In diesem Jahr feiern die reformierten Kirchen der Schweiz ein Jubiläum: 500 Jahre Reformation. Ist dieser Festtag auch etwas für Katholiken? Oder: Was hat die Reformation der katholischen Kirche gebracht?
In diesem Jahr feiern die reformierten Kirchen der Schweiz ein Jubiläum: 500 Jahre Reformation. Es ist ein Jubiläum in einem schwierigen Umfeld: Der Anteil der Reformierten in der Schweizer Bevölkerung und die religiöse Verbindlichkeit überhaupt sind in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen.
Die reformierten Kirchen feiern 500 Jahre Reformation, und als Katholik habe ich mich gefragt: Was gibt es da zu feiern? Was kann ich als Katholik mitnehmen aus diesem Jubiläumsjahr? Was hat die Reformation der katholischen Kirche gebracht?
Dazu einige Gedanken.
Erwarten Sie von mir kein heisses Plädoyer für die Ökumene. Da müsste ich Sie enttäuschen. Ich bin von Herzen gern katholisch, und ich würde – wäre ich reformiert – einige Dinge sehr vermissen. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht auch vieles in den reformierten Kirche sehr schätze. Wie die Reformation und die reformierten Kirchen meine Kirche weitergebracht und bereichert haben, darüber möchte ich ja nachdenken. Für mich ist keine Frage, dass unser gemeinsames christliches Zeugnis –
im Beten und im Tun des Gerechten – wichtig ist. Die Welt braucht dieses Zeugnis. Aber dieses Zeugnis ist farblos, wenn wir es auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduzieren.
Die Reformation – eine Katastrophe
Was hat die Reformation der katholischen Kirche gebracht?
Wenn wir so fragen, gehen wir schon davon aus, dass die Reformation nicht nur eine Katastrophe war. Aber das war sie zuerst einmal: eine Katastrophe. Das christliche Abendland spaltet sich auf; die Religion – beziehungsweise die Konfession – wird zum Anlass für Kriege ohne Ende, Kriege, die Europa fast aufreiben, ganze Landstriche verwüsten und unzählige Menschenleben kosten. Die Bilderstürmerei der Reformatoren hat unschätzbare Kulturgüter für immer vernichtet. Allein in St.Gallen werden vierzig Wagenladungen an liturgischen Geräten und religiösen Bildern aus dem Kloster weggeführt. Religiöses Leben wird gewaltsam unterdrückt; Klostergemeinschaften, wo Menschen sich aus eigenem Entschluss zu einem christlichen Leben zusammengeschlossen haben, werden aufgelöst oder vertrieben. Die Reformatoren ruhen nicht, bis auch die letzte Heilige Messe in ihrem Einflussgebiet abgeschafft ist, gilt das doch als ein Kriterium dafür, dass die Reformation ans Ziel gekommen ist. Die katholische Kirche – auch nicht faul – verurteilt, exkommuniziert, verbrennt, rädert, hängt – als könnte sie so den wahren Glauben retten. Europa spaltet sich, teilt sich auf in evangelisch-reformierte und katholische Landen. Noch die harmloseste Variante davon ist, dass es nun plötzlich katholische und reformierte Bäcker und Metzger gibt, und wer beim je anderen einkaufen geht, überschreitet eine unsichtbare Demarkationslinie.
Jonathan Swift, Schriftsteller und Priester der anglikanischen Kirche, Dean von Saint Patrick in Dublin bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „We have just enough religion to make us hate, but not enough to make us love one another.“ Wir haben gerade genug Religion, dass wir einander hassen, aber nicht genug, dass wir einander lieben.
Die Konfessionalisierung des Glaubenslebens führt zu Verengungen auf beiden Seiten. Man muss sich profilieren und abgrenzen. Die Kelchkommunion wird zu etwas typisch Reformiertem, obwohl es den Laienkelch vor der Reformation auch in der katholischen Kirche gab. Rituale, Kerzen, Weihrauch sind bei den Reformierten tabu, weil es zu katholisch ist.
Die Reformation war zuerst einmal eine Katastrophe. Sie hat – prima vista – dem christlichen Zeugnis einen Bärendienst erwiesen. Sie ist kein Ruhmesblatt der Geschichte – weder für die einen noch für die anderen.
In der Serie über die Reformation hinterfragt Dompfarrer Beat Grögli im nächsten Teil: Was hat die Reformation der katholischen Kirche gebracht?
Beat Grögli (*1970) ist Dompfarrer in St.Gallen
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