultivieren nur eine handvoll wichtiger Kultur und Nahrungspflanzen – und lassen den ganzen Rest von 95% der mögliches essbaren Kulturpflanzen links liegen, so als könnten wir uns das leisten
Natürlich vermuten Sie schon, was ich jetzt sagen werde: Im Garten verhalten wir uns ähnlich. Wir wollen Ordnung, im Zweifelsfalle eher mehr vom Gleichen und schon Erfolgreichen als Durcheinander und Mischmasch. Und wir jäten, als ginge es ums Überleben. (Ja ja, nur keine Angst, ich auch!) Nur dass Durcheinander und Mischmasch eigentlich ganz gut wären…
Irgendwie haben wir Angst, dass uns die Diversität über den Kopf wächst:
Diversität macht Angst. Als ich während meines Studiums mit der Baumschule anfing, da hatte ich regelmässig einen Alptraum, der mich ca. 10 Jahre verfolgte: Ich hatte eine virtuelle Alptraum-Baumschule, aber nicht die, die ich wirklich hatte. Und alles lief aus dem Ruder. Die Bäume wuchsen durchs Plastiktunnel, die Pflanzen waren nicht mehr angeschrieben, ich wusste nicht mehr, was ich hatte und nicht hatte. Irgendwann konnte man die Baumschule nicht mehr betreten und sie wurde (so meine ich mich zu erinnern) – zu verbotenem Gelände erklärt.
Kontrollverlust.
Das war wie gesagt ein Traum, eher ein Alptraum. Ich hoffe inständig, dass ihn meine Betriebsleiter nicht auch haben müssen?. Aber er zeigt auch, dass wir mit Vielheit und Diversität, mit der urtümlichen Kraft der Pflanzen nur schwer umgehen können. Die gleiche Kraft, und umgekehrt die gleiche menschliche Angst steht vielleicht auch hinter der Angst der Gesellschaft vor neuen, einwandernden erfolgreichen Pflanzen: Sie könnten überhandnehmen, alles auffressen, nichts mehr übriglassen…
Aber bevor ich jetzt zum Invasivenjäger-Versteher mutiere, möchte ich doch die finale Kurve kriegen und …nochmals vom Garten reden.
Lassen Sie so viel wie möglich Unordnung zu, gerade so viel, wie sie gerade noch aushalten. Mischen Sie die Pflanzen, je mehr desto besser, gern auch mit akkuratem Plan. Ich verspreche Ihnen gute Träume. Auch im Paradies stehen ja Pflanzen, die wir im Sortiment führen…
Gärtnern Sie weiter!
Markus Kobelt
Markus Kobelt ist Gründer und zusammen mit seiner Frau Magda Kobelt Besitzer von Lubera.
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