Der St.Galler SVP-Kantonsrat Karl Güntzel macht mit einer homophoben Entgleisung von sich reden. Zufall ist das keiner.
Die sexuelle Orientierung von Politikern sollte bei der Debatte eines Geschäfts keine Rolle spielen. Im Zusammenhang mit einer familienpolitischen Vorlage tat sie es im St.Galler Kantonsrat plötzlich doch. Karl Güntzel (SVP) suggerierte, der zuständige Regierungsrat Martin Klöti (FDP) verstehe von dem Thema nichts; Klöti lebt in Partnerschaft mit einem Mann.
Die Äusserung von Güntzel kam nicht gut an, und das über Parteigrenzen hinweg. Inzwischen hat er sich für seine Äusserung entschuldigt. Allerdings: Wäre nicht bekannt geworden, wer sich zu der diskriminierenden Aussage hinreissen liess, hätte wohl ein Gros der Parlamentarier blind auf Güntzel getippt.
Denn der Anwalt aus St.Gallen ist bekannt dafür, dass er bei der Frage «Florett oder Zweihänder» lieber gleich zur Streitaxt greift. Ein Diplomat ist er definitiv keiner, und er spricht das aus, was andere nicht mal zu denken wagen. Oder anders gesagt: Er provoziert kaum ohne Kalkül.
Das hat ihm viele Feinde geschaffen - aber offenbar auch Freunde. Denn Güntzel hat durchaus seinen Einfluss, vor allem auf städtischer Ebene. Als langjähriger Geschäftsführer des Hauseigentümerverbands des Kantons St.Gallen hat er sich sein Netzwerk beizeiten aufgebaut. Zudem war er viele Jahre als Sportfunktionär aktiv, auch das eine Basis, die bei Wahlen unschätzbar ist.
Gleichzeitig hat ihm seine ruppige Art auch stets den nächsten grösseren Schritt verwehrt. 2004 bliebt ihm der Sprung in den Stadtrat versagt. Ob er in einem Regierungskollektiv glücklich geworden wäre, ist allerdings ohnehin fraglich.
Und auch seine Ambitionen zum vollamtlichen Richter am Verwaltungsgericht St.Gallen waren ergebnislos. Damals wurde offensichtlich, dass seine Heimfront bröckelt. St.Galler Anwaltskollegen riefen öffentlich dazu auf, Güntzel nicht zu wählen. Das war ein Novum.
Dass man sich bei einer Auswahl für einen Kandidaten ausspricht, ist Alltag, dass einem Berufskollegen aber in Leserbriefen schlicht die Fähigkeit als Richter abgesprochen wird, zeigt: Der scheinbar Unangreifbare ist angreifbar geworden. Güntzel war bis vor wenigen Jahren hauptberuflich Funktionär und Politiker. Sein Wechsel zum selbständigen Anwalt erfolgte spät, und in der Branche scheint man nicht von seinen Qualitäten überzeugt.
Die damalige Kritik aus Anwaltskreisen war wohl ausschlaggebend für die Wahlniederlage. Nur die SVP stellte sich hinter ihren Mann. Die anderen Fraktionen hatten die Möglichkeit, mit dem Verweis auf die lauten Zweifel an der Eignung den Gegenkandidaten zu wählen - sie mussten dazu nicht einmal politische oder Stilgründe bemühen.
Der jüngste Vorfall hat vermutlich vor allem parteiinterne Auswirkungen. Der SVP-Fraktionschef Michael Götte pflegt einen ganz anderen Stil als Güntzel. Götte dürfte die Entgleisung besonders sauer aufgestossen sein. Und es ist zu bezweifeln, dass Güntzel fraktionsintern schon bald wieder ans Mikrofon geschickt wird. Die Gefahr, selbst eine aussichtsreiche Vorlage zu verlieren, nur weil «der Falsche» spricht, ist zu gross.
Die Krux der SVP: Die Erfahrung von Güntzel, der sein halbes Leben in der Politik verbracht hat, ist unstrittig. Und gerade in der SVP, die nach vielen Wahlgewinnen tendenziell viele «Neue» in der Fraktion hat, ist diese wichtig. Möglich also, dass der Haudegen hinter den Kulissen gefragt wird, auf der Bühne aber eine Auszeit nehmen muss.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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