Vermutlich erstmals in der Geschichte des Landes wird man künftig mit einem speziellen Zertifikat seinen «Status» belegen müssen, um Teil des gesellschaftlichen Lebens zu sein. Die Kantone sind zuständig für die Ausstellung des Covid-Zertifikates. Dort kann man es offenbar kaum erwarten.
Der Kanton Appenzell Ausserrhoden gehört nicht zu den mitteilsamsten. Man kommuniziert, was man muss. Ausser, seit Corona herrscht. Da hat der Kanton seine Lust an der offensiven Information gefunden. «Ausserrhoden wird Covid-Zertifikate so schnell als möglich ausstellen», heisst es frenetisch in einer Medienmitteilung vom Freitag.
Es klingt, als stünde man im Wettbewerb mit den anderen 25 Kantonen, wenn es darum geht, dem Bundesrat die Kooperationsbereitschaft zu vermitteln.
Der Hintergrund: Der Bundesrat diktiert zwar die Notwendigkeit und die Funktion des Covid-Zertifikats, ausgestellt wird es aber von den Kantonen. «Die Covid-Zertifikate erfüllen die Ansprüche des Datenschutzes und können zur Voraussetzung für Reisen oder den Besuch von Veranstaltungen werden», schreiben die Ausserrhoder in aller Unschuld. Das, während Veranstalter bereits reihenweise in vorauseilendem Gehorsam bekanntgegeben haben, dass es ohne Nachweis in digitaler oder Papierform bei ihnen keinen Einlass geben wird. Man will ja auf der sicheren Seite sein.
Unfreiwillig humoristisch wird die Ausserrhoder Kantonskanzlei, wenn sie schreibt: «Das Zertifikat ist kostenlos und das Ausstellen freiwillig.» Wirklich gönnerhaft, dass man für den Ausweis, der den Beginn einer Zwei-Klassen-Gesellschaft und einen Hauch von Apartheid markiert, als Bürger nichts bezahlen muss. Und der Hinweis auf die Freiwilligkeit ist nicht weniger bühnenreif. Freiwillig ist das Ganze nur für alle Leute, die ausser arbeiten und Steuern zahlen kaum mehr etwas tun wollen.
Aber eben, der kleine Kanton macht sich diese Gedanken nicht, sondern wittert offenbar die Chance, sich zum Liebkind der Landesregierung zu mausern. «Appenzell Ausserrhoden ist vorbereitet, die Covid-Zertifikate umgehend auszufertigen, sobald die dafür nötigen Vorarbeiten durch den Bund erfolgt sind. Ab Mitte Juni 2021 können die Zertifikate online bestellt werden.»
Monsieur Berset wird sich darüber freuen, wie gut das föderalistische System in seinem Sinn spielt. Die Angst vor einem Wildwuchs, vor aufmuckenden Kantonen, vor lästigen Fragen, sie ist überflüssig. Es herrscht Demut nach oben. Wir belächeln zentralistische Staaten wie Frankreich gerne, aber im Ernstfall gibt es da keinen Unterschied.
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Wirkich erschreckend ist, in welcher Gelassenheit die Informationen vermittelt werden. «In der 'COVID Certificate'-App können Inhaberinnen und Inhaber ihr Covid-Zertifikat digital mitführen und vorweisen.» Das klingt praktisch. Vor allem in Verbindung mit dem Wort «können». Irgendwann werden sie müssen, um Kultur zu geniessen, Teile der Gastronomie, um das Land verlassen zu dürfen. Und niemand merkt, wie ungeheuerlich es ist, ein Zertifikat mit sich mittragen zu müssen, um das tun zu dürfen, was vor 2020 ganz normal war.
Können ist das neue Müssen. Aber auch hier gibt es eine gute Nachricht: «Die entsprechenden Apps werden in den offiziellen App Stores von Google und Apple kostenlos zur Verfügung stehen.» Wahnsinn, diese Grosszügigkeit. Die Spaltung der Gesellschaft ist zum Nulltarif zu haben. Es ist ja wirklich selten, dass der Staat etwas gratis abgibt.
Wendungen wie «Zertifikat für Geimpfte» tauchen in der Medienmitteilung so nebenbei auf, als hätte man gerade die Verbreiterung einer Kantonsstrasse verkündet, völlig selbstverständlich. Alles konzentriert sich auf den technischen Ablauf der Dinge. Wie man sich via Web registriert, ein SMS erhält, daraufhin bestätigt, dass man ein Impfzertifikat wünscht – und dann schon bald zum auserwählten Teil der Gesellschaft gehört.
Oder dann das «Zertifikat für Getestete». Im Jahr 2021 nach Christus gibt es bekanntlich keine gesunden Menschen mehr. Gesundheit definiert sich dadurch, eine Krankheit durchgemacht zu haben, bei der der überwiegende Teil der Leute nicht einmal mitkriegt, wenn sie sie bereits gehabt haben. Das alles wird fein säuberlich aufgelistet und der Bevölkerung mitgeteilt in sachlich-nüchterner Sprache, nichts deutet darauf hin, dass hier Dinge geschehen, die nicht geschehen dürften.
Der Staat wird zum indirekten Türsteher. Daumen rauf, Daumen runter, je nachdem, ob man sich «ausweisen» kann. Ausweisen darüber, dass man geimpft, getestet oder genesen ist von einem Virus, der einem minimalen Teil der Bevölkerung etwas anhaben kann.
Wer das alles normal findet, ist offensichtlich auch bereit für weit grössere Schritte.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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